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Para-Weltrekordler Rehm„Wir sind keine abgespeckte Version von irgendwas“

Lesezeit 8 Minuten
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Para-Weitspringer Markus Rehm

  1. Markus Rehm hat bei den Paralympics und Weltmeisterschaften alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt.
  2. Der Athlet vom TSV Bayer 04 Leverkusen hofft weiter auf eine Chance, sich richtig mit nicht-behinderten Weitspringern messen zu können.
  3. Rehm hat dazu den Deutschen Rekord im Blick: 8,54 Meter.

KölnHerr Rehm, wie haben Sie während der Schließung der Sportanlagen trainiert? Waldlauf mit Prothese, geht das?

Geht. Aber sehr bescheiden. Übel – ehrlicherweise. Die Prothese passt sich Unebenheiten nicht so richtig an. Das ist nicht wie mit einem normalen Sprunggelenk. Sobald wir auf einen Stein treten, verkippt sich die Prothese, und das hat Auswirkungen auf das Knie. Man kann nie so richtig befreit und entspannt joggen. Es hat wirklich keinen Spaß gemacht, mich in dieser Zeit noch zu motivieren.

War es für Sie dann eine Erleichterung, als die Absage der Paralympics kam?

Es war beides. Ich habe mich schon erleichtert gefühlt. Andererseits ist es natürlich ärgerlich. Ich war gut drauf, ich habe lange auf dieses Ziel hin gearbeitet – und plötzlich war es weg. Ich war traurig. Aber auch froh, dass ich Klarheit hatte. Es gab ja keine Alternative zu der Verschiebung.

Zur Person

Markus Rehm, geboren am 22. August 1988 in Göppingen, Para-Leichtathlet beim TSV Bayer 04 Leverkusen und Orthopädietechnik-Meister. Paralympicssieger 2012 im Weitsprung und 2016 im Weitsprung und mit der 4 x 100-Meter-Staffel, Weitsprung-Weltmeister 2011, 2013, 2015, 2017 und 2019, Halter des paralympischen Weitsprung-Weltrekords (8,48 Meter). Verlor sein rechtes Bein unterhalb des Knies im Alter von 14 Jahren bei einem Wakeboard-Unfall. (sro)

Die nicht-behinderten Leichtathleten planen eine „Late Season“ ab August. Gibt es im Parasport ähnliche Pläne?

Leider bislang nicht. Ich orientiere mich ehrlichgesagt gerade an den Plänen der olympischen Athleten und hoffe, dass ich da irgendwo mitspringen kann. Jetzt läuft das Training wieder und ich hatte es über den Winter etwas umgestellt, ich würde schon gern im Wettkampf sehen, was das bewirkt.

Was haben Sie geändert?

Ich brauchte neue Reize. Wir haben die Streckenlängen verändert, haben noch mal deutlich mehr belastet. Große Umfänge, viele Zug-Widerstandsläufe mit einem Gewichtsschlitten, den ich hinter mir her ziehe. Ich wollte die Grundfitness noch etwas erhöhen. Damit ein Wettkampf möglichst nicht mehr so eine hohe Belastung ist, sondern ich ihn relativ locker wegstecken kann.

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Die Bestweite von Markus Rehm liegt bei 8,48 Metern

Sie sind ja ohnehin schon der Beste der Welt. Sie haben bei zwei Paralympics und fünf Weltmeisterschaften in Folge den Weitsprungwettbewerb gewonnen und halten mit 8,48 Metern den Weltrekord. Warum feilen Sie noch immer so akribisch an Ihrer Form?

Ich kann nicht anders. Ich habe schon oft gehört: Mach doch mal entspannt. Aber ich mache etwas entweder ganz – oder gar nicht. Ich kann nicht sagen: Okay, dann springe ich jetzt eben weit weg von meiner Bestleistung und gewinne mal keine Medaillen.

Sie könnten relativ weit weg von ihrer Bestleistung springen und würden trotzdem gewinnen.

Das stimmt. Aber dann macht so ein Wettkampf keinen Spaß mehr. Ich will schon meine eigen Weite noch verbessern. Ich habe die 8,50 Meter im Blick.

1980 ist Lutz Dombrowski 8,54 Meter weit gesprungen. Weiter ist seither kein Deutscher gekommen, mit oder ohne Prothese.

Diesen Rekord will ich noch knacken. Das ist das Ziel. Definitiv. Dann wäre der paralympische Deutsche Rekord besser als der olympische. Das würde ich schön finden. Es geht mir darum, zu zeigen: Hey, wir Parasportler brauchen uns nicht zu verstecken, wir sind keine abgespeckte Version von irgendwas. Auch wir sind absolut leistungsfähig und unsere Wettkämpfe sind toll, da geht die Post ab, es lohnt sich, sich das mal anzugucken. Abgesehen davon: Bei 8,50 Metern trennt sich die Spreu noch mal vom Weizen. Das springen auch aus dem olympischen Lager nur noch ganz, ganz wenige Athleten. Da würde ich schon gern dazu gehören. Und deshalb versuche ich auch weiter, bei hochkarätigen Wettbewerben der Nicht-Behinderten mitzuspringen.

Aber das gestaltet sich schwierig. Die wollen Sie nicht so richtig gern dabei haben.

Ja. Das ist korrekt. Es gab Meetings, da fand man es nicht so toll, dass ich gestartet bin. Deshalb bin ich gespannt, was in diesem Jahr noch so geht. Von den Veranstaltern der Golden Fly Series, deren Wettkämpfe im Zentrum großer Städte stattfinden, werde ich immer ganz gern eingeladen. Bei der Diamond League hingegen durfte ich noch nie starten. Es gibt halt Veranstalter, die wollen keinen Stress mit Athleten, die das vielleicht nicht so toll finden...

... dass der Mann mit der Prothese weiter springt.

Ja klar. Da geht es ums Ego. Was soll ich sagen? Das ist ein Problem bei vielen. Es gibt auch viele Athleten, die sagen: Toll, du springst so weit wie kein anderer, auch in deiner Klasse. Das sehen ja die Wenigsten. Die sehen nur mich weit springen. Aber in Relation zu anderen Parasportlern mit ähnlichen Voraussetzungen könnte einem ja klar werden, dass das vielleicht gar nicht so einfach ist.

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Das heißt: Wenn Ihre Prothese der alleinige Grund wäre, warum sie so weit fliegen, müssten andere einbeinig Amputierte das auch schaffen.

Ja. Sie müssten zumindest näher dran sein an mir. Ich habe keinen Prototypen an Prothese. Ich habe seit letztem Jahr ein anderes Modell, genauso wie andere Athleten. Auch ich durfte das erst springen, als es auf dem Markt erhältlich war.

Aber der eine oder andere glaubt, dass Sie sich als Orthopädiemechanik-Meister ihre eigenen Wunderprothesen bauen.

Ja, vielleicht. Es ist natürlich toll, wenn die Leute glauben, ich sei der weltbeste Techniker. Aber das ist nicht der Fall. Das Bauteil, das die Energie beim Sprung abgibt, wird in Serie gefertigt. Ich habe nichts anderes als andere.

Die Diskussionen um Ihre Leistungsfähigkeit begannen 2014, als Sie mit einem Sieg bei den Deutschen Meisterschaften der Nicht-Behinderten für Furore sorgten. Eine wissenschaftliche Studie brachte kein eindeutiges Ergebnis zu möglichen Vor- oder Nachteilen Ihrer Prothese. Sie wollten zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio, durften aber nicht und wurden viel kritisiert. Hat das alles Spuren hinterlassen bei Ihnen?

Es gab sicherlich schwierige Momente, als ich mich zum ersten Mal kritisch beäugt wurde und es manchmal richtig böse wurde, das war nicht schön, gar keine Frage. Aber ich habe immer versucht, das zu verstehen. Ich habe Gesprächsangebote gemacht. Leute, die sich mit mir unterhalten, verstehen dann oft, dass ich nicht der Böse bin, der jemandem etwas wegnehmen will. Ich habe einfach Bock, weit zu springen und mit den Besten zu springen. Ob ich nun gewinne oder verliere – für mich ist einfach der Wettkampf toll. Wenn ich auch mal den Kürzeren ziehen kann. Darum geht es doch im Sport. Es geht nicht darum, immer zu gewinnen und nur zu gucken, mit welcher Weite.

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Markus Rehm

In Deutschland gilt inzwischen: Sie dürfen gegen Nicht-Behinderte antreten, aber nur außerhalb der Wertung. Eine Qualifikation für Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele ist somit nicht möglich. Können Sie mit dieser Regel leben?

Ich kann gut damit leben, nicht gewinnen zu können. Aber es wäre schön, wenn das mit der Quali anders gelöst würde. Ich hätte sehr gern die Möglichkeit, auch mal bei den ganz großen Meisterschaften oder in der Diamond League dabei zu sein.

Der Südafrikaner Oscar Pistorius durfte 2012 in London als erster beidseitig Amputierter über 400 Meter antreten. Ihnen werden deutlich mehr Steine in den Weg gelegt. Warum? Weil Sie tatsächlich Chancen auf eine Medaille hätten?

Ich fürchte ja. Mit den Weiten, die ich springe, kann man große Medaillen gewinnen. So weit ist der Sport offenbar noch nicht.

Träumen Sie noch davon, in Tokio bei den Olympischen und den Paralympischen Spielen antreten zu können?

Das wäre toll. Das ist das, was ich mir wünsche.

Werden Sie es offensiv angehen?

Wir sind noch am Überlegen, was es für Möglichkeiten gibt. Da wurde uns jetzt in Richtung Tokio ein wenig mehr Zeit verschafft. Ich würde es nicht ausschließen.

Auf Instagram nennen Sie sich „The Bladejumper“ und sind damit in Japan bekannter als in Deutschland, oder? Tokio dürfte somit eine Art Heimspiel für Sie werden.

In Japan ist in den letzten Jahren sehr, sehr viel für den paralympischen Sport gemacht worden. Über die Prothesen-Studie mit mir wurde damals in Japan ein 45-minütiger Film gezeigt. Ich war schon zu mehreren Wettkämpfen dort, wurde für den First Pitch bei einem Baseball-Spiel engagiert, die machen mit Blick auf die Paralympics richtig gut Werbung. Ich habe bei den Japanischen Meisterschaften in der Paraleichtathletik teilgenommen und bin dabei weiter gesprungen als der Japanische Rekord der Nicht-Behinderten. Das fanden die super.

Da könnt das IOC doch einfach mal sagen: Hey, den lassen wir in Japan auch bei den Olympischen Spielen mitspringen.

Ja. Das wäre natürlich Wahnsinn. Für mich gäbe es nichts Cooleres als genau das. Die sollen sagen, mit welcher Weite ich mich qualifizieren kann. Ich gehe genauso durch den Vorkampf und schaffe es vielleicht ins Finale. Ich könnte nur keine Medaille gewinnen. Damit wäre ich völlig fein. Mitspringen zu dürfen, das wäre für mich das Allergrößte.