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Mental HealthImmer mehr Jugendliche fühlen sich einsam

Lesezeit 2 Minuten
Ein Mädchen mit kurzem Rock und weißen Sneakers steht alleine an einem geöffneten Fenster.

Jeder zweite Jugendliche hat das Gefühl, ausgeschlossen zu sein.

Einsamkeit wird zum Problem der Jugend und hat, wie eine Studie jetzt zeigt, demokratiegefährdendes Potenzial. Aber es gibt Hilfsangebote. Wir stellen sie vor.

Man könnte meinen, Einsamkeit betrifft vor allem die ältere Generation, doch sie wird immer mehr zum Problem der Jugend. Dass die sich heute einsamer fühlt als früher – und nicht erst seit Corona – darauf deutet eine Langzeitstudie hin, die die Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena seit 1979 erhoben hat.

Als Ursachen nennt das Forscherteam gesellschaftliche Veränderungen wie die zunehmende Unbeständigkeit sozialer Beziehungen, größere Mobilitätsmöglichkeiten und Veränderungen in der Kommunikation durch digitale Innovationen.

Empfänglich für autoritäre Gedanken

Dass Einsamkeit kein privates Thema ist und nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern für die gesamte Gesellschaft gravierend Konsequenzen, gar „demokratiegefährdendes Potenzial“ haben kann, davor warnt eine aktuelle Studie („Extrem einsam?“) des Progressiven Zentrums Berlin.

Dafür hat die unabhängige, gemeinnützige Organisation mehr als 1000 Jugendliche zwischen 16 und 23 Jahren befragt. Wenn sich junge Menschen dieser Altersgruppe einsam, also ausgeschlossen und von anderen isoliert fühlen – und das tun laut Studie 51 Prozent der zwischen 16- und 23-Jährigen –, seien empfänglicher für autoritäres Gedankengut und Verschwörungsideologien. Beispielsweise stimmten 46 Prozent der einsamen Jugendlichen der verschwörungsideologischen Behauptung zu, dass die Regierung „oft über terroristische Anschläge Bescheid“ wisse, sie aber geschehen lasse. Bei Jugendlichen, die sich nicht einsam fühlen, sind es 15 Prozentpunkte weniger.

Über ein Drittel der einsamen Jugendlichen findet zudem, dass es einige Politikerinnen und Politiker „verdient haben, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt“; bei den Nicht-Einsamen ist es ein Viertel. Lediglich 51 Prozent der Befragten gaben an, dass Demokratie ihrer Meinung nach die beste Staatsform sei und nur rund ein Viertel stimmte der Aussage zu „Ich kann die Politik beeinflussen.“

26 Prozent der teilnehmenden Jugendlichen haben nicht das Gefühl, anderen Menschen nah zu sein. Betroffen sind vor allem junge Erwachsene, die finanziellen Druck verspüren, eine Migrationsgeschichte haben und nicht mehr zu Hause wohnen. Drei Viertel der Jugendlichen verbringen ihre Zeit online, um mit der Einsamkeit umzugehen – weniger als die Hälfte sucht professionelle Hilfe. Die Studienautorinnen warnen davor, dass einsame Jugendliche Anschluss bei demokratiefeindlichen Gruppen suchen könnten – und fordern deshalb mehr Präventionsarbeit durch Freizeitangebote oder soziale Einrichtungen.

Hier gibt es Hilfe - Telefonisch oder online

  1. Kinder- und Jugendtelefon: Unter 116111 gibt es montags bis samstags von 14 Uhr bis 20 Uhr telefonische Beratung - anonym und kostenlos. 2.235 ehrenamtlich tätige, ausgebildete Beratende besetzen 76 Leitungen deutschlandweit. Wer lieber mit jemand Gleichaltrigem sprechen möchte, kann das samstags zwischen 14 und 20 Uhr unter derselben Nummer tun, dann steht das Team von „Jugendliche beraten Jugendliche“ parat, zu Themen wie: Unglücklich verliebt sein, Stress mit den Eltern, Freunden oder Mitschülern haben, von Mobbing oder Abzocke im Internet oder Klassenzimmer betroffen sein, von Angst, Einsamkeit, Missbrauch, Essstörungen, Depression oder Sucht.
  2. Der Verein Nummer gegen Kummer e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern, Jugendlichen und Eltern ein kompetenter Ansprechpartner zu sein bei kleinen und großen Sorgen, Problemen und Ängsten. Die Beratenden der „Nummer gegen Kummer“ dienen dabei in erster Linie als Gesprächspartner, die die Anonymität der bzw. des Ratsuchenden einhalten und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Neben dem Kinder- und Jugendtelefon gibt es ein Elterntelefon und eine  Online-Beratung. Die besteht aus einer Mail-Beratung, die jeden Tag rund um die Uhr möglich ist, und einer Chat-Beratung, die mittwochs und donnerstags von 14 bis 18 Uhr live angeboten wird.
  3. Redezeit für Dich ist eine Plattform aus über 300 im Zuhören geschulten Coaches, Therapeuten und Psychologen, die anderen Menschen ehrenamtlich ihr Ohr schenken und zuhören - kostenlos und ohne Verpflichtung. Und so geht's: Hifesuchende wählen eine Zuhörerin/einen Zuhörer aus einer Liste auf der Homepage aus und schreiben ihm oder ihr eine E-Mail. Sie oder er melden sich innerhalb von 24 Stunden  und vereinbaren einen Termin für das Gespräch via Skype, Zoom, WhatsApp, Facetime oder das Telefon.
  4. Krisenchat ist ein bundesweites, kostenfreies, digitales Beratungsangebot für junge Leute zwischen elf und 25 Jahren, bei dem professionelle Krisenberater und Krisenberaterinnen rund um die Uhr (24/7) Hilfe für Jugendliche in akuten Krisen anbieten  - egal ob bei Liebeskummer, Angst, depressiven Gefühlen, Gewalterfahrung, Identitätsproblemen oder suizidale Gedanken. Die Expertinnen und Experten kommen aus den Bereichen der Psychologie, Psychotherapie und der Sozialpädagogik. krisenchat ist ein bundesweit kostenfreies Angebot für junge Leute. Krisenchat ist unverbindlich, das heißt, man muss sich nicht anmelden Erziehungsberechtigte müssen nicht informiert werden. Die Beratungen finden per WhatsApp oder SMS statt.

Der Politik ist das Problem bewusst, Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat bereits vor einem Jahr ein Kompetenznetz ins Leben gerufen, das Strategien gegen die Einsamkeit entwickelt.