Kölner Footballer Jan Weinreich„Vor dem Dom denken sie: Was habt ihr denn gebaut?“

Centurions-Spielmacher Jan Weinreich
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Köln – Was für eine Art Leben führt der Quarterback der Cologne Centurions?Weinreich: Ein sehr interessantes. Bei mir gibt es nie nichts zu tun. Ich arbeite neben dem Football in einem Unternehmen, das Sportlern Stipendien an Universitäten in den USA vermittelt, bin also auch beruflich im Sport unterwegs. In der Woche vor einem Spiel nimmt der Sport allerdings sehr viel Raum ein. Ich schaue mir Videos des Gegners an, spreche viel mit dem Trainer. Als Quarterback habe ich eine besondere Rolle zu erfüllen. Ich bin eines der Gesichter dieser Mannschaft, dann muss ich auch sportlich funktionieren.
Am Samstag gegen Istanbul hatten Sie Schwierigkeiten.
Wir lagen zwischendurch deutlich zurück, und es lag nur an mir. In der Halbzeit habe ich mir gesagt, dass ich einen totalen Mist spiele und es nur selbst ändern kann. Glücklicherweise hat es dann noch funktioniert.
In Ihrer Mannschaft dürfen vier Spieler aus den USA stehen. Grundsätzlich läge es nahe, die wichtigste Position mit einem Starspieler aus Amerika zu besetzen. In Köln ist der Quarterback ein Kölner.
Ja, das ist definitiv etwas Besonderes. Mein Vater hat bei den Cologne Crocodiles gespielt, meine Mutter ist im Football involviert. Mein großer Bruder ist ein sehr guter Spieler. Football war und ist bei uns zu Hause immer Thema. Außerdem habe ich bei den Crocodiles eine sehr gute Jugendausbildung gehabt. Ich hatte dort Trainer, die selbst Nationalspieler waren und viel Erfahrung aus der GFL hatten.
Zur Person
Jan Weinreich, geboren am 12. März 1997 in Köln, 1,93 Meter/93 Kilo. Stationen: 2009 - 2019 Cologne Crocodiles, 2013 Sickles High School, Tampa FL, 2020 Stockholm, seit 2021 Cologne Centurions. Am 2. ELF-Spieltag empfängt Köln am Samstag im Südstadion die Tirol Raiders (15 Uhr). (ksta)
Der Football ist sehr international, es ist eher unüblich, in seiner Heimatstadt zu spielen – zumal als Deutscher.
Ich habe hier meine Familie, meine Freundin, meine Freunde. Ich stehe mit meinen Jungs beim FC in der Kurve. Es müsste schon sehr viel passen, um hier wegzugehen. Nach einem Spiel im Südstadion meine Freundin auf der Tribüne zu sehen, meine Eltern und wirklich enge Freunde, nicht irgendwelche Leute – das hätte ich woanders nicht.
Theoretisch könnte ein Angebot aus Barcelona kommen. Viele junge Menschen verbringen Auslandssemester in aufregenden Städten. Sie könnten das als Sportler tun.
Ich habe ja mal in Stockholm gespielt, weil es gut gepasst hat. Aber ganz ehrlich: Mein Barcelona ist hier.
Auf dem Platz müssen Sie Leistung bringen. Ein Receiver aus den USA interessiert sich wahrscheinlich nicht dafür, dass Sie der Junge aus Köln sind. Der will gute Pässe.
Ich muss noch viele Schritte gehen, um mich auf dem Level zu etablieren. Innerhalb des Teams ist das Vertrauen definitiv da. Aber von außen werden die Leistungen schon sehr genau beobachtet, und sobald ich nicht funktioniere, wird es selbstverständlich heißen: Hey – da müsst ihr einen Amerikaner holen, der ist nicht gut genug. Das ist ja auch richtig so. Ich will das nicht zu groß reden. Aber mit guten Leistungen kann ich vielleicht dazu beitragen, anderen deutschen Quarterbacks den Weg in höhere Ligen zu ebnen.
Es gehört zum Reiz des American Football, dass Spiele spät entschieden werden – und gern durch den Quarterback.
In der European League of Football wurden am ersten Wochenende mehr als die Hälfte der Spiele mit dem letzten Spielzug entschieden. Das ist, als würde im Fußball die Mehrzahl der Spiele durch Tore in der letzten Minute entschieden. Das aber bedeutet natürlich auch, dass im letzten Spielzug alles auf den Quarterback guckt. Dann ist es egal, ob der Quarterback Deutscher ist oder Amerikaner: Dann musst du das Spiel gewinnen.
An wen richtet sich die ELF?
Bei uns kann jeder kommen, wie er mag. Man muss kein Fan der Centurions sein. Bei uns kann man sehr gut sein erstes Footballspiel anschauen, es gibt keinen Verhaltenskodex auf der Tribüne. Man kann einfach einen schönen Tag mit hochklassigem Sport verbringen. Und es passiert immer etwas Besonderes. Wir haben am Samstag gegen eine türkische Mannschaft mit einem australischen Quarterback und einem japanischen Receiver gespielt. Hatte ich jetzt auch noch nicht.
Wie stufen Sie den sportlichen Wert der ELF ein?
Wir werden am Ende dieses Jahres wissen, wer die beste Mannschaft Europas ist. Wir haben zwölf Spiele in 14 Wochen auf höchstem Niveau. Da hält keine andere europäische Liga mit.

Jan Weinreich ist Quarterback der Cologne Centurions.
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Wie ist das Niveau im Vergleich zu den USA?
In der Breite werden wir nie mit den USA konkurrieren können. Für uns geht es darum, eine gesunde europäische Liga zu haben und europäische Spieler zu fördern, von denen dann die besten womöglich eines Tages für die USA interessant sein können. Wenn ein deutscher Spieler in der ELF herausragende Leistungen bringt, fällt das den Amerikanern auf. Aber klar ist auch: Selbst wenn ich der beste Quarterback der Liga wäre, hätte ich keine Chance auf die NFL. Da müssten schon noch ein paar Dinge dazukommen, auch athletisch. Aber wir haben deutsche Spieler in der Mannschaft, die an der NFL schnuppern werden. Das Scouting der großen Klubs in den USA ist allerdings gnadenlos: In der NFL gibt es keinen 1. FC Köln, da gibt es nur Real Madrid und Manchester City. Wenn die sagen: „Ich habe denselben Spieler wie dich – nur in fünf Zentimeter größer und zehn Kilo schwerer“, hast du keine Chance, dann nehmen sie den größeren. Das Problem ist insgesamt, dass es zu viele Footballer auf der Welt gibt für zu wenige Profiteams. In den USA gibt es keinen Vereinssport, keine Basis. Es gibt nur die Spitze. Die Leute dort wollen nur das Phänomen sehen, Breitensport interessiert niemanden.
Auf welchem Niveau sehen Sie sich selbst?
Meine Vorgänger in Deutschland mussten sich die Dinge noch überwiegend selbst beibringen. Ich hatte schon ein richtig gutes Umfeld. Wahrscheinlich hat es noch nie einen 25-jährigen deutschen Quarterback gegeben, der so gute Bedingungen hatte wie ich. Aber daraus ergibt sich auch, dass meine Nachfolger wiederum besser sein werden als ich, weil sie in nochmal ganz anderen Strukturen großwerden. Nach mir wird relativ schnell der nächste deutsche Top-Quarterback kommen. Wenn ich Alexander Frisch sehe, unseren zweiten Quarterback: Der ist 20 Jahre alt, wahnsinnig talentiert. In dem Alter war ich bei den Crocodiles, das war für mich das Schönste der Welt, meine Football-Idole spielten dort, nicht in der NFL. Aber die Crocodiles waren damals sportlich meine Endstation. Ein 20-Jähriger bei den Centurions hat eine ganz andere Perspektive.
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Was ist die Motivation der US-Spieler in Ihrem Kader?
Nach dem College geraten viele Jungs aus den USA in eine Sinnkrise. Die haben ihr ganzes Leben dem Sport gewidmet, auf höchstem Niveau. Und dann reicht es nicht für die NFL. Die meisten von denen waren noch nie im Ausland, geschweige denn in Europa. Die bekommen dann hier die Möglichkeit, ihren Sport auf gutem Niveau fortzuführen. Die ELF wird immer stärker, es hat schon auch für unsere Amerikaner eine Bedeutung, diese Liga zu gewinnen. Das sind absolute Wettkampftypen. Und wer will nicht gern mal in Europa leben? Die stehen dann vor dem Kölner Dom und denken: Was habt ihr denn hier gebaut? Und außerdem präsentiert man sich hier natürlich auch den Scouts in den Staaten oder Kanada.
Wenn man Ihre Mitspieler auf dem Platz sieht, mit bunten Haaren, tätowiert, verrückten Jubel-Choreografien – sind die tatsächlich etwas anders?
Die sind schon sehr besonders. Das erste, was man im Football überwindet, ist die Angst vorm Kontakt mit den großen Jungs. Ein entscheidender Moment ist, wenn man den ersten schweren Hit abbekommt. Dann weiß man, ob man für den Sport gemacht ist. Ich habe viele Jungs erlebt, die richtig gut waren, aber nach dem ersten richtigen Gong nie wieder zum Training gekommen sind. Als ich mit 15 gegen 19-Jährige gespielt habe, dachte ich: super. Es gibt nichts Besseres, als einen Ball zu werfen, richtig einen abzubekommen – und der Ball kommt an. Dafür mache ich das.