AboAbonnieren

MediensuchtNeuer Kölner Verein hilft betroffenen Jugendlichen

Lesezeit 5 Minuten
Drei Teenagerinnen sind von hinten zu sehen, sie umarmen sich und machen ein Selfie-Video mit dem Smartphone,

Einen kreativen Umgang mit digitalen Medien zu vermitteln, ist ein Ziel des neuen Kölner Vereins „Mediensuchtprävention NRW e.V.“

„Mediensuchtprävention NRW. e.V.“ möchte Kindern und Jugendlichen einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien beibringen.

„Es war so einfach, sich online zu verlieren, und plötzlich war da jemand, der mir ständig Komplimente gemacht hat. Aber dann wollte er immer mehr private Bilder.“ (Hanna, 14*)

„Durch das Netpower-Projekt habe ich erst gecheckt, wie gefährlich es ist, wenn man zu offen auf Social Media unterwegs ist. Man kriegt schon mal ungefragt ein Dickpic – aber jetzt weiß ich, dass ich mir das nicht gefallen lassen muss.“ (Marlene, 15*)

„Es ist krass, wie süchtig man nach Likes und Bestätigung werden kann. Zum Glück habe ich gelernt, wie man sich davor schützt, ohne gleich das Handy aus dem Fenster zu schmeißen.“ (Aurelie, 13*)

Hanna, Marlene und Aurelie, deren Namen zu ihrem Schutz geändert wurden, haben am Projekt „Netpower – Mädchen stark im Netz“ teilgenommen. Ihre Zitate stammen aus der Feedbackrunde des Workshops, den der in Köln gegründete Verein „Mediensuchtprävention NRW e. V.“ (MSP) gemeinsam mit dem Suchthilfeverbund Duisburg e. V. anbietet. Und sie zeigen, dass das Präventionsangebot seinen Zweck erfüllt: Die teilnehmenden Teenagerinnen zwischen 12 und 16 Jahren haben ihren eigenen Medienkonsum reflektiert und darüber nachgedacht, wie sie in den Sozialen Medien dargestellt werden möchten.

Wann Spaß am Digitalen in Sucht umschlägt

Sie haben sich mit dem Thema Mediensucht auseinandergesetzt, gelernt, wann Spaß in Gewöhnung und Gewöhnung in Sucht umschlägt. Sie haben eigene Schutzfaktoren gestärkt, indem sie etwa erfahren haben, wie unecht und manipuliert die Welt der Sozialen Medien sein kann, welche klaren Regeln zum Medienkonsum es gibt oder dass ein ausgeglichener Alltag mit ausreichend Bewegung, Freunden und anderen Freizeitaktivitäten enorm wichtig ist.

Sie haben Strategien erarbeitet, mit denen sie ein digitales Wohlbefinden erreichen können – etwa durch regelmäßige digitale Auszeiten, bewussten Medienkonsum und Medienkompetenz. Und sie haben gelernt, wie sie Social-Media-Kanäle sinnvoll, kreativ und mit Spaß nutzen können.

Neuer Kölner Verein beugt lauernder Mediensucht vor

„Ziel unseres Netpower-Workshops, der den genussvollen, funktionalen Konsum von Social-Media-Inhalten in den Vordergrund stellt, ist, dass sich Mädchen und junge Frauen mit viel Selbstbewusstsein im Netz aufhalten können. Dass sie ihre eigenen und die Grenzen anderer wahren, eine exzessive Social-Media-Nutzung vermeiden, alternative Freizeitaktivitäten kennenlernen und so eine gesunde Balance zwischen Online- und Offline-Leben finden“, sagt Andreas Pauly.

Der Kölner Diplom-Sozialpädagoge und Experte in Sachen Mediensuchtprävention hat im Januar 2023 gemeinsam mit rund 20 Therapeuten, Eltern, Wissenschaftlerinnen und Präventionsexperten den Verein „Mediensuchtprävention NRW. e.V.“ aus der Taufe gehoben – mit der Vision, Kinder und Jugendliche zu medienkompetenten, maßvollen Nutzern und Nutzerinnen von digitalen Medien zu machen. Und um einer lauernden Mediensucht vorzubeugen, indem der Verein gezielt versucht, junge Menschen zu erreichen, die sich in der Gewöhnungsphase befinden.

Digitaler Stress, Süchte und Depressionen

Und das ist auch bitternötig: Sämtliche Studien zeigen, dass immer mehr junge Menschen, immer früher in der virtuellen Welt unterwegs sind, dafür für immer mehr Zeit aufwenden, so dass Kinder und Jugendliche vermehrt dem Risiko ausgesetzt sind, eine Mediensucht zu entwickeln. In der aktuellen JIM-Studie zum Medienumgang von Kindern und Jugendlichen berichten viele der jungen Befragten von „digitalem Stress“, der durch übermäßige Nutzung und ständige Nachrichtenflut entsteht.

Längst ist wissenschaftlich erwiesen, dass übermäßiger Social-Media-Konsum zu körperlichen und psychischen Problemen wie Depressionen, Angststörungen, Stress und Sucht führen kann. „Mediensucht beschreibt den zwanghaften Gebrauch digitaler Medien, der alltägliche Aktivitäten und soziale Kontakte vernachlässigt und trotz negativer Folgen fortgeführt wird. Dabei sind es nicht die Geräte oder Medien selbst, die süchtig machen, sondern bestimmte Online-Aktivitäten“, sagt Pauly.

Andreas Pauly ist Gründer des Vereins „Mediensuchtprävention NRW e.V“.

Andreas Pauly ist Gründer des Vereins „Mediensuchtprävention NRW e.V“.

Ziel unseres Netpower-Workshops ist, dass sich Mädchen mit viel Selbstbewusstsein im Netz aufhalten können. Dass sie eine exzessive Social-Media-Nutzung vermeiden und eine gesunde Balance zwischen Online- und Offline-Leben finden
Andreas Pauly, Mediensuchtprävention NRW. e.V.

Es kursieren viele Begrifflichkeiten, die Fachwelt hat sich auf „Computerspiel- und Internetbezogene Störung“ geeinigt, anderswo ist von „Medienabhängigkeit“, „Computersucht“ oder „Social-Media-Sucht“ die Rede. Bislang wurde lediglich die Onlinespielsucht im Jahr 2018 in die Internationale Klassifizierung von Krankheiten aufgenommen und als psychische Störung anerkannt. Das Standardwerk der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation WHO dient Ärztinnen und Ärzten weltweit als Grundlage zur Erkennung und Kategorisierung gesundheitlicher Einschränkungen.

Kennzeichen einer Mediensucht ist, dass sie über mindestens 12 Monate hinweg negative Auswirkungen auf die Gesundheit, das Selbstwertgefühl, auf soziale Kontakte, Freizeitaktivitäten sowie auf schulische Leistung, beziehungsweise die Arbeit des oder der Betroffenen hat. „Ein weiteres Ziel unseres Vereins ist es, daran mitzuwirken, dass sämtliche internetbezogenen Störungen offiziell als psychische Störung anerkannt werden, um auch finanziell eine Grundlage für Prävention und Beratung zu schaffen“, sagt Pauly.

30,8 Prozent der Minderjährigen sind betroffen

Dass die problematische Internetnutzung bei Jugendlichen auch hierzulande zunimmt, hat eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gezeigt, laut der inzwischen 8,4 Prozent der Minderjährigen pathologisch und 30,8 Prozent problematisch betroffen sind. Um zu verhindern, dass noch mehr junge Menschen eine Sucht entwickeln, möchte Pauly mit seinem Verein künftig, ergänzend zu den vorhandenen Hilfsstrukturen, neue Projekte in Schulen und Bezirken umsetzen, Netzwerke knüpfen – um etwa gemeinsam mit den Jugendämtern, der stationären Jugendhilfe und den Kommunen am Thema Mediensucht zu arbeiten, konkrete Maßnahmen zu entwickeln – und Wissen vermitteln, in Form von Fortbildungen zum Thema internetbezogene Störung für Schulen, Eltern, Jugendämter oder Fachkräfte von Einrichtungen der Sozialen Arbeit.

Kölner Kongress mit Jugendlichen geplant

Im Mediensucht-Kinderreport des Deutschen Kinderhilfswerks äußern Kinder unter anderem den großen Wunsch, dass diese Sucht ihnen keine Sorge machen soll und dass es dafür wichtig wäre, es in Schulen zu thematisieren. „Was aber Jugendliche dazu sagen, ob sie das Netz funktional nutzen, was sie darin fasziniert oder was sie schützt, das möchten wir gerne in einem NRW-Barcamp erörtern, also einer offenen Konferenz, die von den teilnehmenden Jugendlichen, Eltern und Fachkräften aktiv mitgestaltet wird, um zu wissen, was Mediensuchtprävention leisten sollte“, sagt Pauly.

Geplant ist auch, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Barcamps, für den noch Sponsoren gesucht werden, Forderungen an die Kommunen und Schulen erarbeiten, um Kindern möglichst großflächig zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Medien zu verhelfen.


Projekte und Veranstaltungen von Mediensuchtprävention NRW e.V.

  1. Net-Piloten: Das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) entwickelte Präventionsprojekt bildet seit 2014 Schülerinnen und Schüler zu Net-Piloten aus. Das sind Jugendliche, die ihre Mitschülerinnen und Mitschüler als Fachleute zu einer ausgewogenen, nicht exzessiven Mediennutzung beraten und zur sinnvollen und kompetenten Mediennutzung anregen. Die nächste Schulung findet in Kooperation mit „Mediensuchtprävention NRW e.V.“ am 18./19. September 2025 in Köln statt. Der Peer-to-Peer-Ansatz fördert die Akzeptanz und Motivation junger Menschen für ein verantwortungsvolles und selbstreflektiertes Medienverhalten.
  2. Smart kiddies: Das Projekt zur Prävention von exzessivem Medienkonsum für die Grundschule richtet sich an Grundschülerinnen und Grundschüler der vierten Klasse, an deren Lehrkräfte und Eltern. Mithilfe eines „Methodenkoffers“ sollen Lehrkräfte dazu befähigt werden, das Projekt an ihren Schulen umzusetzen, um Kinder möglichst frühzeitig für ein verantwortungsvolles Mediennutzungsverhalten zu sensibilisieren und damit einem problematischen Umgang vorbeugen. Ziel ist die Förderung eines medienkompetenten Miteinanders. Die nächste Schulungen wird am 27. November 2024 in Mönchengladbach angeboten.
  3. Netzpause: Das Gruppenangebot des Vereins „Mediensuchtprävention NRW e.V.“ richtet sich unter dem Motto „Dein Abenteuer ohne Bildschirm“ an junge Menschen zwischen 12 und 18 Jahren, die das Netz bereits exzessiv nutzen, und einen bewussteren Umgang mit digitalen Medien erlernen möchten. Es unterstützt Teilnehmende dabei, ihre Mediennutzung zu reflektieren und alternative Freizeitaktivitäten zu entdecken. Es wird unterstützt durch „Wir machen stark“ der Sozialstiftung NRW. Die nächsten Veranstaltungen finden in Bergisch Gladbach, Köln und Mönchengladbach statt. Interessierte können sich per E-Mail an den Verein wenden.