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Tempolimit auf dem NürburgringDie strangulierte Nordschleife

Lesezeit 3 Minuten

Tempo 200 – Limit im Abschnitt Hatzenbach

Nürburg – Soviel von dem unbekannten Täter ist immerhin bekannt: Er (sie) muss im Besitz eines Torx-Schlüssels gewesen sein, um die ungewöhnlichsten Straßenschilder der Rennsport-Historie unrechtmäßig abschrauben und entwenden zu können. Tatzeit: Die Nacht von Freitag auf Samstag. Tatort Nürburgring-Nordschleife, Streckenabschnitte Flugplatz, Schwedenkreuz, Döttinger Höhe, Antoniusbuche, alles Topspots auf der Landkarte globaler Hochgeschwindigkeitstempel. Mögliche Motive: Schnöde Souvenirsammelwut oder vielleicht doch aktionistischer Racer-Protest nach dem Motto: Autorennen mit Tempo-Limit geht gar nicht. Vermisst werden: Amtliche Vorschriftzeichen nach Anlage 2 zu § 41 StVO mit den laufenden Nummern 274 (zulässige Höchstgeschwindigkeit/hier: 200 und 250) und 278 (Ende der zulässigen Höchstgeschwindigkeit/hier: 200 und 250).

Weil jedoch die Erfahrung lehrt, dass solch exklusive Exponate unwiederbringlich in Partykellern verschwinden, hat die Betreibergesellschaft der legendären Eifelpiste flugs neue Schilder aufhängen lassen, und somit stand am vergangenen Wochenende dem mutmaßlich ersten Autorennen der Weltgeschichte unter zeitweiligen Tempolimits (200 und 250 Stundenkilometer) im Rahmen der Qualifikation für das 24-Stunden-Rennen im Mai an gleicher Stelle nichts mehr im Weg. Den Schilderschwund haben Betreiber und Veranstalter wegen seiner Erwartbarkeit übrigens mit humoristischen Unterton zur Kenntnis genommen, doch der Sache selbst willen verträgt die Angelegenheit eigentlich keinen Spaß. Am 29. März war bei einem schweren Unfall während der VLN-Langstreckenmeisterschaft ein 49 Jahre alter Zuschauer aus Zandvoort von einem über den Sicherheitszaun fliegenden Nissan-GT3 erschlagen worden. Seitdem ist die Szene in Aufruhr.

Boykott aus Protest

„Es darf nicht sein, dass ein Auto zum Flugzeug wird“, sagt Karl Mauer, der Generalbevollmächtigte der VLN-Serie, in der Profi- und Hobby-Piloten in verschiedenen Klassen mit Serien- und Rennfahrzeugen zu mehrstündigen Wettbewerben auf der insgesamt 25,378 Kilometer langen Berg- und Talbahn (mit GP-Kurs) antreten. „Ein Speedlimit auf freier Rennstrecke geht gegen den Kern dessen, was Motorsport ist, nämlich so schnell wie möglich von A nach B zu kommen“, sagt Eberhard Baunach, Besitzer des Kölner Kremer-Racingteams, das aus Protest gegen die Geschwindigkeitsbeschränkungen das ADAC-Qualifikationsrennen boykottierte.

Zwischen diesen beiden Positionen versuchen sich der Deutsche Motorsportbund (DMSB), der ADAC und die Streckenbetreiber an einer befristeten, vor allem aber praktikablen und kontrollierbaren Sicherheitslösung. Zum einen, um das 24-Stunden-Rennen grundsätzlich zu retten und zum zweiten, um auch die zeitweise suspendierte, PS-stärkste GT3-Klasse für das weltweit vermarktete Spektakel zuzulassen.

Nach dem als Testlauf deklarierten Qualifikationsrennen mit 70 Autos steht fest, dass sowohl der nächste VLN-Lauf am 25. April (mit rund 200 Autos) als auch das 24-Stunden-Rennen am 16. Mai unter den neuen Sicherheitsbestimmungen stattfinden. Am Status quo ändere sich nichts, sagte Mauer, nur über das Boxengassen-Limit lasse man mit sich reden, weil die 500-PS-Boliden der GT3-Klasse mit Tempo 30 ein technisches Problem haben. Nach Darstellung des ADAC-Managers Michael Kramp haben einige Teams bereits Lösungen – meist per Kopfdruck – zur Einhaltung der Speed-Limits in den Beschleunigungsphasen entwickelt.

Keine absichtlichen Tempo-Verstöße

Experten halten computergesteuerte Geschwindigkeitsregler für unverzichtbar, nur so sei der Pilot in der Lage, sich auf das Renngeschehen zu konzentrieren, insbesondere nachts. Zum Erstaunen der Regelwächter habe es am Wochenende keine absichtlichen Verstöße gegen Tempo 200 und 250 in den ausgeschilderten Streckenabschnitten geben. „Es mussten nur einige Tachos nachjustiert werden“, sagte Kramp.

Ob Porsche-Teamchef Baunach seine Einstellung zur strangulierten Nordschleife ändert und sich zum 24-Stunden-Start entschließt, wird in den nächsten Tagen entschieden. Nicht ohne bewusstes Pathos spricht der Kölner von der Eifel-Piste als „einer der wenigen Bastionen der Freiheit, die es in der überreglementierten Welt noch gibt“. Baunach äußerte seine Bedenken auch beim samstäglichen Drivers Briefing und erntete spontanen Beifall vieler Kollegen.

Dem entgegen stehen die Worte Mauers, der in den letzten Tagen „viele Stunden mit Hinterbliebenen und Augenzeugen“ des fatalen Unglücks verbracht hat. Mauer: „Diese Menschen kriegen die Bilder nicht aus dem Kopf.“