Der „Hexer“ ist Abteilungsleiter beim TSV Bayer 04. Im Interview spricht er über die zurückliegende Saison der Elfen und die Ziele der kommenden Spielzeit.
Handball-Legende Andreas Thiel über Bayers Frauen-Team„Wir bluten aus, schon seit über einem Jahrzehnt“
Herr Thiel, am Samstagabend endet die Saison des TSV Bayer 04 Leverkusen in der Frauen-Handball-Bundesliga mit einem Heimspiel gegen die HSG Bensheim/Auerbach (19 Uhr). Sind Sie zufrieden mit der zurückliegenden Spielzeit?
Ich bin hochzufrieden. Dass wir bislang 23 Punkte geholt haben, ist eine ausgezeichnete Leistung. Zum einen natürlich der Spielerinnen. Aber man muss das auch mit Trainer Michael Biegler verbinden. Ihm ist es gelungen, das Spiel sehr gut zu strukturieren. Diese 23 Punkte haben wir mit sehr, sehr bescheidenen Mitteln geholt. Wenn man bedenkt, dass Viola Leuchter im Grunde durchgehend verletzt war und auch Mareike Thomaier in ein paar wichtigen Spielen gefehlt hat, dann ist es gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass wir den Klassenerhalt relativ früh sicher hatten. Damit habe ich nicht gerechnet, das ist aller Ehren wert.
Welche Aspekte des Spiels haben Ihnen besonders gut gefallen?
Wir haben einen kontrollierten und strukturierten Angriffs-Handball gespielt, einen sehr geduldigen. Dazu haben wir in aller Regel mit viel Leidenschaft verteidigt. Wir haben ein paar Partien, wie die Heimspiele gegen Neckarsulm oder Halle, auf den letzten Metern gewonnen. Diese Siege führe ich auf den guten körperlichen Zustand der Mannschaft zurück, den es in dieser Form zwei Jahre nicht gegeben hat, bevor Michael das Zepter übernommen hat.
Gibt es für Sie einen Moment in der Saison, der heraussticht?
Eher eine Serie. Nach der Niederlage kurz vor dem Jahresende in Wildungen, als wir noch mittendrin im Abstiegskampf waren, haben wir drei Spiele in Folge bei direkten Konkurrenten gewonnen. Nicht mit Glück, sondern in überzeugender Manier. Das war beeindruckend, die Mannschaft und Michael haben da einen Riesen-Job gemacht.
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Sie verlieren im Sommer zwei Nationalspielerinnen an die SG BMM Bietigheim: Mareike Thomaier und Viola Leuchter wechseln zum neuen und alten Deutschen Meister. Kann die Mannschaft diese Abgänge verkraften?
Lassen Sie mich so antworten: Der Klassenerhalt wird im kommenden Jahr nochmal um ein Vielfaches schwieriger, als er es in diesem Jahr war. Nicht nur aufgrund der Abgänge von Mareike und Viola. Unsere Torhüterin Miranda Nasser geht nach Schweden zurück. Mariana Ferreira Lopes möchte noch einmal woanders einen guten Vertrag abschließen. Es ist unglaublich schwer, Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Es sei denn, es gelingt uns durch Spielerinnen aus dem eigenen Nachwuchs. Und ob das immer so klappt, wie es in den letzten Jahren geklappt hat, weiß ich nicht. Es wird eine hammerharte Aufgabe. Man muss eines ganz klar benennen: Wir sind vom Durchschnitts-Etat, der in der Frauen-Bundesliga bei knapp einer Million Euro liegt, etliche hunderttausend Euro entfernt.
Viola Leuchter wurde in Leverkusen zur Nationalspielerin. Was trauen Sie ihr noch zu?
Wer eine starke linke Hand hat, ist in unserer Sportart immer im Vorteil. Sie hat dazu eine hochprofessionelle Einstellung und bringt dank ihrer Größe die Fähigkeit mit, viele Tore aus der Distanz zu machen. Sie wird ihren Weg gehen, genau wie Mareike. Da bin ich mir sicher – ich wünsche beiden alles Gute, da gibt es keinerlei Animositäten.
Andreas Thiel (64) ist eine deutsche Handball-Legende. Der frühere Torhüter, Spitzname „der Hexer“, absolvierte 257 Einsätze für die DHB-Auswahl und war auf Vereinsebene unter anderem von 1979 bis 1991 für den VfL Gummersbach und anschließend für den TSV Bayer Dormagen aktiv. Mit dem VfL wurde Thiel fünfmal Deutscher Meister und zweimal Europapokal-Sieger, der Keeper nahm an drei Olympischen Spielen teil. Heute ist Deutschlands Rekordtorhüter Handball-Abteilungsleiter beim TSV Bayer 04 Leverkusen und betreibt eine Anwaltskanzlei in Köln. (ckr)
Der TSV Bayer 04 muss immer wieder Leistungsträgerinnen ziehen lassen.
Ja, das ist schon über ein Jahrzehnt so. Man kann sagen, dass wir ausbluten. Wenn ich dran denke, wer uns in den letzten zehn oder zwölf Jahren alles verlassen hat. Clara Woltering, Anne Müller, Kim Naidzinavicius und jetzt Mareike und Viola – ein paar habe ich bestimmt noch vergessen. Wir haben diese Spielerinnen ausgebildet, bei uns haben sie ihre ersten Schritte im Erwachsenenbereich gemacht. Und dann sind sie irgendwann weg. Warum? Weil wir nicht einmal ansatzweise auf den Durchschnittsetat in der Liga kommen.
Wie wird das Leverkusener Team in der kommenden Saison aussehen?
Viele Nachwuchskräfte, dazu haben unter anderem Marie Teusch, Pia Terfloth, Christin Kaufmann, Fem Boeters und Jennifer Souza ihre Verträge verlängert. Rozemarijn Alderden kommt aus Amsterdam zu uns. Viel Geld für weitere externe Zugänge ist leider nicht mehr in der Schublade. Der mannschaftliche Zusammenhalt in dieser Saison war sehr groß, das wird mit Sicherheit auch so bleiben. Ob das in Summe für den Klassenerhalt reicht? Ich weiß es nicht. Mit dem Trio Thomaier, Leuchter und Lopes fallen und ungefähr zwölf sichere Tore pro Spiel weg. Das wird nicht einfach, vorsichtig formuliert.
Der Liga-Modus ist 2024/25 ein anderer.
Ja. In der Zwölfer-Staffel spielen die ersten acht Teams in den Playoffs und die letzten vier in den Playdowns. Der Neunte trifft auf den Zwölften, der Zehnte auf den Elften. Die beiden Sieger sind gerettet, die Verlierer treten in einem Abstiegsendspiel gegeneinander an. Wir sollten mit der Möglichkeit rechnen, dass wir am Ende der nächsten Saison ein „Do or Die“-Spiel haben.
Die Basketballer des TSV Bayer 04 verzichten aufgrund von Einschnitten im Etat auf einen möglichen Aufstieg. Wie ist die Situation bei den Handballerinnen im Gesamtverein?
Bei uns ist die Situation ähnlich. Im Basketball, Handball und Volleyball, den drei Sportarten des TSV Bayer 04, die einen gewissen Mindestetat brauchen, den auch die Ligen vorgeben, wird es in den nächsten Jahren sicher nicht einfacher werden. Alle drei Abteilungen müssen mit Einschränkungen leben.
Mit Blick auf den großen Erfolg der Bayer-04-Fußballer ist das eine bittere Erkenntnis.
Ich gönne den Fußballern den Erfolg, den haben sie verdient, sie spielen eine grandiose Saison. Aber den anderen Sportarten wird es in Leverkusen durch die Dominanz des Fußballs nicht leichter gemacht. Am Wochenende kommen wir zum Beispiel wegen der großen Abschlussfeier der Fußballer nur mit einer Sondererlaubnis zur Ostermann-Arena.