Kinder im Frauenhaus„Für mich war nicht das Körperliche das Schlimmste“
Köln – Celine erinnert sich noch an die erste Nacht im Mädchenwohnheim. Sie hat so gut geschlafen, wie sehr, sehr lange nicht. „Es war so leise, und ich hatte ein eigenes Badezimmer. Es war wie in einem Traum“, erinnert sich die 21-Jährige und grinst breit. Ihre langen dunklen Haare liegen geflochten auf einem türkisen Pullover, sie spricht mit ruhiger Stimme und lacht entschuldigend an Stellen, an denen es eigentlich nicht viel zu lachen gibt. Sie erzählt, wie sie aus einer Kleinstadt im Umland erst in ein Kölner Frauenhaus und dann in ein Wohnheim zog. Dort hat sie nun, was sie immer wollte: ein normales Leben. Ein Leben ohne Angst und Kontrolle, ohne ihren Vater, der zuschlägt und ausrastet.
„Für mich war nicht das Körperliche das Schlimmste, sondern das Seelische“, sagt die 21-Jährige, die in diesem Text zu ihrem Schutz anders heißt. Ihr Vater kontrolliert jahrelang seine Töchter, er wirft regelmäßig Celines Schminke weg und hebt die Zimmertür aus der Angel, damit sie nicht ungestört telefonieren kann. Ihre Mutter schlägt er, solange Celine denken kann. Sie hört die beiden nachts streiten. Und manchmal sagt die Mutter dann morgens in einem ganz bestimmten Ton: „Pack deine Tasche, wir gehen in den Kindergarten.“ Dann weiß Celine: Sie gehen nicht in den Kindergarten, sondern weg von Papa.
Nachdem der Vater sie entdeckt, müssen sie wieder ein neues Frauenhaus finden
An die ersten Frauenhausaufenthalte kann sie sich kaum erinnern. Sie weiß nur noch: Ihre Mutter kehrt immer wieder zurück. Sie kann nicht lesen und schreiben, ist alleine hilflos. Erst in einer Nacht im November 2019 packt sie endgültig die Koffer. Sie flieht mit Celine, den beiden jüngeren Schwestern, 11 und 17 Jahre alt, und ihrem nicht einmal einjährigen Bruder in ein Frauenhaus nahe Bonn. Der Vater lauert der kleineren Schwester vor der Schule auf. Das heißt für Celine und ihre Schwester: Sie müssen wieder eine neue Bleibe suchen. Wieder Frauenhäuser abtelefonieren. Die meisten sind voll.
Deutschlandweit fehlen mehrere zehntausend Plätze für Frauen und Kinder, die Schutz vor Gewalt suchen. In der Millionenstadt Köln gibt es gerade einmal zwei anonyme Frauenhäuser mit 30 Plätzen. 376 Frauen, die in 2020 anriefen, mussten die Häuser abweisen, 49 konnten sie mit ihren Kindern aufnehmen. Corona hat die Lage verschärft. Zu Beginn der Pandemie durften die Häuser niemanden aufnehmen, mittlerweile gibt es zwei Quarantäne-Wohnungen, in die die Frauen zuerst ziehen, um eine Infektion auszuschließen.
„Oft fühlen sich die Kinder sehr für ihre Mütter verantwortlich“
Celines Familie hat damals einfach Glück. Sie bekommen ein Zimmer. Es ist etwa 13 Quadratmeter groß, hat zwei Hochbetten und zwei Kleiderschränke. Nachts weint der kleine Bruder, Celine und ihre Schwester schlafen kaum und sind trotzdem erleichtert, dort zu sein.
Die Enge ist nicht das einzige Problem. Sie geht drei Monate nicht zur Schule, obwohl sie Abitur machen will. Sie kann ihre Freunde nicht mehr sehen, denn bei denen steht regelmäßig ihr Vater vor der Tür und fragt nach ihr. Celine ist das furchtbar peinlich. Sie muss sich um ihre Mutter kümmern – und um Anträge, Jobcenter, Anwaltstermine.
„Oft fühlen sich die Kinder sehr für ihre Mütter verantwortlich“, sagt Astrid Mayer vom Verein „Frauen helfen Frauen“, der die Frauenhäuser betreibt. „Die jahrelange Gewalt in der Familie hat sie zusammengeschweißt.“ Viele Kinder wollten der Mutter instinktiv nicht zur Last fallen, und vergessen dabei ihre eigenen Bedürfnisse. Mayers Job ist es, sie daran zu erinnern. Sie sucht mit Celine eine neue Schule, begleitet sie zur Anmeldung. Manchmal gehen sie auch nur eine Pizza oder ein Eis essen und reden. „Ich war immer so froh, einfach mal rauszukommen“, sagt Celine. Diese Freizeitangebote sind coronabedingt gerade nicht möglich.
Auch das Miterleben von Gewalt kann traumatisch sein
Kinder würden in der Diskussion um Gewalt gegen Frauen generell oft vergessen, sagt Mayer. Fast jede vierte Frau in Deutschland wird einmal Opfer von psychischer oder körperlicher Gewalt. Wie oft die Frauen auch Mütter sind, wird nicht statistisch erfasst. Aber dass auch das Miterleben von Gewalt in vielen Fällen traumatisch ist, steht für Kinderpsychologen fest.
Mayer organisiert den Wohnheimplatz für Celine und ihre mittlerweile 18-jährige Schwester. Die beiden jungen Frauen sollen jetzt an sich und ihre Zukunft denken, Celine macht gerade Abitur und gleichzeitig eine Ausbildung zur Erzieherin, hat einen festen Freund. „Es war am Anfang sehr hart, von meiner Mutter getrennt zu sein, aber es ist besser so.“ Ihre Mutter wollte das für sie, ein eigenes Leben. Wahrscheinlich wollte sie das auch einmal für sich selbst.
Das könnte Sie auch interessieren:
Ein Auszug aus dem Frauenhaus kann ähnlich schwierig sein wie der Einzug. Celines Mutter findet keine Wohnung. Wie auch, auf dem überhitzten Kölner Wohnungsmarkt mit zwei Kindern und Geld vom Jobcenter. Gerade Frauen mit mehreren Kindern suchen oft vergeblich – und verschärfen so die Knappheit der Frauenhausplätze.
Etwas Abhilfe soll ein drittes Haus schaffen, dessen Aufbau der Stadtrat letztes Jahr beschloss. Dort nehmen die Kölner Frauenhäuser auch erstmalig Jungen auf, die älter als zwölf Jahre alt sind. Das war vorher nicht möglich, weil die Häuser historisch explizit für Frauen sind. „Aber auch die älteren Jungen sind natürlich Opfer und haben ein Recht auf Schutz“, sagt Mayer. Und auf ein Leben ohne Angst – so wie Celine heute.
So können Sie helfen
Mit unserer Aktion „wir helfen: damit unsere Kinder vor Gewalt geschützt werden“ bitten wir um Spenden für Projekte, die sich für ein friedliches und unversehrtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserer Region einsetzen.
Die Spendenkonten lauten:„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 370 502 990 000 162 155Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 370 501 980 022 252 225