Der Weltmeister und Champions-League-Sieger spricht über die größten Probleme des deutschen Fußballs.
Jürgen Kohler über Probleme des DFB„Unser Ausbildungsansatz braucht eine Generalüberholung“
Herr Kohler, Ihr letztes Engagement als Trainer ist beinahe drei Jahre her. Das kann es doch nicht gewesen sein.
Verdammt, ist das schon so lange her. Es war eine gute Zeit bei Viktoria Köln. In diese Zeit fiel der Aufstieg in die Dritte Liga, die Zertifizierung zum Nachwuchsleistungszentrum und die damit verbundene Erfolgsgeschichte, die Roland Koch als Kopf des Ganzen maßgeblich zu verantworten hat und von der der Klub immens profitiert.
Roland Koch, der ewige Assistent von Christoph Daum, hat mit Ihnen in Höhenberg begonnen und gemeinsam aufgehört. Wieso?
Unsere Mission war erfüllt. Gemeinsam haben wir eine feste Basis gelegt, Strukturen geschaffen, und Viktoria eine gewisse Form gegeben, in der Ideen entwickelt und Talente gedeihen können. Youssef Amyn, Niklas May und Kai Klefisch, um nur einige zu nennen, sind in Höhenberg zu Junioren-Nationalspielern gereift. Seiner Ankündigung, die viele als großspurig abgetan haben, hat Roland somit Taten folgen lassen. Ein großartiger Typ und ein exzellenter Fachmann dazu. Dass sich mitunter andere das Lametta überstreifen, damit können Roland und ich gut leben.
Sie sind in den großen und kleineren Arenen weiterhin ständiger Gast. Auf wie viele Live-Spiele kommen Sie so in einer Saison?
Zu viele (lacht). Darüber führe ich nicht Buch. Für mich sind diese Spiele wichtig, um weiterhin auf dem Laufenden zu sein. Das Spektrum ist schon groß. Von der Bundesliga, der Zweiten und Dritten Liga bis hinunter in die Oberliga und die A-Junioren-Bundesligen ist alles dabei. Nicht zu vergessen die Benelux-Länder. Damit komme ich auf gut 75.000 Kilometer im Jahr.
Sie wissen also, was in Fußball-Deutschland und dem benachbarten Ausland passiert.
Das würde ich doch meinen.
Als es nach dem Fiasko der Nationalmannschaft bei der WM in Katar darum ging, eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel der Aufarbeitung der Geschehnisse ins Leben zu rufen, fiel auch ihr Name.
Tatsächlich hat mich vonseiten des DFB niemand kontaktiert. Dabei hätte ich schon ein paar Lösungsansätze, wobei es auch darum geht, unbequeme Fragen zu stellen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Verantwortlichen im Verband sich keine Gedanken darüber machen, wie viele PS sie ungenutzt auf der Straße liegen lassen. Es gibt eine Reihe ehemaliger verdienter Nationalspieler, die wissen, wie gewinnen geht. Bei aller Wertschätzung für die junge Trainergilde. Für bestimmte Dinge bedarf es meiner Ansicht nach die gelebte Erfahrung. Da reichen in der Theorie erworbene Kenntnisse leider oftmals nicht aus.
Sie haben durchblicken lassen, dass sich Ihre Begeisterung für aufgeblähte Trainerstäbe in Grenzen hält.
Wir brauchen die richtigen Trainer an der richtigen Stelle und keinen Staff, der beinahe Kadergröße erreicht. Bestes Beispiel sind für mich in diesem Zusammenhang Hermann Gerland und Norbert Elgert, die sicher immer wieder und ganz bewusst für ihre Arbeit im Hintergrund entschieden haben. Sie wissen genau, was sie können und was nicht. Davon braucht es mehr. Wenn ich aufschreiben müsste, wie viele spätere A-Nationalspieler durch ihre Hände gegangen sind, würde ein DIN A4-Blatt vermutlich nicht ausreichen.
Halten Sie eine gewisse Sorge um den deutschen Fußball für begründet?
Auf jeden Fall. Unser internationales Auftreten lässt sich im Grunde auf den FC Bayern München reduzieren. Wenn man sich die Bayern einmal kurz wegdenkt, wüsste ich nicht, wo wir heute in der Fünfjahreswertung der Uefa stehen würden. Ein Blick in die Youth League bestätigt den Eindruck, dass der Rückstand stetig größer wird. Unser Ausbildungsansatz bedarf meiner Meinung nach einer kompletten Generalüberholung, wenn wir nicht endgültig im Mittelmaß verschwinden wollen.
Im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Köln wird unter Berücksichtigung der mangelhaften Infrastruktur und einem überschaubaren monetären Einsatz gute Arbeit geleistet.
Aus der Distanz würde ich das bestätigen. Die U19 habe ich im Pokal-Halbfinale gegen Hertha BSC und im Halbfinal-Rückspiel gegen Mainz gesehen. In jeder dieser Mannschaften sind mindestens ein, zwei Jungs, die oben ankommen können. Die Torhüter aus Mainz und Berlin fand ich extrem stark, aber auch andere sind für ihr Alter enorm weit. Auf Kölner Seite war Innenverteidiger Bakatukanda schon sehr auffällig.
Apropos Innenverteidiger: Zu Ihrer aktiven Zeit waren sie im und um den Strafraum herum meistens Herr der Lage. Welcher Ihrer Gegenspieler war denn der Beste?
Vielleicht vorweg: es gibt keinen, der mich heute noch im Traum verfolgt (lacht). Natürlich habe ich gegen viele der Besten gespielt. Aber den einen Besten gab es nicht. Das hat für mich auch etwas Respekt zu tun. Jeder war auf seine Weise einzigartig. Dass ich die Gelegenheit hatte, gegen eine Reihe von Weltklassestürmern spielen zu dürfen, erfüllt mich vor allem mit Demut. Ja, Respekt, Demut und harte Arbeit standen für mich immer im Mittelpunkt und waren ganz sicher meine wichtigsten Bausteine für die späteren Erfolge.
Zur Person
Jürgen Kohler, 57, geboren in Lambsheim, wurde 1990 mit Deutschland Weltmeister, sechs Jahre später folgte der EM-Titel. Mit Borussia Dortmund gewann er 1997 die Champions League und den Weltpokal. Insgesamt wurde er dreimal Deutscher Meister, einmal italienischer Meister und Pokalsieger. Seine Profikarriere startete er bei Waldhof Mannheim. Über den 1. FC Köln ging es für Kohler zum FC Bayern München, Juventus Turin und den BVB. Für den DFB bestritt er zwischen 1986 und 1998 105 Länderspiele (2 Tore).