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Zum Tod von Kobe BryantEin Tag, der die Herzen brechen lässt

Lesezeit 5 Minuten
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Ein Idol, vor allem in Los Angeles: Kobe Bryant als Gemälde

Köln – Sogar für eine mit großen Gefühlen vertraute Stadt ist das am Sonntag eine Herausforderung. Im Staples Center werden die „Grammy Awards“ vergeben, doch die Leichtigkeit einer Musikpreisverleihung lässt sich auch in Los Angeles diesmal nicht auf die Bühne zaubern.

Zu schwer liegt die Nachricht über der Veranstaltung, die zuvor um die Welt gegangen ist und sie massiv erschüttert hat: Basketball-Superstar Kobe Bryant ist bei einem Hubschrauberabsturz im kalifornischen Calabasas im Alter von 41 Jahren ums Leben gekommen. Mit an Bord der Maschine war auch Bryants 13-jährige Tochter Gianna, die bei dem Unglück ebenso starb wie acht weitere Menschen.

Es fehlen einem die Worte, aber für seine Sprachlosigkeit muss sich niemand schämen. Viele Fans haben sich vor dem Staples Center versammelt, sie stellen in stillem Gedenken Kränze auf, zünden Kerzen an. Sie gehen in die Knie, verbergen ihr verweintes Gesicht hinter den Händen und halten sich gegenseitig fest. Trauer kann einem die Beine wegziehen.

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Für viele muss es sich anfühlen, als sei ein Verwandter von ihnen gegangen. Aber vielleicht ist er für die Bürger von Los Angeles tatsächlich wie ein Familienmitglied gewesen. Von 1996 bis 2016 hat Bryant für die Lakers gespielt – 20 Jahre für einen Klub. Neben Dirk Nowitzki, der 21 Jahre bei den Dallas Mavericks unter Vertrag stand, hat es in der amerikanischen Profiliga NBA niemanden gegeben, der nur für ein Team spielte. Erfolge verschaffen einem Respekt, Loyalität öffnet einem die Herzen.

81 Punkte in einer Partie

Und diese Herzen sind gebrochen. So formuliert es Moderatorin Alicia Keys bei den Grammy Awards, als auf einem riesigen Monitor eine Großaufnahme von Bryant zu sehen ist. Hier, in dieser Arena, ist ein Sportler mit fünf Titeln (2000, 2001, 2002, 2009, 2010) zur Legende geworden. Er wurde 18-mal in Serie ins Allstar-Team der NBA gewählt und sicherte sich zwei Olympiasiege (2008, 2012). Er erzielte 2006 gegen Toronto 81 Punkte in einer Partie – unglaublich. Keys sagt also: „Heute haben Los Angeles, Amerika und die Welt einen Helden verloren. Wir stehen hier, und unsere Herzen sind gebrochen, im Haus, das Kobe erschaffen hat.“

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Kobe Bryant mit Tochter Gianna, die ebenfalls beim Absturz starb

Im US-Sport sind sie gut darin, eine etwas zu klebrige Dosis Pathos anzurühren. Aber im Fall von Bryant ist es tatsächlich schwer, zu übertreiben. Der 1,98 Meter große Shooting Guard hat das Spiel in einer ähnlichen Art dominiert, wie es vor ihm Michael Jordan mit den Chicago Bulls tat. Er war ein Athlet, der den spektakulären Auftritt scheinbar mühelos zelebrierte und die Zuschauer mit seiner Beweglichkeit, Explosivität und Treffsicherheit faszinierte.

33.643 Punkte in der NBA

Bryant kam als 17-Jähriger direkt von der Highschool in die Liga, fast alle anderen Profis absolvierten zuvor das College. Schnell war abzusehen, dass das Talent des Hochbegabten zu Triumphen führen würde, auch wenn noch niemand ahnte, dass er mit 33.643 Punkten einmal der viertbeste Scorer aller Zeiten werden würde. Spätestens als er bei den Lakers in Shaquille O’Neal den dominanten Center seiner Zeit an seiner Seite hatte, ließen sich Titel nicht mehr vermeiden. Sie waren ein unbezwingbares Duo: O’Neal, die 2,16 Meter große und knapp 150 Kilogramm schwere Urgewalt. Und Bryant, der sich aufgrund seiner außergewöhnlichen Athletik nicht stoppen ließ.

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Kobe Bryant (r.) mit Shaquille O'Neal

Doch die „Black Mamba“, wie er sich selbst nannte, war nicht nur für seine Gegner eine Gefahr, er konnte auch für seine Mitspieler zum Problem werden. Bryant war sich seiner Bedeutung stets sehr bewusst – umso gekränkter konnte er sein, wenn der Rest der Welt ihn etwas weniger überragend fand als er sich selbst. Bei den Titeln zwischen 2000 und 2002 bekam jeweils O’Neal die Trophäe für den wertvollsten Spieler der Finalserie zugesprochen. Bryant nicht einmal. Es kam zu einem Konflikt der beiden Alphatiere, zumal Bryant die seiner Meinung nach zu lässige Arbeitsmoral seines Kollegen kritisierte und für sich selbst mehr Spielanteile forderte.

Und er bekam seinen Willen. 2004 wechselte O’Neal nach Miami, bei den Lakers drehte sich fortan alles um Bryant.

An der Grenze zur Besessenheit

Das pflegeleichte Musterkind ist er also nie gewesen, aber welches Genie ist das schon? Doch Bryant musste lernen, dass auch die Besten Hilfe brauchen. Erst als der spanische Center Pau Gasol mit seiner Spielintelligenz die individuell herausragenden Fähigkeiten Bryants gewinnbringend ergänzte, reichte es 2009 und 2010 wieder zu Titeln. Und diesmal brachte die Triumphe jeder in erster Linie mit Bryant in Verbindung. Eine Genugtuung, die er nie verheimlichte.

Vielleicht wäre Bryant als Egozentriker in Erinnerung geblieben, wenn der Held sich nicht auch aus dunklen Tagen hätte zurückkämpfen müssen. Das bringt Sympathien. 2013 riss ihm die Achillessehne, 2015 erlitt er eine schwere Schulterverletzung. Für die meisten Profisportler hätten diese Verletzungen im Alter von 35 Jahren das Karriereende bedeutet – nicht für Bryant. Dank seines Trainingseifers, der häufig die Grenzen zur Besessenheit touchierte, kam er immer zurück.

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Einer der Größten aller Zeiten: Kobe Bryant

Auch in Leverkusen haben sie sich ein Bild davon machen können, dass Bryant nichts unversucht ließ, seinen Körper wieder in Form zu bringen. Während einer PR-Tour testete er 2011 mehrfach die Reha-Therapie der Kältekammer in der Bay-Arena.

Welche Spuren jemand hinterlässt, heißt mittlerweile auch, seinen letzten Tweet zu interpretieren. „Bring weiter das Spiel nach vorne, King James. Respekt mein Bruder“, schrieb Bryant, als ihn LeBron James am Samstag von Platz drei der ewigen Scorerliste verdrängte. Er präsentierte sich als souveräner Mann, der mit Würde gönnen konnte und nicht als Trotziger, dem jemand etwas wegnahm.

Am Sonntag hat sich Bryant an einem nebligen Morgen auf den Weg zu einem Basketball-Spiel seiner Tochter gemacht, so wie es bei ihm üblich war: im Hubschrauber. Die Maschine ist in Flammen aufgegangen, doch die Erinnerung an einen unvergleichbaren Athleten bleibt.