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Ehrenamt in KölnDer heiße Draht zu Kindern in Not

Lesezeit 5 Minuten
Ein kleiner Junge mit Tränen auf der Wange hält einen Telefonhörer in der Hand.

Deutschlands erstes Kinder- und Jugendtelefon ging in Köln an den Start.

Das Kinder- und Jugendtelefon wird 55 Jahre alt. Kinderschutzbund Köln sucht Ehrenamtliche für sein Angebot.

Wie so viele Geschichten mit Herz und Seele, nimmt auch diese ihren Anfang in Köln. 55 Jahre ist es her, dass drei ehrenamtlich Engagierte beim Kölner Kinderschutzbund nicht länger hinnehmen wollten, dass in der Zeit um die Zeugnisvergabe herum so viele junge Menschen im Stillen leiden. Und den Ärger, die Schläge, die Strafen, die sie Anfang der Siebziger deshalb noch häufig zu Hause erfuhren, alleine ertragen müssen.

Also malten Harry Christ, Inke Bayer und Helga Becker Plakate, auf denen sie unter Angabe ihrer privaten Telefonnummer Kindern und Jugendlichen ein offenes Ohr für deren Nöte anboten und verteilten sie an Kölner Schulen.

Bundesweit erster Notruf für Kinder startet in Köln

Das war die Geburtsstunde des bundesweit ersten Notrufs für Kinder und Jugendliche. Weil eine überregionale Boulevard-Zeitung Wind von der Kölner Kinderschutz-Aktion bekam und am 6. Oktober 1970 unter der Überschrift „Ich weiß nicht mehr weiter!“ über Deutschlands erste Telefonseelsorge für Jugendliche berichtete, verbreitete sich das Angebot wie ein Lauffeuer in der gesamten Republik.

Die ersten Hilfe-(An-)rufe aus anderen deutschen Großstädten ließen nicht lange auf sich warten. Da war das verzweifelte 14-jährige Mädchen, das überfordert war mit der Versorgung seiner vier Geschwister. Es hatte niemanden, an des es ich wenden konnte, die Mutter musste nach dem Tod des Vaters den lieben langen Tag arbeiten. Oder der drogenabhängige Teenager, der des Lebens müde war. Der Achtjährige, der ausreißen wollte, weil er die Gewalt zu Hause nicht mehr ertrug. Die Pubertierende, die Angst vor dem betrunkenen Vater hatte. Der Junge, der von der Schule flog.

Ihnen und vielen anderen Kindern und Jugendlichen in Not konnte das Kölner Seelsorger-Trio helfen – mitunter auch, indem es direkt vor Ort im Elternhaus intervenierte, die Polizei oder das Jugendamt einschaltete.

Nummer gegen Kummer: Anonymität und Vertraulichkeit haben oberste Priorität

Heute, 55, Jahre später, haben Anonymität und Vertraulichkeit oberste Priorität, direkt einzugreifen ist den „Seelsorgern“ ausdrücklich untersagt. „Die anspruchsvolle Aufgabe unserer derzeit 20 ehrenamtlichen Beraterinnen und Beratern ist in erster Linie, den jungen Ratsuchenden zuzuhören, ihnen Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken und sie mit ihren Sorgen und Nöten ernstzunehmen“, sagt Hans-Jürgen Dohmen, der den Bereich Ehrenamt beim Kölner Kinderschutzbund leitet.

In letzter Zeit spielt das Thema Mental Health eine bedeutende Rolle. Es geht aber auch viel um Isolation, Stress mit den Eltern oder Freunden, um Sexualität und sexualisierte Gewalt.
Hans-Jürgen Dohmen, Bereichsleiter Ehrenamt beim Kölner Kinderschutzbund

Ziel der Telefonate sei nicht zwangsläufig, eine Lösung zu präsentieren, sondern die Kinder und Jugendlichen dabei zu unterstützen, selbst eine Idee dafür zu entwickeln, bei wem sie welche Hilfe finden können.

Kostenloses, bundesweites Hilfsangebot für junge Menschen in Not

Inzwischen müssen die jungen Hilfesuchenden auch nicht mehr sechs Pfennig für den Anruf aufbringen – dank Unterstützung der Deutschen Telekom ist die „Nummer gegen Kummer“ bundesweit und kostenlos unter der 116111 erreichbar – montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr.

Aus drei privaten Kölner Anschlüssen hat sich ein bundesweites, professionelles Netzwerk von knapp 80 Kinder- und Jugendtelefonen entwickelt, die, in dem im Jahr 1980 gegründeten Dachverband „Nummer gegen Kummer e. V.“ organisiert sind. Neben dem Kölner Kinder- und Jugendtelefon gibt es in der Umgebung weitere Angebote in Bonn, Bergisch Gladbach, Leverkusen und Sankt Augustin.

Die anspruchsvolle Aufgabe unserer derzeit 20 ehrenamtlichen Beratern ist in erster Linie, den jungen Ratsuchenden zuzuhören, ihnen Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken.
Hans-Jürgen Dohmen, Bereichsleiter Ehrenamt beim Kölner Kinderschutzbund

Der Kölner Notruf finanziert sich ausschließlich durch private Spendenmittel – unter anderem auch von „wir helfen“ – und Initiativen wie Sponsorenläufe an Kölner Schulen. Im vergangenen Jahr nahmen die derzeit 20 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als 2.600 Anrufe von Kindern und Jugendlichen entgegen, rund 800 davon waren intensive Beratungen.

Trauer ums tote Meerschweinchen und Suizidgedanken

Die Anliegen, Sorgen und Nöte der Kinder und Jugendlichen sind vielfältig und reichen von der Trauer um das verstorbene Meerschweinchen bis hin zu Suizidgedanken. „In letzter Zeit spielt das Thema Mental Health eine bedeutende Rolle, seit der Corona-Pandemie suchen junge Menschen vermehrt Rat wegen psychischer Probleme. Es geht aber auch viel um Isolation, Stress mit den Eltern oder Freunden, um Sexualität und sexualisierte Gewalt“, sagt Dohmen.

Da die Nachfrage der Jungen und Mädchen in Not nach einem offenen, anonymen Ohr wesentlich größer ist als die Zahl der ehrenamtlichen Mitarbeitenden und das Telefon in der Zentrale an der Bonner Straße nicht stillsteht, bietet der Kinderschutzbund Köln ab 5. März 2025 eine neue Schulungsreihe für Anwärterinnen und Anwärter auf das Ehrenamt für „Die Nummer gegen Kummer“ an.

Keine Ratschläge, keine Urteile

Gesucht werden offene und tolerante Menschen, die Verständnis aufbringen können für unterschiedliche Lebenslagen und Probleme von Kindern und Jugendlichen. „Sie sollten außerdem dazu in der Lage sein, sich mit Ratschlägen und (Be-)Wertungen zurückzuhalten und sie sollten gut zuhören können“, sagt Dohmen.

Etwa wenn am anderen Ende der Leitung eine Teenagerin davon berichtet, dass sie sich so betrunken hat, dass sie nicht mehr weiß, was in dieser Zeit geschehen ist. Wenn ein Elfjähriger von seinem Wunsch erzählt, mit Mädchenkleidern in die Schule zu gehen. Oder ein 15-Jähriger beichtet, dass er gerne Kinderpornos anschaut.

Intensiv geschult und professionell betreut

„Mit all diesen, teils belastenden Gesprächen werden unsere Ehrenamtlichen natürlich nicht alleingelassen“, verspricht Dohmen. Zum einen werden sie im Rahmen der 80-stündigen Schulung intensiv auf die anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet – und auch darüber hinaus von den hauptberuflichen Mitarbeitenden des Kinderschutzbunds fachlich begleitet.

Es gibt einen „Notfallplan“ für die Telefonberaterinnen und -berater, der sicherstellt, dass hauptamtliche Fachkräfte kurzfristig persönlich oder telefonisch zur Verfügung stehen. Darüber hinaus bieten regelmäßige Teamsitzungen die Möglichkeit, schwierige Beratungen oder anderes Belastendes gemeinsam mit den Fachkräften des Kinderschutzbundes aufzuarbeiten.

Ein Wunsch zum kölschen Jubiläum

„Es wäre ein wunderbares Geschenk zum kölschen Jubiläum, dem 55. Geburtstag unseres Kinder- und Jugendtelefons, wenn sich mindestens 20 Freiwillige fänden, die mithelfen, es am Laufen zu halten“, sagt Dohmen. So viele potenzielle Telefon-Beraterinnen und -berater können an der Schulung teilnehmen. Und spätestens nach einem halben Jahr dazu beitragen, dass der heiße Draht zur Jugend auch künftig nie abbricht.


Bewerben Sie sich jetzt! Schulung für Ehrenamtliche startet am 5. März

  1. Ab 5. März 2025 bietet der Kinderschutzbund Köln eine neue, insgesamt 80-stündige Schulungsreihe für Anwärterinnen und Anwärter auf das Ehrenamt an. Die Termine finden mittwochs von 17 bis 20 Uhr statt sowie an drei Samstagen für je sechs Stunden in der Bonner Straße 151, 50968 Köln. Anschließend gibt es eine fakultative 10-stündige Hospitation beim Kinder- und Jugendtelefon.
  2. Inhaltlich geht es um Kommunikationstheorien und -kompetenzen, die die besondere Beratungssituation am Telefon erfordert (kein direkter Kontakt, meist einmaliges Gespräch, keine Möglichkeit eines erneuten Kontakts), Umgang mit schwierigen Telefonaten, Gesprächsführung, Haltungsfragen (Wertungen und Ratschläge vermeiden), Wissensvermittlung zu Themen, die am Telefon vorkommen (Sucht, Suizid, psychische Erkrankungen, Gewalt, Sexualität etc.) sowie praktische Übungen und Selbsterfahrungstraining.
  3. Das sollten Interessenten mitbringen: Offenheit und Toleranz, die Bereitschaft, für zwei Jahre, mindestens einmal pro Woche einen 2-stündigen Telefondienst zu übernehmen und ein Mal im Monat an einer Teamsitzung teilzunehmen. Anmeldungen sind ab sofort möglich per E-Mail an ehrenamt@ kinderschutzbund-koeln.de. Rückfragen werden gerne telefonisch beantwortet (0221-57777-0).
  4. Hier >> können Interessierte einen Bewerbungsbogen herunterladen und ihn samt Lebenslauf und Foto an den Kinderschutzbund Köln, Bereich Ehrenamt, Bonner Str. 151, 50968 Köln oder per Mail senden.