Zirkus um Dirk NowitzkiWie der Deutsche zum Basketball-Superstar wurde
- Nowitzki war eine Attraktion im US-Sport – jetzt ist ein Buch über ihn erschienen.
- Der Schriftsteller Thomas Pletzinger hat den deutschen NBA-Star sieben Jahre lang begleitet.
- Unser Autor Lars Richter hat das Buch gelesen und ist aus gutem Grund fasziniert.
Köln – Das Busfenster in der letzten Reihe gibt den Blick auf das herbstliche Shanghai frei. Draußen, auf der Zufahrt zum Hotel, spielen sich Szenen ab, die Dirk Nowitzki in den vergangenen gut 20 Jahren als Basketballer in der amerikanischen Profiliga NBA tausendfach erlebt hat, aber auch in China nach wie vor nicht recht begreifen kann: Jubel, ekstatisches Gekreische der Fans, die alle das Trikot der Dallas Mavericks mit seinem Namen und seiner Nummer 41 darauf tragen. Die Menschen drängeln sich hinter den akkurat aufgereihten Absperrgittern, sie nehmen Strapazen, Schubsereien und blaue Flecken in Kauf. Wegen ihm.
Nowitzki weiß die weltweite Zuneigung zu schätzen, das schon, aber der Hype um seine Person ist ihm doch immer suspekt geblieben. Er lächelt und sagt, was er häufig sagt, wenn er sein verständnisloses Erstaunen in drei Worten bündelt: „What a Circus!“
Zirkus ist Faszination und Mysterium. Die Artisten lassen den Zuschauer teilhaben, sie erlauben Nähe und wahren Distanz. Sie präsentieren stolz ihre spektakulärsten Nummern, aber verraten nie ihre Tricks – Berufsgeheimnis.
Eine der größten Attraktionen des US-Sports
Dirk Nowitzki ist bis zu seinem Karriereende im April 2019 eine der größten Attraktionen des US-Sports gewesen, der ja auch immer Zirkus und Show ist. Der Würzburger hat als sechstbester Werfer aller Zeiten nicht nur 31 560 Punkte erzielt und mit den Mavericks 2011 als wertvollster Spieler der Finalserie (MVP) den Titel gewonnen. Er hat seinen Sport grundlegend verändert, geradezu revolutioniert. Einen 2,13 Meter großen, beweglichen Athleten mit präzisem Distanzwurf hatte es in den NBA-Manegen nicht gegeben.
Thomas Pletzinger hat den 41 Jahre alten Würzburger von 2012 an über sieben Jahre hinweg regelmäßig begleitet und seine Erlebnisse, Eindrücke und Emotionen in dem Buch „The Great Nowitzki“ verarbeitet.
Herausgekommen ist ein sehr persönliches Werk, in dem der Autor auf eine distanzierte Betrachtung gewinnbringend verzichtet, er gesteht sich selbst „eine unjournalistische Komplettbegeisterung“ ein und erklärt: „Ich habe Dirk Nowitzki und die Leute um ihn herum beobachtet – in aller Subjektivität, mit allen blinden Flecken des teilnehmenden Beobachters.“
Mit Nowitzki um die Welt gereist
Es ist eine Perspektive, die Pletzinger nicht nur eine feinsinnige Annäherung an den Sportler und Menschen Nowitzki gestattet. Sie lässt ihm auch Raum für seine eigene Geschichte, in der er eine Metamorphose vom flüchtig bekannten Journalisten zum ständigen Begleiter und später zum Freund durchmacht. Pletzinger ist mit Nowitzki um die Welt gereist, er ist mit ihm in Amerika, Europa und Asien gewesen. In Berlin und Ljubljana. In Los Angeles und New York. In Shanghai. Bei ihm Zuhause, in Würzburg und Dallas. Er hat mit ihm den Alltag eines Profisportlers in Hallen und Hotels bewältigt, der oft wenig von gleißendem Scheinwerferlicht und viel von grauer Monotonie hat: Autogrammstunden, Arzttermine, Reisen und Teambesprechungen. Rituale.
Pletzinger hat es auf einfühlsame Weise verstanden, in diesen Phasen präsent, aber nicht aufdringlich zu sein. Dicht dran, aber nicht anbiedernd. Das schafft Vertrauen. Vielleicht hat es auch geholfen, dass der in Hagen aufgewachsene Pletzinger selbst früher Basketball gespielt und das Bundesligateam von Alba Berlin für das Buch „Gentlemen, wir leben am Abgrund“ vor einigen Jahren eine Saison lang begleitet hat. Basketballer finden immer sofort eine gemeinsame Basis: ihre Liebe zum Spiel.
Identifikationsfigur für Dallas
In Dallas lässt sich die Liebe zum Spiel schon lange nicht mehr von der Liebe zu Nowitzki trennen. Der blonde Franke ist die Identifikationsfigur der Stadt, die Menschen respektieren, bewundern und verehren ihn. Sie sprechen warmherzig über ihn wie sie über einen adoptierten Sohn reden würden. „Texanische Liebe ist fundiert“, schreibt Pletzinger, als er Nowitzki zu einem Baseball-Wohltätigkeitsspiel begleitet. „Sie kommen sogar, um Dirk dabei zuzusehen, wie er Baseball spielt. Wie er dilettiert, und wie er sich vor ihnen zum Affen macht.“ Auch der Clown ist für den Zirkus unverzichtbar.
Nowitzki hat die Texaner mit seinem Können begeistert, er hat sie zum Lachen und zum Weinen gebracht. Wie untrennbar Dallas und sein prominentester Bürger in zwei Jahrzehnten miteinander verschmolzen sind, zeigt sich bei Nowitzkis letztem Heimspiel, als die Zeit des Abschieds gekommen ist. „Dirk Nowitzki steht allein in der Mitte des Spielfeldes, und als er seine Rührung nicht in den Griff bekommt, senkt er den Blick, die Arme auf die Knie gestützt. Die Halle kämpft mit seinen Tränen“, notiert Pletzinger. Was für eine formidable Formulierung.
Manchmal sagen Tränen und Bilder eben mehr als tausend Worte. „Ich muss daran denken, dass Holger Geschwindner bei unserem ersten Treffen Nowitzki mit Reinhold Messner verglichen hat“, so Pletzinger, „mit Extrembergsteigern, die in höchsten Höhen herumturnen, körperlich und mental, und die nach dem Abstieg sprachlos in unsere Welt zurückkehren.“
Nowtziki so nahe gekommen, wie es ging
Geschwindner ist Nowitzkis Mentor, persönlicher Coach, Förderer, Freund. Der genialisch-verschrobene Ex-Nationalspieler in Flanellhemd und Lederjacke hat schon immer ein Faible für Inspirationen aus anderen Sportarten oder gesellschaftlichen Bereichen gepflegt, die er ins Training mit Nowitzki einfließen ließ. Kunst, Musik, Literatur. Pletzinger hat dem Kapitän der deutschen Olympiamannschaft von 1972 große Teile seines Buches gewidmet, weil er in ihm den Altmeister sieht, der aus dem fränkischen Zauberlehrling Dirk „The Great Nowitzki“ formte.
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Pletzinger ist Nowitzki so nahe gekommen, wie es ging. Er hat ein faszinierend dichtes Porträt eines Superstars erstellt. Einen Roman über einen der größten deutschen Sportler aller Zeiten, der maximale Nähe zugelassen und es trotzdem würdevoll vermieden hat, sein Innerstes nach außen zu kehren. „Ich war einem Menschen begegnet, der aus ganz pragmatischen und rationalen Gründen in einem Schutzraum lebte“, schreibt Pletzinger, „für alle gut sichtbar, aber ohne wirklich greifbar zu sein.“ It’s a Circus!