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Ehrenamt in KölnNeuer Verein sucht Wegbegleiter für Heimkinder

Lesezeit 6 Minuten
Ein Mann und ein kleiner Junge lehnen sich gemeinsam an eine weiße Wand an.

Vor allem Kinder und Jugendliche, die in Heimen leben, brauchen eine erwachsene Bezugsperson.

Jungen Menschen, die im Heim leben, fehlt oft eine erwachsene Bezugsperson. Ein Kölner Verein bildet ehrenamtliche Wegbegleiter aus.

Sie haben vor einem Jahr in Köln einen Verein gegründet mit der Vision, dass bundesweit möglichst viele Heimkinder, um die sich außerhalb der Einrichtung niemand kümmert, eine ehrenamtliche Wegbegleitung erhalten. Worum geht es dabei genau?

Julius Daven: Ehrenamtliche Wegbegleiter sind von uns qualifizierte erwachsene Bezugspersonen für, früher sagte man Heimkinder, heute nennt man sie Kinder und Jugendliche, die in Wohngruppen der Jugendhilfe leben. Wegbegleiter unterstützen junge Menschen, denen eine erwachsene Bezugsperson außerhalb der Einrichtung fehlt. Sie schenken ihnen Zeit, Aufmerksamkeit und begleiten sie langfristig durchs Leben, vor allem auch nach ihrem Auszug aus dem Heim. Für Careleaver, ehemalige Heimkinder, ist der Übergang in ein selbstständiges Leben meist mit Herausforderungen verbunden, die sie vorwiegend alleine bewältigen müssen. Denn sie bekommen, wenn überhaupt, wenig Unterstützung von ihrer Herkunftsfamilie und fühlen sich manchmal unendlich allein.

Wie viele Kinder und Jugendliche sind betroffen? Und was sind ihre besonderen Bedürfnisse?

Mehr als 100.000 Minderjährige leben hierzulande dauerhaft in Wohngruppen der stationären Jugendhilfe – rund 25.000 davon in Nordrhein-Westfalen. Viele von ihnen haben keinen leichten Rucksack zu tragen, sind vom Jugendamt in Obhut genommen worden, weil sie zu Hause belastenden Situationen ausgesetzt waren, extreme Vernachlässigung, Missbrauch, körperliche oder psychische Gewalt erfahren haben. Sie wurden von der Familie getrennt und sind auch danach teils vielen Orts- und Beziehungswechseln ausgesetzt. Das erklärt, warum viele betroffene junge Menschen unter massiven Bindungsproblemen leiden, da sie in ihrem Leben nie erfahren haben, was Beziehung und Bindung bedeutet.

Brauchen diese traumatisierten Kinder und Jugendlichen nicht speziell ausgebildete Bezugspersonen?

Ehrenamtliche Wegbegleitung soll die professionellen Betreuungsstrukturen in den Einrichtungen ja nicht ersetzen, sondern ergänzen. Darüber, dass jeder junge Mensch mindestens eine Person braucht, die immer für ihn da ist, an ihn glaubt und ihn nicht in Frage stellt, ist man sich in den Wohngruppen bewusst, und setzt gezielt auf Mitarbeiterbindung. Aber auf die hohe personelle Fluktuation, aufgrund von Schichtbetrieb, natürlichen Wechseln, oder weil ein Kind mehrmals die Wohngruppe wechselt, bis es dort ankommt, wo es hinpasst, haben die Einrichtungen nur begrenzt Einfluss.

Julius Daven ist Gründer und Vorsitzender des EWD e.V.

Julius Daven ist Gründer und Vorsitzender des EWD e.V.

Wegbegleiter sind exklusiv für die jungen Menschen da – und geben ihnen das Gefühl: Ich bin wertvoll, da ist jemand, der sich freiwillig um mich kümmert und nicht dafür bezahlt wird
Julius Daven, Geschäftsführer von „Ehrenamtliche Wegbegleitung Deutschland e.V.“

Außerdem handelt es sich dabei um professionelle Beziehungen. Den Kindern ist bewusst, dass die Menschen, die sich um sie kümmern, dafür bezahlt werden. Wegbegleiter sind aber freiwillig, unentgeltlich und exklusiv für die jungen Menschen da – und geben ihnen das Gefühl: Ich bin wertvoll, da ist jemand, der sich um mich kümmert und nicht dafür bezahlt wird.

Wie genau qualifizieren Sie Ihre ehrenamtlichen Mitarbeitenden, anders gefragt: Wie (zeit-)aufwendig ist die Ausbildung zur ehrenamtlichen Wegbegleitung?

Zunächst durchlaufen unsere Bewerberinnen und Bewerber einen 7-Stufen-Eignungsplan. Er beinhaltet unter anderem einen ausführlichen Fragebogen, ein 45-minütiges Online-Video-Gespräch, bei dem es vor allem um die Motivation der Bewerber geht. Zudem erwarten wir ein erweitertes Führungszeugnis. Passt bis dahin alles, kommt es zu einem Hausbesuch samt einstündigem Gespräch, dem dann zwei ganztägige Workshop-Samstage folgen. Dabei geht es neben pädagogischen Inhalten um die intensive Auseinandersetzung mit unserem Gewaltschutzkonzept.

Das erklärt, warum viele betroffene junge Menschen unter massiven Bindungsproblemen leiden, da sie in ihrem Leben nie gelernt und erfahren haben, was Beziehung und Bindung bedeutet
Julius Daven, Geschäftsführer des Vereins „Ehrenamtliche Wegbegleitung Deutschland e.V.“

Wir qualifizieren aber nicht nur, wir begleiten unsere Wegbegleiter, bieten ihnen mindestens vier Mal im Jahr professionelle Supervisionen an. Außerdem geben wir ihnen und auch den Kindern und Jugendlichen eine von uns entwickelte App an die Hand, mit der uns beide Seiten nach einem gemeinsamen Treffen eine Rückmeldung geben können, wie der Tag gelaufen ist.

Inwiefern werden die betroffenen Kinder und Jugendlichen eingebunden in Ihre Suche nach dem geeigneten Wegbegleiter, beziehungsweise einer Begleiterin?

Wir haben die in Frage kommenden jungen Menschen zuvor natürlich persönlich kennengelernt. Außerdem erhalten auch sie einen Fragebogen, auf dem sie Auskünfte über ihre Person, ihre Interessen und Wünsche geben. Wir suchen dann das Tandem aus, das am besten zueinander passt. Bislang ist uns das gut gelungen.

Was sollten Bewerberinnen und Bewerber mitbringen für diese Aufgabe?

Als ehrenamtliche Wegbegleiter kommen Menschen in Frage, die die richtigen Absichten mitbringen. Das überprüfen wir zu Beginn genau und überwachen es auch engmaschig im weiteren Verlauf. Darüber hinaus sollten sie reflexionsstark sein, Spaß haben, mit jungen Menschen umzugehen und auch nicht davor zurückschrecken, dass das mit Herausforderungen verbunden sein kann. Interessenten sollen sich auch darauf einlassen, nach der Grundqualifizierung immer wieder Schulungen zu besuchen. Außerdem bitten wir darum, an regelmäßigen Supervisionsterminen teilzunehmen, um Unterstützung für den Umgang mit schwierigen Erlebnissen zu erhalten.

Was bieten Wegbegleiter jungen Menschen, die im Heim leben – und danach konkret?

Sie holen diese Jungen und Mädchen regelmäßig am Wochenende für mindestens vier Stunden ab und unternehmen mit ihnen Dinge, die beiden Spaß machen. Damit ermöglichen sie den Kindern, die zuvor an den Wochenenden alleine im Heim zurückblieben, in ihrer Wohngruppe auch einmal ausladend von einem tollen Ausflug erzählen zu können.

Dadurch, dass die Wegbegleiter jeweils nur für einen einzelnen jungen Menschen da sind, erfüllen sie dessen großen Wunsch, dass sich jemand nur für ihn Zeit nimmt: Exklusiv, verlässlich und dauerhaft. Wegbegleiter machen den jungen Menschen Mut, das Leben nach der Zeit in der Wohngruppe als Careleaver selbstständig weiterzuführen. Und sie geben ihnen auch nach dem Auszug aus dem Heim Orientierung und Halt. Kurz: Sie versorgen Kinder, die von ihren Eltern kein Urvertrauen, keine Geborgenheit oder ein Sicherheitsgefühl vermittelt bekommen haben, mit genau diesen Erfahrungen, die jeder junge Mensch braucht, um eine stabile Persönlichkeit entwickeln zu können.

Wie ist die Idee entstanden, genau diesen Verein zu gründen?

Zum einen bin ich selbst betroffen, habe zu Hause viel Gewalt erfahren – und weiß heute, wie sehr meine persönliche Wegbegleiterin mein Leben positiv beeinflusst hat. Ohne sie, die Mutter einer Freundin, die selbst in einer Pflegefamilie aufwuchs, und mich 40 Jahre lang begleitete, wäre ich nicht der, der ich heute bin. Weil ich weiß, was es bedeutet, sich allein und hilflos zu fühlen, kann ich mich gut in Heimkinder hineinversetzen und fühlen, was einigen von ihnen fehlt.

Interessierte sollten reflexionsstark sein, Spaß haben, mit jungen Menschen umzugehen und auch nicht davor zurückschrecken, dass das mit Herausforderungen verbunden sein kann
Julius Daven bildet ehrenamtliche Wegbegleiter aus

Außerdem war mein Wunsch, dass sich die Wissenschaft mit dem Thema beschäftigt, um eine Lücke im Hilfesystem zu schließen. Im Rahmen meiner Recherchen lernte ich Professor Andreas Schrenk kennen, ein ausgewiesener Experte für Schutzkonzepte und sehr interessiert an dem Thema Wegbegleitung. Wir beschlossen, gemeinsam mit Experten verschiedener Fachdisziplinen einen wissenschaftlichen Sammelband zu erstellen. Er ist inzwischen erschienen. Was noch fehlte, war eine Organisationsform, die in der Lage ist, die Standards der Wegbegleitung, Schutzkonzepte oder Supervisionen, professionell umzusetzen. Schnell war klar, dass wir dafür einen Verein gründen müssen. Inzwischen haben wir schon vier Wegbegleiter ausgebildet und die passenden Kinder für sie gefunden.

Ihre Ziele und Visionen?

Auf lange Sicht möchten wir als anerkannter Träger der Kinder- und Jugendhilfe ein bundesweites Netzwerk aufbauen, auf das die jungen Menschen nach ihrem Auszug aus der Wohngruppe und weit darüber hinaus zurückgreifen können. Jetzt geht es aber erst einmal darum, interessierte Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter in Köln und der Umgebung auszubilden. Ende Oktober startet unsere nächste Qualifizierungsreihe. Wir freuen uns über viele interessierte Menschen mit einem großen Herz für Kinder und Jugendliche, die nicht zu Hause leben können. Einige Kinder warten schon sehnlichst auf ihre Wegbegleiter.

Die nächste Qualifizierungsreihe zur ehrenamtlichen Wegbegleitung startet Ende Oktober in Köln. Wer sich für dieses Ehrenamt interessiert, meldet sich hier per E-Mail an den Verein „Ehrenamtliche Wegbegleitung Deutschland e.V.“


So können Sie helfen - Spenden Sie jetzt für Kölner Kinder in Not

  1. Mit unserer Jahresaktion „wir helfen: weil jedes Kind wertvoll ist“ bitten wir um Spenden für Projekte und Initiativen in Köln und der Region, die Kindern und Jugendlichen eine gute körperliche und geistige Entwicklung ermöglichen. Damit jeder junge Mensch in unserer Gesellschaft einen Platz findet, an dem er gesund, sicher und glücklich aufwachsen kann. Und an dem er gefördert wird.
  2. Die Spendenkonten lauten: „wir helfen - Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e.V.“
  3. Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55
  4. Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25
  5. Wünschen Sie eine Spendenbescheinigung, geben Sie bitte +S+ im Verwendungszweck an. Sollten sie regelmäßig spenden, ist auch eine jährliche Bescheinigung möglich. Bitte melden Sie sich hierzu gerne per E-Mail bei uns. Soll Ihre Spende nicht veröffentlicht werden, notieren Sie +A+ im Verwendungszweck. Möchten Sie anonym bleiben und eine Spendenbescheinigung erhalten, kennzeichnen Sie dies bitte mit +AS+.
  6. Bitte geben Sie in jedem Fall immer ihre komplette Adresse an. Auch wenn Sie ein Zeitungsabonnement der „kstamedien“ beziehen, ist Ihre Adresse nicht automatisch hinterlegt.
  7. Sollten Sie per PayPal spenden, beachten Sie bitte, dass Ihre Spende immer anonym ist. Wünschen Sie eine Spendenbescheinigung schicken Sie bitte eine E-Mail an uns.
  8. Sollten Sie anlässlich einer Trauerfreier, einer Hochzeit oder eines Geburtstags zu einer Spendenaktion aufzurufen, informieren Sie uns bitte vorab per E-Mail über die Aktion. Sehr gerne lassen wir Ihnen dann, zwei Wochen nach dem letzten Spendeneingang, die gesammelte Spendensumme zukommen.
  9. Kontakt: „wir helfen e.V.“, Amsterdamer Straße 192, 50735 Köln, Telefon: 0221-2242789 (Allgemeines, Anträge), 0221-224-2130 (Redaktion)  wirhelfen@kstamedien.de
  10. Mehr Infos und die Möglichkeit, online zu spenden, finden Sie auf unserer Vereinshomepage hier >>