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Häusliche GewaltZu wenig Hilfsangebote für junge Menschen

Lesezeit 4 Minuten
Das Symbolbild zum Thea häusliche Gewalt zeigt Silhouette von zwei Menschen, die bedrohlich die Arme ausstrecken

Die Zahl der Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, nimmt zu - deren Kinder sind immer mitbetroffen.

Immer mehr Frauen suchen mit ihren Kindern Schutz vor Gewalt in Frauenhäusern. Doch denen fehlen die Mittel, um Jungen und Mädchen Hilfsangebote zu machen.

Rund 14.400 Frauen mit ihren insgesamt 16.670 Kindern suchten und fanden im Jahr 2022 Schutz in einem Frauenhaus. Das ergab die aktuellste Erhebung zu dem Thema, die Frauenhausstatistik des Vereins Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) aus dem Jahr 2023. Im selben Jahr wurden 171.076 weibliche Opfer von häuslicher Gewalt registriert, was im Vergleich zum Vorjahr einem Anstieg von neun Prozent entspricht.

Wie das neueste Bundeslagebild des „Bundesinnenministeriums“ zeigt, hat sich die Anzahl im Jahr 2023 noch mal erhöht auf 180.715 betroffene Frauen. Dabei handelt es sich lediglich um die polizeilich erfassten Straftaten häuslicher Gewalt. Expertinnen und Experten gehen von einem großen Dunkelfeld aus, weshalb die tatsächliche Zahl wesentlich höher ausfallen dürfte – und damit auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die häusliche Gewaltsituationen zwischen Eltern miterleben.

Kinder sind immer mitbetroffen, wenn ihre Mütter häusliche Gewalt erfahren

Denn sie sind immer mitbetroffen, auch wenn sich die Gewalt nicht gegen sie direkt richtet. Nachweislich werden sie später häufig selbst zu Betroffenen oder Täter und Täterinnen.

Frauenhäuser helfen, solche Gewaltkreisläufe zu unterbrechen, wenn Frauen mit ihren Kindern aus der Gewaltsituation fliehen. Doch wie der FHK zum wiederholten Mal anmahnt, sind aktuell viele dieser Einrichtungen nicht ausreichend ausgestattet, um Kinder und Jugendliche bedarfsgerecht zu unterstützen, obwohl 62 Prozent aller Frauenhausbewohnerinnen mit ihren Kindern dort Schutz finden.

Frauenhäuser können kindgerechte Angebote meist nur spendenfinanziert, unregelmäßig und unter großem persönlichem Engagement einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter realisieren
Sibylle Schreiber, Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung e.V.

„Frauenhäuser können kindgerechte Angebote meist nur spendenfinanziert, unregelmäßig und unter großem persönlichem Engagement einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter realisieren. Der kindgerechte Unterstützungsbedarf wurde im Rahmen der Finanzierung des Hilfesystems bei Gewalt gegen Frauen über Jahrzehnte nicht berücksichtigt“, kritisiert Sibylle Schreiber, die Geschäftsführerin des FHK. Der Verein hoffe, dass sich diese Situation auch durch das von der Regierungskoalition versprochene Gewalthilfegesetz noch in diesem Jahr verbessern wird.

Keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Platz im Frauenhaus

Dieses Gesetz soll es Opfern von Gewalt ermöglichen, Hilfe und Beratung einfordern zu dürfen. Zudem solle der Bund mithilfe des Gesetzes in die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen für Gewaltopfer einsteigen. Die Kosten für solche Angebote liegen derzeit komplett bei den Ländern oder Kommunen, die finanzielle Lage wird oftmals als prekär eingestuft. Einen Anspruch auf einen festen Platz in einem Frauenhaus ermöglicht das Gesetz allerdings nicht.

Um Kinder und Jugendliche besser vor miterlebter Gewalt und deren Folgen zu schützen, bedarf es dem FHK zufolge deutlich mehr. Flächendeckende kindgerechte Präventions-, Beratungs- und Schutzmaßnahmen seien dringend erforderlich. Zudem fehle auch das Bewusstsein bei Eltern, Fachkräften und Institutionen für die Mitbetroffenheit von Kindern und Jugendlichen im Kontext von Partnerschaftsgewalt.

Interessen der Kinder vor Gericht nicht ausreichend berücksichtigt

Neben einer besseren staatlich gewährleisteten Hilfestruktur für diese Kinder sei deshalb auch die Umsetzung einer kindgerechten Justiz nötig, die Schutz und Beteiligung bei Entscheidungen zum Sorge- und Umgangsrecht bei Gewalt durch den Beziehungspartner vorsieht. „Viel zu häufig werden in familiengerichtlichen Verfahren die Interessen der Kinder nicht ausreichend berücksichtigt, ihre Bedürfnisse nicht gehört und das Risiko einer erneuten Gefährdung sowohl der Mütter als auch Kinder missachtet“, sagt Schreiber.

Die Verpflichtung zur Umsetzung einer solchen, am Kindeswohl orientierten Reform, besteht hierzulande unter anderem durch die Istanbul-Konvention, die im Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist. Es ist das erste rechtsverbindliche Instrument in Europa, das Mindeststandards für die Rechte, den Schutz und die Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen festlegt. Die Konvention macht deutlich, dass sie alle ein Recht auf niedrigschwellige, spezialisierte, barriere- und diskriminierungsfreie Unterstützung haben.

Istanbul-Konvention: Ein Platz im Frauenhaus pro 10.000 Einwohner

Eine Voraussetzung hierfür ist, dass ein spezialisiertes Hilfesystem vorhanden ist, dessen Erreichbarkeit in allen Regionen gesichert sein muss, um eine sofortige Unterbringung der betroffenen Frauen zu gewährleisten. Die Konvention empfiehlt, einen Familienplatz im Frauenhaus pro 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner vorzuhalten, macht aber gleichzeitig deutlich, dass sich die Anzahl der Schutzunterkünfte nach dem tatsächlichen Bedarf richten soll.

Eine Datenauswertung von „Correctiv“ für das Jahr 2022 zeigt, dass in den von der Studie berücksichtigten Frauenhäusern im Durchschnitt an 303 Tagen keine Aufnahme möglich war. Die durchschnittliche Belegungsquote im Jahr 2022 betrug 83 Prozent. Es ist deshalb davon auszugehen, dass vielen Schutzsuchenden aufgrund belegter Plätze nicht unmittelbar und in räumlicher Nähe ein Frauenhausplatz angeboten werden kann.

Der FHK fordert, die Mitbetroffenheit von Kindern und Jugendlichen im Kontext von Partnerschaftsgewalt anzuerkennen und ihre Rechte sowie alters- und entwicklungsgerechte Unterstützungs- und Hilfeangebote im Frauenhaus und darüber hinaus nachhaltig sicherzustellen.