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Höhenflug und AbsturzDie bewegende Geschichte der Kölner Fahnenträgerin Anna-Maria Wagner

Lesezeit 4 Minuten
Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels breitet Anna-Maria Wagner die Arme zum Jubel aus.

Die Kölner Judoka Anna-Maria Wagner reist als amtierende Weltmeisterin zu den Olympischen Spielen nach Paris

Sie ist Doppel-Weltmeisterin und olympische Medaillengewinnerin – als Vorbild des deutschen Sports gilt die Judoka aber aus einem anderen Grund.

„Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da passt einfach alles zusammen“, sagt Judoka Anna-Maria Wagner. Und dieser Zeitpunkt, der ist wohl genau jetzt. Am Montag bekam die Kölnerin den entscheidenden Anruf vom Deutschen Olympischen Sportbund: Gemeinsam mit Basketball-Weltmeister Dennis Schröder wird sie am Freitag, 26, Juli, die deutsche Fahne bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele auf der Seine in Paris tragen. Da liefen erst einmal die Tränen, als sie die Nachricht in der Hotellobby vor ihren Teamkolleginnen und Trainern in Empfang nahm. „Es ist die Kirsche auf der Torte“, sagt sie.

Olympische Spiele in Paris: Kölner Judoka Anna-Maria Wagner ist Favoritin auf Gold

Veredeln könnte sie ihre zweiten Olympischen Spiele nur noch sportlich, auf der Matte der Champ de Mars Arena. Die Mission ist klar: „Ich will da unbedingt hin und Gold holen.“ Unrealistisch ist das nicht. Erst im Mai erkämpfte sich die 28-Jährige den Weltmeistertitel in der Gewichtsklasse bis 78 Kilogramm – nach 2021 zum zweiten Mal in ihrer Karriere. Als aktuelle Weltranglistenzweite gehört sie zu den großen Medaillenhoffnungen des Deutschen Judobundes und wird auch im internationalen Judogeschäft als Favoritin auf den Olympiasieg im Halbschwergewicht gehandelt.

Anna-Maria Wagner, bekleidet in der Ausrüstung des deutschen Olympia-Teams, geht an einer Sponsorenwand entlang.

Ausgestattet für die Eröffnungsfeier: Anna-Maria Wagner bei der Olympia-Einkleidung in Frankfurt

Dass sie bei Olympischen Spielen abliefern kann, zeigte Wagner bereits vor drei Jahren in Tokio. Die Bilder ihres Bronzekampfs gingen nicht nur in der Judowelt viral. Mit ihrem ganz persönlichen Kampfritual marschierte sie damals auf die Matte, mental voll im Fokus: Mehrere Klopfer auf die Brust, dann das Mantra: „Ich bin Anna-Maria Wagner. Ich bin die Nummer eins, und ich ziehe das Ding durch bis zum Schluss.“ Noch ein Kampfschrei. Danach sicherte sie sich die Medaille, trotz angerissener Bänder im Ellenbogen. Mit der Verletzung legte sie auch noch im Mannschaftswettbewerb nach und trug mit ihrem Punkt gegen die Niederlande zum bronzenen Mixed-Team-Erfolg des Deutschen Judobunds bei.

Olympisches Doppel-Bronze, Weltmeisterin, Ehrungen, Feiern – es hätte die beste Zeit ihres Lebens sein können. Doch dann, nach dem bis dato erfolgreichsten Jahr ihrer Karriere, kam der große Einschnitt. „Ich hatte die ganzen Jahre ein Ziel vor Augen, habe es geschafft - und dann? Leere.“ Ihre Post-Olympia-Depression machte die Sportsoldatin Anfang 2022 in den sozialen Medien öffentlich. Es sei die Schattenseite des Spitzensports, doch diese Phase gehöre genauso dazu, wie die Medaillen. Damit brach sie mit einem Tabu. Viele Athletinnen und Athleten seien von Depressionen betroffen, aber die wenigsten würden darüber reden.

Auch über ihre Arbeit mit Moritz Anderten, Sportpsychologe am Olympiastützpunkt Rheinland, sprach sie öffentlich. Bereits 2018 – lange vor Höhenflug und Absturz – startete die Zusammenarbeit mit dem Kölner Mentaltrainer, nachdem sie vorher von Baden-Württemberg in die Judo-Trainingsgruppe des Müngersdorfer Leistungszentrums gewechselt war und heute Teil des Verbunds Kölner Athleten ist.

Nach WM-Gold und Olympiabronze 2021: Anna-Maria Wagner macht Depressionen öffentlich

„Wir sollten damit nicht erst beginnen, wenn schon alles zu spät ist“, sagte sie, während sie sich nach und nach aus der dunklen Phase wieder herausarbeitete und die Lust und Leidenschaft am Judo erst wieder entdecken musste. Bei ihrem Comeback, ein Dreivierteljahr später, meldete sie sich mit Grand-Slam-Gold in Antalya zurück.

Die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris lief trotzdem alles andere als einfach. Mit ihrer Kölner Trainingspartnerin Alina Böhm lieferte sie sich über zwei Jahre hinweg ein enges Kopf-an-Kopf-Duell ums Ticket, die Belastung durch den direkten Konkurrenzkampf sei enorm gewesen. Erst der WM-Coup im Mai gab den Ausschlag für die Nominierung.

Über ihre sportlichen Erfolge identifiziere sie sich trotzdem nicht. „Ja, ich bin ein Vorbild“, sagt sie. „Aber manchmal fällt es mir schwer, mich in dieser Rolle zu sehen. Ich bin immer noch die gleiche Person, wie vor den Medaillen“. Viel wichtiger sei ihr, als Fahnenträgerin zu zeigen, dass es im Sport auch mal „nicht so rosig“ verlaufen kann. Und „dass man niemals den Glauben an sich selbst verlieren darf.“ Denn jetzt könnte er gekommen sein, der Moment, in dem alles zueinander läuft.