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Kölner Schul-Projekt zur mentalen Gesundheit„Dann gehen wir das Problem eben selbst an“

Lesezeit 5 Minuten
Eine vier-köpfige Delegation der Bezirksschüler*innenvertetung sitzt auf runden Plastiksitzen im Eingangsbereich des DuMont-Verlagshauses vor einem großen Spiegel.

Der Geschäftführer des Kölner Jugendrings Thorsten Buff (links) mit Amanda Umugabekazi und Arda Caliskan vom Vorstand der Bezirksschüler*innenvertetung und der Koordinatorin des „Mental Health“-Projekts Emily Smith (hinten).

Die Bezirksschülervertretung kann dank „wir helfen“ und der Stadt Köln weiter Workshops zur mentalen Gesundheit an Kölner Schulen anbieten.

Ängste, Lernschwächen, Depressionen, Schlaf- und Essstörungen: Die Liste psychischer Beeinträchtigungen und Erkrankungen von jungen Menschen ist lang – und die Anzahl der Betroffenen nimmt bedingt durch Pandemie, Kriege und Soziale Medien stetig zu. Inzwischen ist jedes fünfte Kind und jeder fünfte jugendliche Mensch in Deutschland psychisch belastet, das hat zuletzt das Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung gezeigt.

Nicht umsonst haben Beiträge zum Thema „Mental Health“ (psychische Gesundheit) Hochkonjunktur in den Medien, der Forschung und Politik. „Die Förderung der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen braucht höchste Priorität in unserem Land“, hat Familienministerin Lisa Paus kürzlich gefordert.

Schul-, Leistungsstress und Zukunftsängste: Jeder fünfte junge Mensch leidet darunter

Traurige Realität aber ist: Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen müssen monatelang auf einen Therapieplatz warten. Präventive Angebote, die leicht erreichbar sind, alle ansprechen und unbürokratisch über die Bühne gehen, sind rar. Für Schulpsychologinnen und Schulsozialarbeiter fehlt meist das Geld.

Kateryna Knaub ist Vorstandsmitglied der Bezirksschüler*innenvertretung und steht auf dem Foto in der Kölner Altstadt mit dem Dom im Hintergrund.

Kateryna Knaub ist Vorstandsmitglied der Bezirksschüler*innenvertretung.

Die große Nachfrage und das durchweg positive Feedback auf unsere Workshops motiviert uns enorm. Kölner Schülerinnen und Schüler haben es verdient, dass auf ihre Sorgen und Bedürfnisse gehört wird
Kateryna Knaub, Vorstandsmitglied der „Bezirksschüler*innenvertretung“

Darauf, dass die Politik, Verwaltung oder Schulleitungen aktiv werden, wollte die „Bezirksschüler*innenvertretung“ (BSV) nicht länger warten. Die Interessenvertretung der rund 150.000 Kölner Schülerinnen und Schüler war es Leid, zu ertragen, dass im Schnitt sechs Mitschüler pro Klasse psychisch stark belastet sind, unter Stress, Leistungsdruck, Zukunftsängsten und anderen Herausforderungen leiden. Dadurch immer häufiger die Schule schwänzen. Den Anschluss verpassen. Süchte, Ängste, Depressionen entwickeln.

Kölner Paradebeispiel für jugendliche Selbstbestimmung und Partizipation

„Da trotz riesiger Probleme nichts passiert ist, haben wir beschlossen, es selbst anzugehen“, sagt Judith Ternes vom zehnköpfigen BSV-Vorstand. Und tatsächlich ist das Workshop-Projekt „Mentale Gesundheit von Schüler*innen“, das die BSV im Sommer 2023 gemeinsam mit dem Kölner Jugendring e.V. und Kooperationspartnern auf den Weg brachte, ein Paradebeispiel für Selbstbestimmung und Selbstermächtigung der Jugend.

Schulen können nicht monatelang auf eine Intervention warten. Und war wichtig, dass unser Projekt die akuten Probleme vor Ort, also direkt in den Schulen, möglichst passgenau, zeitnah und unbürokratisch auffängt
Amanda Umugabekazi vom BSV-Vorstand

„Wichtig war uns, dass das Projekt die akuten Probleme vor Ort, also direkt in den Schulen, möglichst passgenau, zeitnah und unbürokratisch auffängt“, sagt Amanda Umugabekazi, 17, vom BSV-Vorstand. Das Konzept überzeugte schließlich auch die Vertreterinnen und Vertreter des städtischen Ausschusses für Schule und Weiterbildung, die im Oktober 2023 beschlossen, die BSV dafür mit 50.000 Euro zu unterstützen.

Ab März 2024 konnten Schülerinnen, Schüler und Mitarbeitende von allen weiterführenden Kölner Schulen einen der Workshops, die die insgesamt zehn Kooperationspartner professionell anleiten, anfragen, etwa zum Thema Sucht, Schlaf, Selbstfürsorge oder Social Media – unbürokratisch via Telefon, WhatsApp, Instagram oder E-Mail.

Jugend hilft Jugend - Unbürokratisch und professionell

In den Workshops, die unter anderem von „Kopfsachen e.V.“, „Lobby für Mädchen“, „YoBaDo“, „Verrückt? Na und!e.V.“ oder dem SKM angeboten werden, dreht sich alles um Prävention und „Empowerment“, also darum, zu lernen, sich selbst anzunehmen und psychische Widerstandskraft aufzubauen. Es geht darum, Konflikte gut zu lösen, auf seine mentale Gesundheit zu achten und zu wissen, wo es Hilfe gibt.

„Nachdem die Schulen, sich um einen Workshop beworben hatten, hat unsere Task Force anonymisiert und zeitnah darüber entschieden, welches Angebot gefördert wird. Dabei haben wir akribisch auf eine gerechte Verteilung der Schulformen und Stadtbezirke geachtet“, sagt BSV-Vorstandsmitglied Arda Caliskan. Spätestens vier Tage später erhielten die Schulen eine Zu- oder Absage.

Trotz großer Nachfrage: Kölner „Mental Health“-Schul-Projekt stand auf der Kippe

Die Nachfrage war enorm: 101 Schulen bewarben sich für einen Workshop, nur 62 davon konnten gesponsort werden – da der Fördertopf bald aufgebraucht war. Schließlich machte Ende vergangenen Jahres die Nachricht aus dem Rathaus, dass das „Mental-Health“-Budget nicht mehr im neuen Haushaltsentwurf vorkommt, dem Projekt den vorläufigen Garaus.

Als das „wir helfen“-Team davon erfuhr, bot es seine Unterstützung an – und traf sich zunächst mit einer Delegation des BSV-Vorstands, um sich selbst ein Bild von dem Projekt zu machen. „Wir waren angetan von dem Engagement der Schülervertretung und deren‚ Hilfe zur Selbsthilfe‘-Ansatz“, sagt Regine Leuker von „wir helfen“. Da es dem Verein ein großes Anliegen ist, Teilhabe, Mitbestimmung und Eigeninitiative junger Menschen zu fördern und vor dem Hintergrund des großen Bedarfs an solchen Schul-Projekten, beschloss die „wir helfen“-Mitgliederversammlung, das BSV-Projekt zu unterstützen. Auch um, wie „wir helfen“-Geschäftsführer Karl-Heinz Goßmann sagt, „die Lebenssituation von besonders belasteten Schülerinnen und Schülern, niedrigschwellig zu verbessern.“

Stadt Köln und „wir helfen“ unterstützen Projekt der Bezirksschüler*innenvertretung

Inzwischen haben sich auch die Regierungsparteien der Stadt dafür starkgemacht, dass das Schulprojekt wieder in den Haushalt aufgenommen und auch im Jahr 2025 mit 50.000 Euro gefördert wird. Nun fehlt nur noch das „Go“ des Stadtrats und der Bezirksregierung. „Das ist eine wunderbare Nachricht kurz vor meinem Abschied und bringt unsere Vision, allen 300, infrage kommenden Kölner Schulen kostenlose Workshops anzubieten, ein ganzes Stück weiter“, sagt Emily Smith. Die Studentin hatte das Projekt bislang auf Honorar-Basis koordiniert – und hat diese Aufgabe im Februar an Kia Gillich übergeben.

Ich weiß, es gibt Nummern, doch weil ich dort niemanden erreicht habe, habe ich dann doch zur Selbstverletzung gegriffen, um auf mich aufmerksam zu machen. Alle Erwachsenen schauen weg, aber hier haben mich Gleichaltrige ernst genommen
Kölner Schülerin, die an einem BSV-Workshop teilgenommen hat

Schon jetzt gibt es 22 neue Anfragen von Schulen. „Die große Nachfrage und das durchweg positive Feedback auf unsere Workshops motiviert uns enorm. Kölner Schülerinnen und Schüler haben es verdient, dass auf ihre Sorgen und Bedürfnisse gehört und ihnen ein Raum geschaffen wird, an dem sie darüber sprechen und sich informieren können. Es ist wichtig, dass Angebote wie Präventionsworkshops nicht nur die Schulen erreichen, die über eine starke Lobby und finanzielle Mittel verfügen, sondern auch die, die solche Angebote normalerweise nicht wahrnehmen können“, sagt BSV-Vorstandsmitglied Kateryna Knaub.

„Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können“

Was das Projekt so erfolgreich macht, verraten die Feedback-Bögen, die die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler am Ende der Workshops ausfüllen konnten: „Ich weiß, es gibt Nummern, doch weil ich dort niemanden erreicht habe, habe ich dann doch zur Selbstverletzung gegriffen, um auf mich aufmerksam zu machen. Alle Erwachsenen schauen weg, aber hier haben mich Gleichaltrige ernst genommen“, schreibt eine Schülerin. Eine andere: „Ich dachte, wenn ich über meine Probleme mit anderen spreche, würde ich sie bedrängen. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können. Hier haben wir sie erhalten.“

„Es ist für Schülerinnen und Schüler erfahrungsgemäß einfacher, sich mit ihren Problemen Gleichaltrigen in ähnlichen Lebenssituationen anzuvertrauen. Auch um passende Lösungsansätze zu bieten, ist die Perspektive von Gleichaltrigen häufig elementar“, sagt der Geschäftsführer des beteiligten Kölner Jugendrings Thorsten Buff. Dadurch, dass sich die Jugend erfolgreich stark für die Jugend macht und damit Empowerment, also Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung fördert, leiste das Projekt zudem einen großen Beitrag zur Demokratieförderung – „die dieser Tage notwendiger ist denn je“, betont Buff.