CybergroomingFatal verliebt im Netz
Köln – Im Internet nennt er sich Marc. Erst schreibt er, dass er 15 Jahre alt ist. Und eine Woche später, dass er total verliebt ist in Anna, 12 (alle Namen geändert). Dass er so gerne ein paar sexy Fotos von ihr hätte. Und ob sie sich nicht einmal im echten Leben treffen können, zum Beispiel in einem Eiscafé.
Oldie statt Teenager
Dass Marc in Wahrheit 42 Jahre alt ist, ganz anders heißt, mit acht Teenagerinnen wochenlang gleichzeitig chattet und auf aufreizende Fotos, Videos und Realkontakte aus ist, weiß Anna nicht. Ihr Herz klopft, wenn Marc ihr schreibt. Gleichzeitig fühlt sie sich unbehaglich, wenn sie ihm sexy Selfies von sich schicken soll.
Frauke Mahr und Beatrice Braunisch kennen viele Fälle wie diesen. Im gemeinnützigen Verein "Lobby für Mädchen" bieten sie gemeinsam mit ihrem Team sieben, zum Teil auch schon von "wir helfen" unterstützte Präventions-Workshops an, um Mädchen zu stärken.
Sexuelle Übergriffe im Netz
Einer davon ist neu und nennt sich "Verliebt im Netz". In dem Kurs geht es um Cyber-Grooming, die Anbahnung sexueller Kontakte von Erwachsenen mit Minderjährigen im Internet. In den vergangenen 12 Jahren haben sich die erfassten Straffälle mehr als verdoppelt (siehe Grafik rechts). Und es geht auch um Sexting: das Versenden erotischer Bilder über das Handy oder den PC.Die Kursteilnehmerinnen kommen von Kölner Schulen und Trägern der Jugendhilfe. Das Thema ist für sie ein großes. Fast jeder und jede Jugendliche nutzt heute ein internetfähiges Smartphone. Laut der JIM-Studie von 2016 nutzen es Jungen überwiegend zum Zocken, während die Mädchen lieber chatten.
Träume und Sehnsüchte aufbauen
Sehr jung und sehr beeinflussbar: Für Cyber-Groomer ist diese Altersspanne ideal. Die Anbahnung passiert anfangs scheinbar harmlos, oft über die Chat-Funktion verschiedener Spiele-Apps, die bei Jugendlichen beliebt sind. Die Täter geben sich als gleichaltrig oder nur wenig älter aus und stilisieren sich als verständnisvolle Traumtypen. Die Text-Nachrichten lauten dann: "Du warst ja gestern gar nicht online, was hast du denn genau gemacht?" "Heute ist Dienstag, gehst du da wieder zum Tennistraining?" "Du hast Probleme in Mathe? Meine Schwester ist genau so alt wie du und kann mir bestimmt einen Tipp für dich geben.""Im Netz ist es viel leichter, Träume und Sehnsüchte aufzubauen, weil man sich ja nicht sieht", sagt Gesamtkoordinatorin Frauke Mahr.
Einsame Mädchen sind empfänglich
Vor allem einsame Mädchen mit einem eher schwachen sozialen Umfeld sind empfänglich für schmeichelhafte Chat-Botschaften. Doch was treibt einen Mann dazu, Elfjährige um Nacktfotos anzubetteln? Pädophile Absichten sind es nicht in jedem Fall. Viel mehr geht es um den Macht-Aspekt, der bei sexualisierter Gewalt immer eine Rolle spielt. "Indem sie drohen, schaffen es die Täter oft, die betroffenen jungen Mädchen zu isolieren, so dass bei ihnen eine noch größere Form von Einsamkeit entsteht", erklärt Lobby für Mädchen-Geschäftsführerin Beatrice Braunisch. "Wenn der Kontakt dann ausufert und Freundinnen oder Eltern etwas mitbekommen, stellen sich bei den Mädchen schnell Scham und Schuldgefühle ein."
Du darfst immer Nein sagen
"Wir weisen immer wieder darauf hin, dass die Mädchen keine Schuld trifft. Auch wenn sie Bilder verschickt oder sich auf ein Treffen eingelassen haben", sagt Julia Berentelg vom Präventionsteam. Das Chatten zu verbieten, wäre der falsche Weg. Die Expertinnen versuchen den Mädchen stattdessen ein besseres Selbstbewusstsein zu vermitteln: "Nimm deine Gefühle ernst. Lass dich nicht manipulieren und bestimme die Regeln im Internet mit. Überlege dir genau, ob du Fotos oder Videos von dir tatsächlich verschicken willst. Ist dir klar, dass das Material überall im Netz kursiert? Du darfst immer und zu jeder Zeit Nein sagen. Auch im Internet." Die Täter fühlen sich durch die Anonymität im Netz oft sehr sicher. Kommt es zum realen Treffen und der Altersunterschied lässt sich nicht mehr verbergen, bitten sie meist charmant lächelnd darum, ihnen diese kleine Lüge zu verzeihen.
Kontakt statt strikte Verbote
Das Lobby für Mädchen-Team rät betroffenen Eltern, den Kontakt zu ihren Kindern zu halten - statt strikte Verbote auszusprechen. "Die bringen im digitalen Zeitalter nichts." Besser sei es, Regeln aufzustellen und gleichzeitig Interesse und Offenheit für die Probleme der Kinder zu signalisieren. Ein letzter Tipp: Statt Chats generell abzuwerten, sollten sich Eltern zeigen lassen, wo genau ihre Kinder im Netz unterwegs sind.
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