Kölner Profi-Kletterer Jan Hojer„Die Haut an den Fingern ist irgendwann durch“
- Profi-Kletterer Jan Hojer wollte eigentlich 2020 sein Olympia-Debüt geben – zusammen mit seiner Sportart.
- Doch die Corona-Krise machte dem Kölner einen Strich durch die Rechnung.
- Im Interview spricht Hojer über seine Alternativ-Pläne, die schwerste Kletter-Route der Welt und die Tatsache, warum ihm die Olympia-Verschiebung nicht ungelegen kam.
Köln – Herr Hojer, hat das Coronavirus Ihr sportliches Leben stark beeinflusst?
Statt einer Saison, in der ich hauptsächlich trainiere, ein paar Weltcups mache und dann nach Tokio zu den Olympischen Spielen fliege, habe ich jetzt ein ganzes Jahr Zeit, Felsklettern zu gehen. Wettkämpfe werden kaum stattfinden, alle Weltcups und die Europameisterschaft wurden verschoben oder abgesagt. Die EM soll im November nachgeholt werden, aber wer weiß, ob das zu dem Zeitpunkt in Moskau möglich sein wird.
Ein ganzes Jahr Felsklettern – ist das gut oder schlecht?
Meine Saison 2019 war wegen der Olympiaqualifikation sehr lang, weshalb ich viel weniger Felsklettern konnte als mir lieb ist und als ich in anderen Jahren geschafft habe. Deshalb ist das jetzt eine schöne Abwechslung. Ich habe ja zum Glück die Garantie, dass ich weiterhin dabei sein werde, wenn Olympia im nächsten Jahr nachgeholt wird. Mein Ticket bleibt bestehen. Von daher kann ich das alles einigermaßen gelassen sehen.
Konnten und können Sie überhaupt in der Halle trainieren? Oder ist das Klettern am Fels für Sie in Corona-Zeiten ohnehin die einzige Möglichkeit, Ihren Sport auszuüben?
Ich hatte großes Glück, in der Region Köln gibt es zwei Hallen, die zusammen mit dem Alpenverein und dem Nationalkader ein Konzept erarbeitet haben, so dass ich von Beginn an allein in der Halle trainieren konnte. Und irgendwann konnte ich dann wieder nach Bayern reisen, dort habe ich zuletzt einen Monat im Frankenjura am Fels und zwischendurch mal in Augsburg am Stützpunkt in der Halle trainiert.
Zur Person
Jan Hojer, geboren am 9. Februar 1992 in Köln, ist professioneller Kletterer. Erfolge: WM-Dritter im Bouldern und Gesamtweltcup-Sieger 2014, Europameister im Bouldern 2015 und 2017, Europameister in der Kombination 2017, WM-Dritter in der Kombination 2018. Diese Disziplin, das so genannten „Olympic Combined“, ist ein Dreikampf aus Lead (Schwierigkeitsklettern mit Sicherung), Bouldern (ohne Sicherung) und Speed (Schnelligkeitsklettern), extra geschaffen für die Olympia-Premiere der Kletterer bei den Spielen in Tokio.
Hojer und Alexander Megos (26/Erlangen) haben sich die beiden Olympia-Tickets für deutsche Kletterer gesichert. 2016 war Hojer bei der Premiere der RTL-Show „Ninja Warrior Germany“ dabei. (sro)
Klingt nach Luxus.
Auf jeden Fall. Da haben wir Kletterer das Glück, dass wir neben dem organisierten Wettkampfsport, der auch bei uns für ein ganzes Jahr ausfällt, noch eine andere Möglichkeit haben. Quasi noch ein Hobby, das mit unserem Sport einhergeht. Wir sind nicht ganz aufgeschmissen, wenn mal ein Jahr lang keine Wettkämpfe stattfinden.
Auch finanziell nicht ganz aufgeschmissen?
Was das angeht, ist die Olympia-Verschiebung für mich eher positiv. Viele meiner Verträge wären Ende des Jahres ausgelaufen, aber jetzt ist die Saison 2020/21 für Sponsoren natürlich noch mal interessant. Ich hatte keine Klauseln in meinen Verträgen, dass ich dieses Jahr nur bezahlt werde, wenn Olympia stattfindet – es konnte sich ja niemand vorstellen, dass Olympia verschoben wird. Ich habe also keine finanziellen Einbußen und für nächstes Jahr ist es eher leichter, Verträge zu verlängern.
Wenn Sie im Frankenjura am Fels klettern, wie viel hat das mit dem Sport zu tun, den Sie uns bei den Olympischen Spielen zeigen werden?
Gerade das Klettern im Frankenjura ist ein guter Mix aus zwei der drei Disziplinen der olympischen Kombination: Seilklettern und Bouldern lassen sich da gut kombinieren. Die Routen sind kurz und athletisch genug, die Einzelzüge schwer genug, so dass man fit fürs Bouldern und Lead bleibt. Mit dem Speedklettern (dabei geht es Mann gegen Mann eine 15 Meter hohe Wand mit genormter Route hoch, der Schnellere nach zwei Durchgängen kommt eine Runde weiter, d. Red.) hat das nicht so viel zu tun. Aber insgesamt sind Felsklettern und Wettkampfklettern von der Belastung her nicht komplett verschieden. Die drei stärksten Felskletterer der Welt, Alex Megos (Erlangen, d. Red.), Adam Ondra (Tschechien, d. Red.) und Jakob Schubert (Österreich, d. Red.), haben sich in den letzten Jahren auch bei den Wettkämpfen durchgesetzt und sind für Olympia qualifiziert.
Wie wird gemessen, wer die besten Felskletterer sind?
Die meisten Athleten haben Score-Cards, da kann man sich angucken, wer welche Routen geklettert hat, wer wie viele Routen pro Schwierigkeitsgrad geklettert hat und wie lange er dafür gebraucht hat. Die drei genannten Kletterer gehören auch da zu den Besten, deshalb glaube ich, dass es für mich gut ist, dieses Jahr mal viel am Fels zu machen. Das ist auf jeden Fall gut für meine Fingerkraft, eine meiner Schwächen. Und ich klettere ja nicht nur am Fels, ich habe auch immer wieder mehrwöchige Trainingsblöcke in der Halle.
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Kann ich auf so einer Score-Card nicht auch einfach schummeln?
Auf jeden Fall, natürlich kann jeder behaupten, eine Route geklettert zu haben. Aber im High-End-Bereich ist es Standard, dass Videos von einem erfolgreichen Durchstieg präsentiert werden können. Wenn jemand ohne Nachweise behauptet, die zehn schwersten Routen der Welt geklettert zu haben, dann sorgt das für Skepsis.
Welche Route ist Ihr nächstes Ziel?
Wir Kletterer sind immer auf der Suche nach guten Bedingungen, es muss kalt und trocken sein, wenn die Hände zu schnell schwitzen, sind gerade die schweren Routen kaum noch kletterbar. Wir mögen zehn bis 15 Grad, Schatten und Wind dürfen auch gern dabei sein. In Südfrankreich gibt es eine Route in einem Sommergebiet, die liegt sehr hoch, am Nachmittag kommt Schatten in die Wand und es ist häufig sehr windig. Die habe ich vor zehn Jahren mal probiert und nicht geschafft. Seitdem hatte ich keine Zeit mehr, daran zu arbeiten, weil ich im Sommer immer mit Wettkämpfen beschäftigt war. Diese Route will ich in diesem Jahr in Angriff nehmen. Sie heißt „Three Degrees of Separation“ und ist in Céüse. Das ist in Südfrankreich, in der Nähe von Gap.
Gehört diese Route zu den zehn schwersten der Welt?
Das ist schwer zu sagen. Sie ist mit 9a/+ bewertet. Das ist ein Schwierigkeitsgrad, den nicht viele klettern. Also ja, sie gehört auf jeden Fall zu den schwereren Routen. Die schwerste Route der Welt ist mit 9c bewertet, sie liegt in Norwegen in einer Höhle an einem riesigen Granitüberhang. Auf diesem Niveau ist im Moment nur Adam Ondra unterwegs. Ich bin vor zwei Jahren schon mal eine Route mit 9a/+ geklettert, „Es Pontas“, ein 20 Meter hoher Torbogen an der Küste Mallorcas. „Three Degrees of Separation“ wäre meine zweite Route mit diesem Schwierigkeitsgrad.
Wie gehen Sie so ein Projekt an?
Das Problem bei sehr langen Klettertrips ist, dass man irgendwann eher schwächer wird, wenn man immer die gleichen Züge probiert. Und die Haut an den Fingern ist irgendwann durch. Mein Plan ist deshalb, für rund zehn Tage hinzufahren. Zurückzukommen. Spezifisch zu trainieren, falls es noch nicht geklappt haben sollte. Und dann die Route über mehrere Trips hoffentlich irgendwann zu klettern. Das wird harte Arbeit, vielleicht über mehrere Wochen, aber die Zeit habe ich in diesem Jahr ja.