Professor über Rassismusproteste„Der Sport hat gerade in den USA eine enorme Macht“
- Colin Kaepernick kniete sich 2016 während der Nationalhymne als Protest gegen Polizeigewalt hin, heute ist er vereinslos. Die Black Lives Matter Proteste nahmen im Sport ihren Anfang.
- Nachdem Trump-Anhänger am Mittwochabend (MEZ) das Kapitol stürmten, knieten Basketballspieler vor einem Spiel geschlossen nieder. Auch bei den Playoffs im Football könnte es zu Statements von Athleten kommen.
- Professor Stephan Wassong spricht im Interview über den unterschiedlichen Umgang mit Protesten im Football und Basketball, Rassismusproteste in der Geschichte des Sports und die Macht der Athleten.
Köln – Herr Wassong, an diesem Samstag beginnen die Playoffs im American Football. Einer der bekanntesten Spieler des Landes, Colin Kaepernick, sorgte vor viereinhalb Jahren für Aufsehen, als er während der Nationalhymne als Protest gegen Rassismus hinkniete. Wieso sind die Black Lives Matter Proteste in den USA gerade auf dem Footballfeld so präsent?
Kaepernick hat sicherlich den Anfang gemacht, ich würde ihn aber nicht als Initiator der Proteste sehen. Er hat sich auf individueller Ebene geäußert und positioniert. Eine größere Breitenwirkung schaffte jedoch erst die Protestbewegung nach dem Tod von George Floyd, einhergehend mit Protesten und Boykottaufrufen von Mannschaften in verschiedenen Ligen: Der Basketballliga, der Major Soccer League, der Frauenbasketballliga, der Eishockeyliga. Die NFL war zu der Zeit gar nicht im Spielbetrieb drin, doch sie setzte ebenfalls ein Zeichen, indem Trainingseinheiten ausfielen. Nach dem Protest von Kaepernick war die Reaktion noch anders: Seine sportliche Karriere wurde beendet. Er hat keine Verträge mehr bekommen und ist seitdem als Free Agent unterwegs. Das Verhalten, die Richtlinien und Entscheidungen gegenüber Kaepernick wurde nach den Protesten vergangenes Jahr hinterfragt. Vor dem Hintergrund der Play-Offs wird sicher sensibler darauf geachtet, ob sich Spieler positionieren oder nicht. Schließlich ist Football die Sportart in Amerika mit der größten Öffentlichkeit.
Glauben Sie, dass bei der NFL ein wirkliches Umdenken stattgefunden hat? Kaepernick ist immer noch vereinslos.
Das glaube ich nicht. Doch es haben Ansätze des Umdenkens stattgefunden. Die Umsetzung läuft im Football etwas zögerlicher als in anderen Ligen.
Wieso ist der Football diesbezüglich konservativer als beispielsweise der Basketball?
Football hat sich seit dem Ende des 19. Jahrhundert in Amerika entwickelt und ist in den Folgejahrzehnte zu einer Nationalsportart gewachsen mit sehr konservativen Strukturen. Gerade in dieser Zeit wurden ganz bestimmte Handelsmuster geprägt, die im Football nur schwer aufzulösen sind. Schwerer als im Basketball, das eine andere und offenere sportartspezifische Prägung aufweist. Im Football sind die Fangemeinde und die Verbandsfunktionäre einfach viel verhafteter in Denkweisen, die sich in der weit zurückreichenden Vergangenheit etabliert haben und, bedauerlicherweise, teilweise in der Gegenwart noch präsent sind. Aus dem Grund wird es auch spannend, zu welchen Reaktionen es in den Playoff und im Super Bowl kommt.
Wieso wird gerade der Sport als Bühne für einen Protest, für ein Statement, genutzt?
Ich glaube, dass der Sport vor allem in den USA eine enorme Kraft hat, dass er meinungsbildend wirken kann. Weil er eben eine enorme Öffentlichkeit hat und weil dort eine Bühne genutzt werden kann, um eben auch gegen solche Rassendiskriminierungen einzutreten.
Politische Statements sind eigentlich auch im europäischen Fußball verboten. Auch hier wird oft dagegen verstoßen. Inwiefern ist es überhaupt möglich, Sport und Politik zu trennen?
Je populärer der Sport ist, desto schwieriger wird es, den aus der Politik herauszuhalten, weil der Sport immer ein Stück weit von der Politik genutzt wird, um Interessen durchzusetzen. Der Sport darf nicht als Eigenwelt betrachtet werden. Das beste Beispiel sind die Olympischen Spiele: Die Boykotte 1980 in Moskau und der Gegenboykott 1984 in Los Angeles waren bedingt durch den Kalten Krieg. Es hat bei den Olympischen Spielen aber auch immer wieder Boykottdrohungen gegeben, die sich gegen die Apartheidpolitik gerichtet haben.
Das könnte Sie auch interessieren:
Die Konsequenz war, dass z.B. Südafrika in den 60er, 70er und 80er Jahren vom Internationalen Olympischen Komitee ausgeschlossen wurde. Erst 1992 in Barcelona durfte das Land wieder an den Olympischen Spielen teilnehmen. Die politische Einflussnahme auf die Olympischen Spiele lässt sich in der Vergangenheit also hauptsächlich auf den Kalten Krieg und die Proteste gegen die Apartheidpolitik bestimmen.
Wie wurde der Sport in der Vergangenheit weiter für Kritik an Rassismus genutzt?
Das populärste Beispiel geschah bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko. Die beiden US-amerikanischen Sprinter Tommy Smith und John Carlos gehörten dem US-amerikanischen Team an und holten über 200 Meter Gold und Bronze. Die Siegerehrung nutzten sie, um für die Black Power Bewegung zu demonstrieren. Daraufhin wurden sie sofort von den Spielen ausgeschlossen. Sie mussten abreisen und haben in den USA in den kommenden Jahren erhebliche Schwierigkeiten gehabt – sowohl beruflicher als auch sozialer Art.
Fußballspieler in Deutschland dürfen auch keine politischen Statements auf dem Spielfeld abgeben, aber auch da gibt es Grauzonen. Wenn hier Bundesligaprofis knieten, blieb das im Gegensatz zu Kaepernicks Protest ohne Folgen. Was ist ein politisches Statement, was ist ein legitimer Protest?
Protestbewegungen, die sich gegen die Aushöhlung von Grund- und Menschenrechten wenden, werden auch im deutschen Sport toleriert. Sie werden in der Grauzone belassen, weil der Sport eine Möglichkeit gibt, diese Verdrehung darzustellen.
Auch Rassismus ist kein allein amerikanisches Thema. Hier in Deutschland sorgen Bananenwürfe und Affengeräusche gegenüber Schwarzer Fußballspieler für Eklats. Fremdenfeindlichkeit ist nicht nur im Sport ein Problem, doch wieso kommt der Rassismus gerade hier so offen zu Tage?
Der Sport als Massenphänomen ist grundsätzlich eine Plattform, die in der Öffentlichkeit sehr, sehr stark wahrgenommen wird und in den Medien präsent ist. Das ist glaube ich der Hauptgrund, wieso Menschen dort rassistische Beleidigungen, Gesten und Handlungen zeigen. Es geht diesen Leuten nicht um den Sport, sondern es geht darum, eine Plattform, um diese für ihre Zwecke zu nutzen, aber auch um zu manipulieren.
Spielt die Identifikation mi dem Verein und das Wir-Gefühlt da eine Rolle?
Ich glaube nicht, dass es denen um eine Identifikation mit einem Verein geht. Diese ist nur vorgeschoben und Verschleierung der eigentlichen Intention, die Öffentlichkeitsrichtung des Vereins für rassendiskriminierende Verhaltensweisen zu instrumentalisieren. Die Vereine distanzieren sich ja auch von diesen Fangruppen und starten Fanprojekte gegen Rassenfeindlichkeit im Sport.
US-Präsident Trump verurteilte Kaepernicks Protest von 2016 und beschimpfte ihn sehr. Die Trump-Anhänger, die am Mittwoch ins Kapitol eindrangen, aber bezeichnete er als Patrioten. Mehrere Basketballteams knieten sich daraufhin während der Nationalhymne geschlossen nieder. Welche Wirkung hat der Sport auf die aktuelle Situation?
Es ist nicht erstaunlich, dass sich Sportlerinnen und Sportler unmittelbar auf die Ereignisse äußerten und dies natürlich mit den Bemerkungen von US-Präsident Trump in Verbindung brachten. Es zeigt auch, dass Athleten sich nicht mehr auf ein unpolitisches Sportlerdasein reduzieren lassen. Sie haben ein gestärktes Selbstverständnis entwickelt, sich zu positionieren und mitzuteilen, sogar als Aktivistinnen und Aktivisten aufzutreten.
Sie werden sich der Vorbildfunktion bewusste, die sie in der Öffentlichkeit haben. Letztendlich zeigen ihre Stimmen auch, wie gespalten das Land ist und von welchen fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten die US-amerikanische Gesellschaft im Moment herausgefordert wird.
Ist es bezeichnend, dass gerade der Basketball direkt reagierte?
Gerade im Basketball spielen viele Schwarze Spitzensportler, die sich auch ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusst werden. Von Footballspielern hat es nach letzter Nacht aber auch Äußerungen und Positionierungen gegeben – wenn auch nicht so stark wie im Basketball.
Welche Chancen hat der Sport in der Bekämpfung von Rassismus?
Ich finde es wichtig, dass man an Sportlerinnen und Sportler herantritt und sagt: Wir können den Rassismus auch mit eurer Hilfe weiter eingrenzen. Das neue Selbstverständnis der Athleten, sich zu positionieren, ist ein Momentum, das man weiter verstärken muss. Denn der Sport kann sicherlich Zeichen setzen. Er kann seine Stellung, seine Öffentlichkeitsrichtung, nutzen, um meinungsbildend zu wirken.