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Verbale Gewalt„Viele Kinder leiden still mit“

Lesezeit 5 Minuten

Auch Beleidigungen sind Gewalt. Wie sehr ein Kind leidet, hängt von der Persönlichkeit und den Lebensumständen ab.

Frau Wiemert, ein Kind kann seine Hausaufgaben nicht lösen. Die Mutter sagt: „Du bist zu doof dafür.“ Ist das schon Gewalt?

Ja, in meinen Augen ist so eine Aussage eindeutig psychische Gewalt. Warum muss man so etwas Herabwürdigendes zu einem Kind sagen? Es ist absichtlich verletzend und motiviert nicht zum Lernerfolg. Wenn ich sagen möchte „Du kannst eigentlich mehr“, dann kann ich das besser positiv ausdrücken.

Gewalt beginnt also schon bei Worten?

Ja, Gewalt ist jegliche psychische – und natürlich physische – Handlung, mit der man Kindern oder Jugendlichen einen Schaden zufügt oder sie dem eigenen Willen unterwirft.

Im stressigen Familienalltag kann Eltern eine Bemerkung rausrutschen, die nicht in Ordnung ist. Wie können sie das Gesagte zurücknehmen?

Ich muss mich als Mutter oder Vater aufrichtig bei meinem Kind entschuldigen und erklären, wie es zu einer Entgleisung kommen konnte. Wenn das Kind sich geborgen, verstanden und ernst genommen fühlt, kann es eine Entschuldigung sicher annehmen. Schwierig ist es, wenn das Kind viele negative Erfahrungen dieser Art macht. Dann verstärkt eine Aussage wie „Du bist zu doof“ den Eindruck: „Ich kann nichts.“ Für diese Kinder ist das sehr schwer und da bleibt etwas zurück, das die weitere Entwicklung beeinflusst.

Wie wird die Entwicklung beeinflusst?

Psychische Gewalt kann zu Traumatisierungen mit Folgen bis ins Erwachsenenalter führen. Manche ziehen sich völlig zurück oder bekommen Depressionen, andere verarbeiten die Erfahrungen, indem sie später selbst aggressiv auftreten. Es gibt Menschen, die nach Erniedrigungen in der Kindheit keinen eigenen Antrieb und kein Selbstbewusstsein entwickeln. Kinder und Jugendliche erleben Gewalt als besonders bedrohlich und existenziell, da sie in ihrer Entwicklung auf Schutz und Geborgenheit angewiesen sind. Umso gravierender sind die Folgen, wenn die Gewalt von nahe stehenden Personen ausgeht.

Professorin Heike Wiemert ist Dekanin des Fachbereichs Sozialwesen an der Katholischen Hochschule NRW in Köln. Sie lehrt Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Kindheit, Jugend und Familie.

Wie lässt sich dem entgegenwirken?

Wir müssen anerkennen, wie ausdifferenziert die Lebensrealitäten von Kindern sind. Damit will ich nicht sagen, dass es den Mittel- und Oberschichtskindern immer gut geht. Aber es bringt eben besondere Härten mit, in Familien aufzuwachsen, in denen es schon aufgrund der Lebensumstände ein erhöhtes Aggressions- und letztlich Gewaltpotenzial gibt. Das können eine prekäre ökonomische Situation oder psychische Krankheiten oder Süchte bei den Eltern sein. Das sind indirekte Gewalterfahrungen, weil die Bedürfnisse des Kindes im Alltag keine Rolle spielen. Dem können wir nur mit sensibilisierten Fachkräften in Schulen und Kitas begegnen, die die Kinder bestmöglich unterstützen.

Woran erkennen Kitamitarbeiterinnen, ob die Kinder Zuhause direkter oder indirekter Gewalt ausgeliefert sind?

Jedes Kind ist unterschiedlich. Manche können das gut verbergen, andere reagieren in Auseinandersetzungen übermäßig aggressiv. Natürlich ist nicht jede Auseinandersetzung schädlich. Eine Aggression ist auch mal positiv. Ein Kind darf sich auflehnen und muss nicht alles mit sich machen lassen. So erfährt es Selbstwirksamkeit und wird gehört. Pädagogen müssen den Kindern als gute Vorbilder zeigen, wie man Wut richtig kanalisiert. Kinder, die negative Gefühle nicht ausdrücken können, werden schneller Opfer oder Täter von Gewalt.

Fällt „Schweigen als Strafe“ für Sie unter Gewalt?

Ja, absolut. Die typische Szene in der Kita: Kinder trotzen und Eltern strafen sie mit Nicht-Beachtung. Zu beobachten ist dann, wie Kinder versuchen, die Aufmerksamkeit von Mutter oder Vater zurück zu erlangen und am Ende hilflos und ohnmächtig resignieren. Die Eltern wissen nicht, welche Ängste sie in den Kindern auslösen. Vor allem, wenn stunden- oder sogar tagelang nicht mit dem Kind gesprochen wird, ist das eine schlimme Form psychischer Gewalt.

Erwarten Sie da nicht zu viel von den Kita-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen? Neben den Kindern auch noch die Eltern im Blick zu haben?

Die Herausforderungen an Pädagogen sind in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Deshalb gibt es die politische Diskussion, ob dieser Beruf grundsätzlich akademisiert werden sollte. Davon erhofft man sich nicht zuletzt eine höhere Reflexionsfähigkeit und Sensibilität der pädagogischen Fachkräfte für die ausdifferenzierten Lebenslagen von Kindern und ihren Familien. Pädagogische Fachkräfte haben oft eine Mittelschichtsbiographie und können sich nicht vorstellen, was in manchen Familien los ist. Nicht selten spricht jemand in einem Stuhlkreis begeistert über die neuen Schuhe eines Kindes und vergisst dabei, dass zehn andere Kinder die Schuhe schon seit einem halben Jahr zu klein sind, weil die Familie sich keine neuen leisten kann.

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Wie sieht psychische Gewalt unter Kindern aus?

Die verbreitetste Form ist Mobbing in seinen unterschiedlichen Erscheinungen. Das zeigen Studien und mir persönlich ist es besonders bei einer Veranstaltung unserer Kinder-Uni zu dem Thema bewusst geworden. Es war bemerkenswert, wie engagiert manche Kinder von ihren Erfahrungen erzählt haben und davon, was ihnen in der Situation geholfen hat. Andere waren still und haben zugehört. In der Veranstaltung wurde deutlich: Auch das Miterleben von Mobbing macht etwas mit Kindern. Viele leiden still mit, wenn einer in der Klasse physisch und psychisch gequält wird.

So können Sie helfen

Mit unserer Aktion „wir helfen: damit unsere Kinder vor Gewalt geschützt werden“ bitten wir um Spenden für Projekte, die sich für ein friedliches und unversehrtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserer Region einsetzen.

Die Spendenkonten lauten:

„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“

Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 370 502 990 000 162 155

Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 370 501 980 022 252 225