AboAbonnieren

FeriencampKinder gründen eigene Stadt in Chorweiler

Lesezeit 4 Minuten
Eine 13-jährige Teilnehmerin der Kinderstadt wurde zur Bürgermeisterin gewählt, sie steht vor einer Graffiti-Wand, vor ihr sitzen Jugendliche an einem Tisch.

Luisa, 13, ist beim Camp des Vereins Kindernöte e.V. zur Bürgermeisterin der Kinderstadt gewählt worden.

110 Jungen und Mädchen nahmen am Feriencamp des Vereins „Kindernöte“ teil - in ihrer selbst verwalteten Stadt „Kidisidi“.

Bankdirektor, Bürgermeisterin, Radioreporter oder Chemielaborantin – das sind nur einige der Rollen, in die rund 110 Kinder aus Chorweiler, allesamt zwischen sechs und 14 Jahren alt, beim Projekt „Kinderstadt“ schlüpfen konnten.

Das Feriencamp wird vom Verein „Kindernöte“ organisiert und ist seit Jahren das Highlight für viele Jungen und Mädchen aus dem Stadtbezirk. Es bietet ihnen nicht nur Spaß, warme Mahlzeiten und Zusammenhalt, es lässt sie auch in fremde Welten eintauchen. Die Kinder wählen eine Bürgermeisterin, arbeiten in unterschiedlichen Gewerken – etwa in einer Bank, dem Arbeitsamt, einem Kiosk oder einer Radioshow – verdienen dort Geld und können es wieder ausgeben. Sie produzieren, sind kreativ tätig und üben Dienstleistungen aus, eben wie in einer „richtigen“ Stadt.

Partizipation und Teilhabe in Köln-Chorweiler

Für das Feriencamp haben die Organisatorinnen und Organisatoren das Gelände des Jugendzentrums „Northside“ in die Kinderstadt „Kidisidi“ verwandelt. Auf dem großzügigen Areal befinden sich auch eine Gärtnerei, ein Chemielabor, ein Schmuckatelier, eine Kunstgalerie, ein Café mit Cocktailbar, ein Sportverein und eine Theaterbühne. „Wir haben alle Bereiche, die für das Funktionieren einer Stadt wichtig sind, aufgebaut. In unserem Feriencamp geht es um Partizipation, Teilhabe und Selbstbestimmung“, sagt Ingrid Hack, Geschäftsführerin des Vereins „Kindernöte“.

Drei Mädchen und ein Junge sitzen auf der Leiter eines Spielplatzgerätes, sie gehören zum Reportteam des Feriencamps. Neben ihnen steht eine Betreuerin die Vereins Kindernöte e.V.

Das Reporterteam Luis, Julia, Lara, Aiza und Betreuerin Nele Thielmann.

Das Projekt „Kinderstadt“ ist seit Jahren erprobt und beliebt. Die Mädchen und Jungen gehen in ihren neuen Rollen vollkommen auf und fühlen sich ernstgenommen. „Ich konnte mich gegen sieben andere Bewerber durchsetzen, das macht mich sehr stolz. Aber ich merke, dass es auch sehr anstrengend ist. Ich muss als Chefin von Kidisidi für alle ansprechbar sein, muss alles überprüfen, zum Beispiel ob das Geld korrekt eingezahlt und verbucht wird, und ich muss Streit schlichten“, sagt Luisa. Die 13-jährige wurde von den jungen Teilnehmenden zur Bürgermeisterin gewählt.

Kinder lernen auch, mit Geld umzugehen

Am Bankschalter herrscht viel Betrieb, denn die Bewohnerinnen und Bewohner bekommen für ihre Arbeit 20 Taler pro Vormittags- und Nachmittagsschicht, also bis zu 40 Taler pro Tag. Das Geld können sie auf das eigene Konto einzahlen, sparen oder ausgeben. Zum Beispiel am Kiosk, wo Perlenarmbänder, Bilder oder Insektenhotels verkauft werden. Die Waren haben die Jungen und Mädchen zuvor in den verschiedenen Werkstätten auf dem Gelände selbst hergestellt.

Wir haben alle Bereiche, die für das Funktionieren einer Stadt wichtig sind, aufgebaut. In unserem Feriencamp geht es um Partizipation, Teilhabe und Selbstbestimmung
Ingrid Hack, Geschäftsführerin des Vereins „Kindernöte“

„Es ist spannend, zu beobachten, wie unterschiedlich die Kinder mit dem Geld umgehen. Die einen sparen, andere geben alles aus oder verhandeln einen Rabatt am Kiosk. Der pädagogische Anspruch, zu lernen, mit Geld umzugehen, scheint zu fruchten. Allerdings ist es hier keine Pflicht, zu arbeiten, man könnte auch den ganzen Tag chillen, dann gibt es eben kein Geld“, sagt Marcel Weiß. Der Gruppenleiter bei Kindernöte e.V. ist gemeinsam mit der pädagogischen Leiterin des Vereins, Anna Knauer, Ansprechpartner für die 20 Betreuerinnen und Betreuer vor Ort und für die gesamte Koordination des Ferienprojekts.

Zwei junge Mädchen halten stolz ihre bunten Gemälde in der Hand, die sie in der Malwerkstatt angefertigt haben

Angelina und Anaelle in der Malwerkstatt.

Damit das einwöchige Feriencamp reibungslos über die Bühne geht, bedarf es einer guten Logistik. Und Geld. Es kostet den Verein 15000 Euro – für Honorar, Material, Verpflegung und KVB–Tickets, denn die Kinder kommen aus dem gesamten Stadtbezirk, reisen also aus Merkenich, Roggendorf, Fühlingen, Seeberg, Weiler oder Volkhoven an. Deshalb ist der Verein auf Spenden angewiesen – unter anderem von der „Allianz für die Jugend e.V. Nordwest“, der Stadt Köln, dem „Paritätischen Köln“, der „Spanierrunde“ um Oliver Dillenburger und dessen Vater Claus Dillenburger. „Ich bedanke mich bei allen Förderern und Spendern. Mit dem Geld ermöglichen wir jungen Menschen aktives Mitwirken und Partizipieren, das Kennenlernen und Erleben von Wirtschaft und Konsum, Spiel, Spaß, Tanz und Theater – und die Chance, in den Sommerferien etwas Besonderes zu erleben“, sagt Hack.

Betreuungsnöte in den Ferien

Immerhin gilt es für Eltern schulpflichtiger Kinder sechs Wochen Sommerferien zu „überbrücken“ – insgesamt 75 Ferientage haben Schulkinder in NRW, das ist mehr als doppelt so viel wie der jährliche Urlaubsanspruch ihrer Eltern – was Millionen von Müttern und Vätern vor immense Herausforderungen stellt. Hinzukommt, dass nicht alle Eltern Geld für Urlaubsreisen haben.

Deshalb fordern Expertinnen und Experten der Kinder- und Jugendhilfe von der Bildungspolitik, für mehr gute pädagogisch strukturierte Betreuungsmöglichkeiten – wie die Kinderstadt – vor allem auch in den Ferien zu sorgen.

Kindernöte erreicht bis zu 300 Chorweiler-Kinder pro Woche

Das Feriencamp ist die Kür der Vereinsarbeit, ansonsten kümmert sich „Kindernöte“ das ganze Jahr über um Kinder aus Chorweiler und wird dabei seit vielen Jahren regelmäßig auch von „wir helfen“ gefördert. „Hingehen statt Kommenlassen“ laut die Devise des Vereins, aufsuchende Arbeit heißt das in der Fachwelt und bedeutet, dass die Mitarbeitenden dorthin gehen, wo die Kinder und Jugendlichen wohnen, wo sie auf der Straße spielen, die Kita oder Schule besuchen.

Der Verein erreicht mit seinen niederschwelligen Angeboten bis zu 300 Kinder pro Woche – angefangen bei den Kleinsten in der Babygruppe und dem Eltern-Café bis zu den Ältesten im Projekt „Straßenkinder“. Einige der jungen Besucherinnen und Besucher verbringen bis zum Alter von 14 Jahren beinahe ihre gesamte Freizeit in den einzelnen Gruppen – womit „Kindernöte“ ein zweites Zuhause für sie ist.