Köln – Den emotional schwersten Gang hat Karl Maurer (67) noch vor sich. An diesem Mittwoch wird der Generalbevollmächtigte der VLN-Langstreckenmeisterschaft die Lebensgefährtin jenes Zuschauers treffen, der am Samstag auf der Nordschleife des Nürburgrings tödliche Verletzungen erlitten hat, als der Nissan GT-R des britischen Rennfahrers Jann Mardenborough (23) über den Sicherheitszaun katapultiert wurde. Der verstorbene 49-jährige Niederländer ist, wie die Betreibergesellschaft am Montag versicherte, in der Geschichte des Nürburgrings der erste Rennunfalltote unter den Besuchern, was Maurers Mission freilich nicht leichter macht. Der VLN-Manager soll moderieren, was er eine „unkoordinierte Welle von Reaktionen des Mitgefühls“ nennt. Es geht um Schweigeminuten, Trauerfeier, Trauerflor – was jedoch voraussetzt, dass es Gelegenheiten gibt, diese Zeremonien der Pietät auch präsentieren zu können. Mit anderen Worten: Der Rennsport auf der lebensgefährlichen Piste in der Eifel soll demnächst weitergehen.
Allerdings stehen große Fragezeichen hinter den Bedingungen, zu welchen das auf zehn Läufe angelegte, ringeigene Langstrecken-Championat sowie das für Mitte Mai terminierte 24-Stunden-Rennen überhaupt veranstaltet werden kann. Der Deutsche Motorsportbund (DMSB) hat, wie berichtet, über die PS-stärksten Klassen ein vorläufiges Startverbot verhängt.
Wrack noch nicht freigegeben
Von den Ermittlungen des Unfallhergangs wird abhängen, welche Konsequenzen für Technik, Rennstrecke und -Fahrer zu beschließen und wie sie umzusetzen sind. Große Hoffnungen setzen die Verantwortlichen dabei auf die Analyse des Nissan-Datenrekorders, doch bisher hat die Staatsanwaltschaft das stark beschädigte Auto noch nicht frei gegeben. Oberstaatsanwalt Rolf Wissen teilte am Montag mit, die polizeilichen Arbeiten vor Ort seien abgeschlossen, nun würden Gutachten erstellt und Zeugen vernommen.
Erst nach Überstellung des Wracks können die VLN-, ADAC- und Nissan-Techniker die sogenannte Black Box auslesen. „Die technischen Daten sind uns lieber als das, was der Fahrer über den Unfallhergang aussagt“, erklärte ADAC-Sprecher Michael Kramp. Dabei gilt der Unfallpilot eigentlich als über alle Zweifel erhaben. Mardenborough ist Besitzer der A- und der Nordschleifen-Lizenz, ist zweimal im Langstrecken-Tempel Le Mans gefahren, hat einen Werksvertrag mit Nissan und ist, wie die weltweit erfahrenste Nordschleifen-Piloten, Sabine Schmitz aus Barweiler, im Branchenjargon anmerkt, „kein Nasenbohrer“. Zwar habe Mardenborough mit ihrer Unterstützung zunächst über den Playstation-Wettbewerb der Nissan GT Academy den Zugang zum Rennsport gefunden, sei aber „längst Vollprofi und ein Superfahrer“. An besagter Stelle, sagt Porsche-Fahrerin Schmitz, gehe man „kurz vom Gas, fertig“.
Ungeklärt ist indessen, ob der Brite an dem berüchtigten Sprunghügel des Streckenabschnitts Flugplatz (welch böse Ironie) tatsächlich das Gaspedal kurz gelupft hat – wie es Nordschleifenprofis jenseits der 200-km/h-Marke tun, wenn sie vermeiden wollen, dass der Vorderwagen Unterluft bekommt. In eingeweihten Kreisen gilt der Nissan als anfällig; die Abhebe-Gefahr wächst, wenn der Wind ungünstig weht, und der Tank relativ leer ist, was bei Mardenborough nach sieben Runden vielleicht der Fall war. Nicht ausgeschlossen ist auch, dass an dem 550-PS-Auto etwas gebrochen ist, ehe es rund 100 Meter (!) zeitweise senkrecht über den Asphalt flog.
Möglichst ausgeschlossen werden soll, sagte Maurer, „dass sich dieser Jahrhundertunfall wiederholt“. Beim Erstellen von Gegenmaßnahmen, meinte ADAC-Mann Kramp, dürfe es „keine Denkverbote geben“. Umbaumaßnahmen an der Strecke sind nach Ansicht von Fachleuten ebenso möglich wie die Sperrung gewisser Zuschauerbereiche oder gar ein örtliches Renntempo-Limit in Form geschwenkter Gelber Flaggen.