Lisa Zidek (21) setzt sich in der Diakonie Michaelshoven und bundesweit für die Rechte von jungen Menschen, die in Wohngruppen leben, ein. Und sie klärt mit Vorurteilen auf.
„Heimkinder“Kölnerin engagiert sich bundesweit für deren Rechte
Frau Zidek, Sie engagieren sich für die Rechte ihrer Mitbewohner. Mit welcher Motivation?
Ich möchte den jungen Bewohnerinnen und Bewohnern der Wohngruppen eine Stimme geben, Sachen anschubsen und verändern. In der Funktion als Sprecherin des Jugendparlaments wird man anders wahrgenommen, ist nicht die Bewohnerin, die ein besseres WLAN, mehr Taschengeld oder abends eine Stunde länger draußen bleiben möchte, sondern die Stimme aller Kinder und Jugendlichen. Und hat so einen direkten Draht zum Pädagogischen Fachpersonal und zu der Geschäftsleitung der Diakonie.
Sie sind auch auf Landes- und Bundesebene aktiv. Was konnten Sie dort erreichen?
Bis vor Kurzem war gesetzlich festgelegt, dass wir Wohngruppenbewohnerinnen und -bewohner, 75 Prozent unseres Ausbildungsgehalts, dessen, was wir im Ferienjob verdienen oder via BAföG an das Jugendamt abgeben mussten. Nach drei Jahren harter Verhandlungen haben wir es geschafft, dass wir jetzt den gesamten Verdienst behalten dürfen. Das ist ein großer Erfolg.
Außerdem haben wir unter dem Hashtag #nichtsowiedudenkst eine große Aufklärungskampagne gestartet, um die Vorurteile gegenüber uns Heimkindern zu beseitigen. Die meisten denken, dass wir in Mehrbettzimmern wohnen, nicht genügend Essen bekommen und unsere Betreuerinnen und Betreuer uns mit strengen Hausregeln reglementieren. Diese Zustände sind längst Vergangenheit.
Weshalb ist es wichtig, mit solchen Vorurteilen aufzuräumen?
Für viele von uns ist die Jugendhilfe ein zweites Zuhause und dort möchte man nicht Vorurteilen ausgesetzt sein. Meine Wohngruppe ist in Buchheim, die Diakonie hat hier ein ehemaliges Hotel angemietet. Wir sind sieben junge Erwachsene, zwischen 18 und 23 Jahre alt. Jede und jeder hat ein eigenes Zimmer und ein eigenes Bad. Außerdem gibt es Gemeinschaftsräume: eine Küche, ein Ess- und ein Wohnzimmer. Unser Zuhause ist ins Veedel integriert, wir haben eigne Haustürschlüssel und viele weitere Freiheiten.
Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um als Sprecherin auf Länder- und Bundesebene ernst genommen zu werden?
Ich hatte nie eine große Klappe. Ich höre mir alle Positionen an und reagiere darauf ruhig. Wenn mir etwas nicht passt oder unschlüssig erscheint, sage ich meine Meinung.
Gab es etwas besonders Aufregendes in Ihrer Funktion als Sprecherin?
Ich engagiere mich auch beim BUNDI, der bundesweiten Vertretung der Jugendlichen in Wohngruppen.
In dieser Funktion durfte ich vergangenes Jahr im Berliner Bundesfamilienministerium den Verantwortlichen erklären, dass und warum die Selbstvertretung junger Menschen in besonderen Wohnverhältnissen politisch gestärkt werden muss. Wir waren zwar als Gruppe unterwegs, trotzdem war die Einladung zunächst etwas einschüchternd. Aber das war unnötig, ich habe mich ernst genommen gefühlt und gemerkt, wie wichtig es ist, wenn die Politikerinnen und Politiker mit uns auf Augenhöhe sprechen.
Was wünschen sich Jugendliche in und für ihre besondere Wohn- und Lebenssituation?
In erster Linie mehr Geld: jede finanzielle Kürzung im sozialen Bereich trifft uns in den Einrichtungen sofort. Das fängt an bei der Tagespauschale für drei Mahlzeiten pro Bewohnerin oder Bewohner, die derzeit immer noch bei nur fünf Euro liegt, und endet bei einem sehr niedrigen Budget für eine fünftägige Ferienfreizeit an der Nordsee. Und ich wünsche ich mir mehr Tempo bei den Entscheidungen. Es gibt zu viele Instanzen, die gar nicht entscheiden dürfen, aber trotzdem mit Sachverhalten befasst werden. Und dann liegt der Vorgang auf deren Schreibtisch. Es würde ausreichen, diese Stellen in cc zu setzten. In Michaelshoven funktioniert das ganz gut. Es sollte generell mehr Möglichkeiten für Wohngruppen-Bewohner geben, sich zu beteiligen, um etwas verändern zu können.
Worauf sind Sie stolz?
Mein Lebensweg verlief relativ holprig: Mit 17 musste ich wegen psychischer Probleme aus meinem Elternhaus aus- und in eine betreute Wohngruppe einziehen. Dass ich einmal als Vertreterin der NRW-Jugendlichen im Familienministerium gemeinsam mit anderen Forderungen stellen darf, macht mich stolz. Das politische Engagement stärkt meine Persönlichkeit und mein Selbstvertrauen. Dadurch habe ich gelernt, dass es wichtig ist, das anzusprechen, was einen stört.
Was sind Ihre Zukunftspläne?
Mich weiter einzumischen, denn nur dadurch kann man etwas verändern. Etwas zu bewegen, lohnt sich!
Zur Person
Lisa Zidek, 21, lebt in einer Wohngruppe der Diakonie Michaelshoven in Buchheim, hat nach ihrer Mittleren Reife ein Freiwilliges Jahr beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) absolviert und beginnt in Kürze eine Ausbildung zur Kinderpflegerin.
Als Sprecherin des Diakonie-Jugendparlaments, als Mitglied bei „Jugend vertritt Jugend“ und beim Bundesnetzwerk der Interessenvertretungen junger Menschen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe (BUNDI) engagiert sie sich für die Rechte von Jugendlichen, die in Wohngruppen leben.