Köln-Libur – Libur hat keinen Supermarkt, keinen Bäcker, nicht mal einen Kiosk. Trotzdem sind die Bewohner des südlichsten Kölner Stadtteils sehr zufrieden mit ihrem Veedel. Für sie ist Libur der sicherste, kinderfreundlichste und sauberste Stadtteil und der mit dem größten Gemeinschaftsgefühl. In all diesen Kategorien haben die Liburer ihr Zuhause auf Platz eins im Veedels-Check gewählt. „Wir haben hier ein geschlossenes Refugium, mit einer sehr guten Nachbarschaft“, sagt Helmut Marti. Der Vorsitzende des Bürgervereins ist ein waschechter Liburer. Er wurde im Dorf geboren – eine Hausgeburt.
Seit vier Jahren ist der 56-Jährige Chef des gut 100 Mitglieder starken Bürgervereins, und Marti kennt die Vorzüge seines Veedels ganz genau. Die Ruhe abseits der Stadt, die fast schon familiäre Gemeinschaft der Bewohner und eine gute Anbindung nach Köln mit Bus und Bahn.
Nicht zu den Vorteilen zählt allerdings die Infrastruktur. „In meiner Jugend gab es hier noch einen Metzger, eine Post und drei kleine Lebensmittelgeschäfte“, erinnert sich Marti. Nichts davon ist geblieben. Doch die fehlenden Einkaufsmöglichkeiten fallen für ihn nicht so stark ins Gewicht. Die nächsten Supermärkte sind nur wenige Kilometer entfernt: in Ranzel und Wahn. Mit dem Auto oder dem Bus gut zu erreichen. Die relative Abgeschiedenheit – Libur ist ringsum von Feldern eingerahmt – hat auch Vorteile, findet Marti.
Es ist weniger hektisch, nur vereinzelte Autos rollen über die Straßen. Das war nicht immer so. In den 1960er Jahren gab es noch keine Umgehungsstraße. „In meiner Kindheit floss der ganze Verkehr aus dem Rhein-Sieg-Kreis mitten durch Libur“, erinnert sich Marti, „da brauchte man oft einige Zeit, um als Fußgänger die Straße zu überqueren.“
Mittlerweile sorgt aber die Liburer Straße dafür, dass die Autofahrer die kleinen Dorfstraßen nicht mehr verstopfen. Die Autos werden um Libur herumgeführt. Trotzdem ist der Stadtteil nicht abgeschnitten von seinen Nachbarn. Die Busanbindung nach Köln und auch in Richtung Bonn ist gut, findet Marti. Im 20-Minuten-Takt fahren KVB und VRS. Zudem holt jeden Morgen ein Schulbus die Kinder ab und bringt sie in die benachbarten Schulen in Wahn. Früher habe der Busfahrer den Halt in Libur immer angekündigt mit den Worten: Willkommen in der Stadt Gottes, erzählt Marti. Es sei einfach eine sehr fromme katholische Gemeinschaft gewesen.
Eine Gemeinschaft ist Libur bis heute. Vielleicht nicht mehr ganz so fromm, wie noch in den 1950er Jahren, doch die örtliche Kirche St. Margaretha bildet immer noch den Mittelpunkt des Veedels, gemeinsam mit dem Dorfplatz und dem einzigen Restaurant, dem Gasthaus Helfer. Die neugotische Backsteinbasilika ist rund hundert Jahre alt und wurde 2010 aufwendig restauriert. Auch viele Wohnhäuser stammen aus der Zeit um 1900 und prägen an vielen Stellen noch heute das Ortsbild. Die Kirche ist mittlerweile keine eigenständige Gemeinde mehr, sondern bildet mit den Kirchen St. Aegidius Wahn, Christus König Wahnheide, St. Bartholomäus Urbach und St. Mariä Himmelfahrt Grengel den Pfarrverband Christus König. Zu den sonntäglichen Gottesdiensten kommen aber immer noch regelmäßig 50 bis 100 Gläubige, sagt Christian Gawenda. „Wir sind eben eine richtige Gemeinschaft“, sagt auch der 61-jährige Diakon.
Und eine sehr aktive noch dazu. So organisiert etwa die Katholische Frauengemeinschaft regelmäßig den Weihnachtsbasar, gemeinsam mit dem Bürgerverein veranstaltet die Gemeinde seit einigen Jahren zudem das Straßenfest „Der längste Desch vun Libur“ und alle paar Jahre gibt es ein Pfarrfest. Auch einen eigenen Karnevalszug gibt es in Libur, und der ist ein ganz Besonderer. „Bei uns bewerfen die Jecken am Straßenrand die Kinder im Zug mit den Kamellen und nicht umgekehrt“, verrät Marti. Mit Eimern und voluminösen Tüten stehen die Erwachsenen am Karnevals-Freitag am Straßenrand und zielen mit ihren Würfen auf die großen und kleinen Zugteilnehmer.
In den Garagenzufahrten, Vorgärten und natürlich auch vor St. Margaretha bauen die Anwohner dann auch Tische auf, an denen die Jecken beim Warten auf den Zug bewirtet werden. Mancher bezeichnet das beschauliche Libur auch als gallisches Dorf, das mit seinen Eigenheiten und der festen Gemeinschaft dem Trubel und der Anonymität der Großstadt trotzt. Mit nur 1135 Einwohnern ist Libur zudem der kleinste Kölner Stadtteil. Rund 50 davon bilden eine weitere Liburer Besonderheit: den einzigen Kölner Junggesellenverein: den JGV Libur.
Die unverheirateten Jungs im Alter zwischen 16 und 35 Jahren feiern zusammen, organisieren das Maifest und singen jedem, der aus ihrer Gemeinschaft ausscheidet, ein Ständchen. „Wenn einer aus unseren Reihen heiratet, dann kommen wir beim Polterabend vorbei und singen“, erzählt Bastian Beres. Die Vereinstradition haben die jungen Männer von ihren Großvätern übernommen. Schon in den 1940er Jahren gab es den Junggesellenverein. Doch irgendwann war die organisierte Gemeinschaft einfach verschwunden, bis die heutigen Mitglieder vor rund 13 Jahren den Verein wiederaufleben ließen.
„Der Verein ist wie eine Familie für mich“, schwärmt Bastian Bleffert, einer von zwei Vereinsvorsitzenden. Sein großer Bruder war auch schon Vorsitzender. Mittlerweile ist bereits die zweite Generation nach der erneuten Vereinsgründung am Ruder und der JGV gehört wie selbstverständlich zum Stadtteilleben. Zum Maifest kommt der ganze Ort zusammen und feiert mit dem Junggesellen auf dem Dorfplatz.
Ende Mai sammeln die Männer die Maibäume wieder ein, die sie ihren Angebeteten vor die Tür gestellt haben. Auf dem Bolzplatz, der am südlichen Ende des Stadtteils liegt, machen die jungen Männer dann ein großes Feuer. Ausgelassen können sie dort feiern, ohne dass es jemanden stört. Ein Privileg der eher ländlichen Abgeschiedenheit, welches die Vereinsmitglieder genießen. In Libur kennt man sich, und die Nachbarn wissen, wer da lärmt. So ist der kleine Stadtteil wirklich eine gute Verbindung aus Tradition und Moderne, aus Stadt und Land. Die alten Bräuche leben noch heute und werden von der Jugend fortgeführt, und die Kölner Innenstadt mit ihrem Großstadt-Trubel ist mit Bus und Bahn schnell zu erreichen, doch auf den Feldern und Wiesen um Libur auch angenehm fern. Oder wie der 27-jährige Beres treffend sagt: „Libur ist zentral im Nirgendwo.“
Die Geschichte von Libur
Erstmals urkundlich erwähnt wird Libur 1183 im Mirakelbuch des heiligen Anno. In dieser Sammlung von Wunderberichten aus dem Jahr 1185 ist die Rede von der Ortschaft „Lebure“. Zur Bedeutung des Ortsnamens finden sich unterschiedliche Erläuterungen: so kann er Obdach oder Schutz bedeuten, es gibt aber auch eine mögliche Herleitung von den althochdeutschen Begriffen lê (bedeutet Grabhügel) und bûr ( Haus oder Wohnung). Dann wäre der Ortsname als Wohnort am Grabhügel zu verstehen. 1936 fanden Forscher eine Schaftlochhacke, die auf eine Bandkeramiksiedlung hinweist, was bedeuteten kann, dass an dieser Stelle bereits in der Jungsteinzeit (5000 bis 2000 v.Chr.) eine Siedlung existierte. Im Jahr 1482 stiftete der Graf von Plettenberg dem Ort eine Priesterstelle und 1582 wurde eine Feldkapelle der heiligen Margaretha errichtet, die 1911 durch einen größeren Neubau ersetzt wurde: die katholische Pfarrkirche St. Margaretha. Libur gehörte früher als südlichster Ort zur Bürgermeisterei Wahn, später dann zu Porz. Mehrere Fachwerk- und Backsteinbauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert, aber auch zahlreiche Wegekreuze und Kapellen prägen noch heute das Ortsbild. (af)
Die größten Baustellen in Libur
Große Probleme mit dem Verkehr hat man in Libur nicht, trotzdem gehört ein geplantes Verkehrsprojekt zu den Sorgen der Menschen im Veedel. Die schon lange geplante neue Rheinbrücke könnte gefährlich nah an der kleinen Ortschaft vorbeiführen. Die neue Brücke soll die Autobahnen 59 und 555 verbinden, dabei sind unterschiedliche Trassenführungen im Gespräch. Eine Variante könnte von der A59 aus durch die Spicher Seen und zwischen Langel und Lülsdorf über den Rhein verlaufen und somit Libur sehr nahe rücken. Ein anderes Problem ist die in die Jahre gekommene Liburer Straße, die als Umgehung den Ort vom Verkehr entlastet. Doch mehrere Rohrbrüche unter der Fahrbahn haben in den vergangenen Jahren häufig den kompletten Verkehr zum Erliegen gebracht. „Die Straße muss dringend saniert werden“, fordert Helmut Marti, Chef des Liburer Bürgervereins. Außerdem gibt es im Ort keine Nahversorgung mehr, nicht mal einen Kiosk. Doch das werde sich wohl auch nicht mehr ändern, glaubt Marti.Dafür sei Libur mit seinen rund 1100 Einwohner einfach zu klein. „Da lohnt sich ein Supermarkt einfach nicht.“ (af)