Tour-Hoffnung Buchmann nach Sturz„Das Podium als Ziel ist Wunschdenken“
- Emanuel Buchmann ist der deutsche Hoffnungsträger bei der Tour de France, die am Samstag in Nizza startet.
- Doch die Folgen seines Sturzes bei der Dauphiné-Rundfahrt in den französischen Alpen machen ihm zu schaffen.
- Im Interview spricht Buchmann über das Unglück auf der Abfahrt, seinen Plan B für die Tour und die Rundfahrt in Zeiten der Corona-Pandemie.
Köln/Nizza – Herr Buchmann, vor zwei Wochen sind Sie bei der Dauphiné-Rundfahrt in den französischen Alpen auf der Abfahrt vom Col de Plan Bois gestürzt. Was ist da genau passiert?
Ich bin schon nach 200 Abfahrts-Metern gestürzt, gleich in der ersten Kurve. Direkt vor mir ist der Niederländer Steven Kruijswijk gestürzt, ich konnte nicht mehr ausweichen und lag vom einen auf den anderen Moment auf der Straße. Ich war zu diesem Zeitpunkt mit etwa 50 Stundenkilometern unterwegs.
Sie sind sehr hart auf dem Rücken aufgeschlagen. Was waren Ihre ersten Gedanken in diesem Moment?
Gleich nach dem Sturz sah es wirklich schlecht aus. Ich konnte zunächst nicht mehr selbstständig aufstehen. Wie sich herausstellte, hatte ich im Bereich des Beckens und der Hüfte ein großes Hämatom, dazu viele Prellungen am Körper und Schürfwunden. Im Rücken waren meine Muskeln zudem sehr verkrampft. Da hatte ich mir schon Sorgen gemacht, dass in der Hüfte was gebrochen sein könnte. Wir sind dann sofort in die Notaufnahme des Krankenhauses von Annecy gefahren – dort haben sich die schlimmsten Befürchtungen zum Glück nicht bestätigt.
Wie würden Sie Ihren Gesundheitszustand aktuell beschreiben?
Das Hämatom und die Prellungen klingen gerade zwar ab, aber sie sind noch da und schmerzen. Es geht mir aber auf jeden Fall ein ganzes Stück besser als in der Vorwoche. Mein Zustand hat sich von Tag zu Tag verbessert. Wobei sitzen zurzeit nicht das Problem ist, eher das Laufen, das kommt mir beim Radfahren also entgegen. Ich habe zudem einige Trainingstage verloren. Was das für meine Form bei der Tour bedeutet, kann weder ich noch mein Trainer so richtig einschätzen. Wir müssen abwarten.
Sie sind dennoch vier Tage nach Ihrem Sturz ins Höhentrainingslager nach Livigno in den italienischen Alpen gefahren. Was konnten Sie dort für Umfänge fahren?
Ich konnte leider nicht so gut trainieren wie ich das vor der Dauphiné geplant hatte. Von den Leistungswerten her lief es im Training auch nicht gerade super. Aber das Trainingslager war schon lange geplant. Ich bin nach Livigno gefahren, um den Höhenreiz mitzunehmen, um wenigstens auf diesem Wege etwas für meine Form tun zu können. Das war auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Am Freitag vor einer Woche habe ich mich erstmals deutlich besser auf dem Rad gefühlt. Am Wochenende bin ich hohe Intensitäten gefahren, aber am Sonntag hatte ich leider einen sehr schlechten Tag mit Schmerzen in der Hüfte und am Knie. Da kamen Zweifel bei mir auf, ob ein Start bei der Tour de France wirklich Sinn macht. Am Montag lief es aber deutlich besser und fast schmerzfrei. Dann haben wir entschieden, dass ich es mit der Tour versuchen werde. Dafür war meine Form bei der Dauphiné einfach zu gut. Ich muss jetzt von Tag zu Tag schauen, was geht.
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Bei der Dauphiné konnten Sie bisweilen das Kommando in den Bergen übernehmen. Wie haben Sie sich selbst gesehen in diesen Tagen?
Ich würde schon behaupten, dass ich nach dem Slowenen Primoz Roglic, einer der Tour-Mitfavoriten, der Stärkste am Berg war, zusammen mit dem Franzosen Thibaut Pinot. Ich war auf einem sehr, sehr guten Niveau. Da hätte alles gepasst für die Tour. Aber da kam dann leider ein Sturz dazwischen.
Rücken Sie auch von Ihrem Saisonziel, dem Erreichen des Tour-Podiums, ab?
Ich glaube, es wäre Wunschdenken, dieses Ziel weiterhin auszugeben. Ich muss in kleinen Schritten denken. Vielleicht wird es ja auch besser als erwartet. Es ist alles möglich: Dass ich auf den ersten richtig schweren Etappen schon viel Zeit verliere – oder dass es richtig gut läuft und ich vorne mit ankomme. Es ist gerade echt schwer, mich selbst einzuschätzen. Wenn ich früh aus dem Rennen um die Gesamtwertung raus sein sollte, dann fasse ich andere Ziele ins Auge. Wenn die Form dann im Laufe der Tour zurückkehrt, wäre ein Etappensieg ein möglicher Plan B.
Sie sprachen es an, am zweiten Tag werden in den Bergen rund um Nizza schon 4000 Höhenmeter verlangt, am kommenden Dienstag steht eine Bergankunft in den Alpen auf dem Programm – das dürfte Ihnen jetzt nicht in die Karten spielen.
Prinzipiell war ich noch vor zwei Wochen sehr glücklich über diese Form des Tour-Starts, dass es also so schwer losgeht. Aktuell ist es aber eher schlecht für mich. Da wären mir ein paar Sprintetappen zum Einrollen deutlich lieber.
Die Tour de France startet am Samstag in Nizza und damit in einer Region, für die eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorliegt. Die Fahrer und ihr Personal befinden sich in einer abgeschotteten Blase. Wie bewerten Sie das alles?
Ich habe hier keine Angst, die Blase ist hochprofessionell organisiert, alle Fahrer und das Personal wurden mehrmals getestet, das Konzept finde ich schlüssig. Aber es bereitet mir schon Sorgen, dass die Fallzahlen in Frankreich so hoch sind.
Schafft es die Tour bis nach Paris?
Ich denke schon. Dafür muss aber alles so passen, wie es sich die Verantwortlichen in der Theorie ausgedacht haben.
Wer wird das Rennen gewinnen?
Bei der Dauphiné sah Primoz Roglic schon wie der kommende Tour-Sieger aus. Aber er ist auch gestürzt. Mal sehen, wie er das verkraftet hat. Aber natürlich zählt auch Egan Bernal, der Vorjahressieger aus Kolumbien, für mich zu den Favoriten, dazu noch dessen Landsmann Nairo Quintana und Thibaut Pinot.
Was fehlt Ihnen noch zu Bernal und Roglic?
Roglic ist spritziger und kann kurzfristig höhere Wattwerte treten als ich, zudem ist er im Zeitfahren sehr stark. Er ist ein anderer Fahrertyp als ich. Bernal ist letztlich ein bisschen stärker in seinem Gesamtpaket.
Haben Sie den Eindruck, dass Sie Ihren Rückstand auf diese Fahrer aufholen können?
Ja schon. Es ist nicht so, dass da Welten zwischen liegen würden. Ich denke, wenn ich mal auf das Podium der Tour fahren kann, ist der Tour-Sieg auch nicht mehr so weit weg. Dazu gehört aber auch Fahrerglück bei der Tour.