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Mobbing, Grooming, HetzeDiesen digitalen Übergriffen sind Kinder ausgeliefert

Lesezeit 7 Minuten

Kinder und Jugendliche sind im Internet vielen Gefahren ausgesetzt.

Köln – Es ist diese unendliche Grenzenlosigkeit, die das Internet ausmacht – und damit zum Tatort vieler Straftaten werden lässt. Immer mehr Kinder und Jugendliche werden Opfer, sind mit einem Mausklick ungewollt Sexualität und Gewalt ausgesetzt. Die vermeintliche Rechtsfreiheit und Anonymität im Netz tun ihr übriges, dass Täter leichtes Spiel haben – und Mädchen und Jungen schwer belasten, traumatisieren und isolieren können. In einer neuen Serie beschreiben wir in loser Reihenfolge die verschiedenen Phänomene – und zeigen Lösungswege auf.

Bullying und Cybermobbing – Mehr als nur Schikane im Netz

Allein die Zahlen erschrecken: 69 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren sind von Beleidigungen und Beschimpfungen im Netz betroffen, knapp die Hälfte (45 Prozent) von über sie verbreitete Lügen und Gerüchte, fast jede(r) Fünfte wird erpresst, bedroht oder unter Druck gesetzt (24 Prozent) und 22 Prozent müssen erleben, dass private Fotos von ihnen kopiert und veröffentlicht werden. Die Formen von Cybermobbing, auch Bullying (von „bully“= gemeiner Kerl) genannt, sind vielfältig – ebenso wie die Kanäle, über die junge Menschen absichtlich und über längere Zeit digital fertig gemacht werden: An erster Stelle stehen Instant Messenger wie WhatsApp (80 Prozent), gefolgt von sozialen Netzwerken wie Facebook (rund 50 Prozent), Chatrooms, E-Mails und Foren.

Cyber-Mobbing gönnt dem Opfer keine Verschnaufpause. Weil die Täter rund um die Uhr und oft anonym über das (mobile) Netz agieren können, verfolgen sie ihre Opfer bis in die eigenen vier Wände, die damit keinen Rückzugsraum mehr bieten. Inhalte sind im Netz kaum zu kontrollieren. Sie gelangen immer wieder an die Öffentlichkeit und machen es den Opfern schwer, über die Gewalt hinwegzukommen. Immer öfter kommt es vor, dass Jungen und Mädchen ignoriert oder ausgeschlossen werden – von sozialen Aktivitäten, Gruppen oder Chats.

Cybergrooming – Sexuelle Anmache und Anbahnung

Beim Cybergrooming nehmen – meist – erwachsene Täter, die sich als Jugendliche ausgeben, Kontakt zu Minderjährigen auf, mit dem Ziel, digitale oder reale sexuelle Kontakte anzubahnen. Die Täter fragen etwa nach bisherigen sexuellen Erfahrungen, konfrontieren ihre Opfer mit Beschreibungen sexueller Vorlieben oder Fantasien, bitten sie, Nacktbilder zu schicken oder fordern sie zu sexuellen Handlungen auf. Zunächst fragen die Täter in öffentlichen Chats, ob das Opfer einen der gängigen Instant-Messenger auf seinem Computer installiert hat, in private (Video-)Chats wechseln würde oder zu persönlichen Treffen bereit wäre. Dann erschleichen sich die Täter das Vertrauen der Opfer, machen einladende Angebote, etwa bei einem Casting mitzumachen oder bieten sich als Seelentröster an.

Ist das Vertrauen gewonnen, kann es zu Erpressung und Bestechung kommen, um Betroffene zum Schweigen und in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bringen, das in sexualisierten Gewalttaten – auch offline – enden kann. Im Jahr 2018 haben Studien zufolge rund fünf Prozent der Erwachsenen sexuellen Online-Kontakt mit ihnen unbekannten Kindern oder Jugendlichen gehabt.

Extremismus – Das Netz als Spielwiese für Neonazis und Salafisten

Das Internet, da sind sich Experten einig, ist heute das wichtigste Propagandamittel für rechtsextreme und religiösextremistische Gruppen. Auf den Internetpräsenzen von Rechtsextremen geht es, vordergründig, um Kinder- und Tierschutz, Umweltthemen und gesunden Lebensstil, um Themen also, mit denen Rechtsextreme bewusst an Jugendliche anknüpfen möchten. Entsprechende Inhalte werden unter Schlagworten wie „Food-Porn“, „Motivation“ oder „Erlebniswelten“ beworben.

Dahinter steckt, getarnt, eine gefährliche Weltanschauung, antidemokratisch, menschenverachtend und fremdenfeindlich. Auch der Salafismus ist Ausgangspunkt einer seit Jahren schnell wachsenden Jugendsubkultur in Deutschland, weshalb sich salafistische Propaganda im Netz häufig gezielt an Jugendliche richtet. Dabei geht es weniger um Religiöses als um alltagsbezogene Fragen, die den jungen Menschen vermeintlich Orientierung, Sinn und Identität versprechen.

Fake News – Virtuelle Gerüchte und Falschmeldungen

Vor allem Jugendliche sind mit „Fake News“ konfrontiert, da sie sich täglich in Sozialen Netzwerken informieren, über die sich solche Falschnachrichten schnell und leicht verbreiten. Studien zeigen, dass etwa 60 Prozent der Unter-18-Jährigen Soziale Netzwerke als Hauptinformationsquelle von tagesaktuellen Themen, wie Politik, Sport oder Wirtschaft nutzen. Das Dilemma: Jugendliche wissen oft nicht, wie sie innerhalb der Informationsflut des Internets, wahre von falschen Meldungen unterscheiden sollen.

Auch wenn, laut der aktuellen JIM-Studie 62 Prozent der Jugendlichen im Netz recherchieren, wenn sie sich nicht sicher sind, ob eine Information richtig ist, bleibt die Recherche meist oberflächlich. Denn bei einer Google-Suche berücksichtigen sie meist nur die ersten Treffer und oft reicht schon ein Überfliegen der Überschriften aus, um eine Information für überprüft zu halten.

Happy Slapping – Gewalttaten filmen und viral verbreiten

Beim „Happy Slapping“ („Fröhliches Schlagen“) filmen die Täter ihr Opfer, während sie es verprügeln oder anderweitig demütigen, um später damit im Internet oder bei Freunden, denen sie das Video per Handy weiterleiten, zu prahlen, Anerkennung zu erhalten oder schlicht Schrecken zu verbreiten. Die Weitergabe und Vervielfältigung des

Videos bedeutet für das Opfer eine nächste Demütigung. „Happy Slapping“ ist kein Kavaliersdelikt: Wer einen Menschen angreift, die Tat filmt oder sie verbreitet, begeht eine Straftat – bis hin zur Körperverletzung. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wer „Happy Slapping“ beobachtet, muss das anzeigen. Ansonsten erfüllt er den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung und der Strafvereitelung. Als Gründe für „Happy Slapping“ nennen Expertinnen und Experten den Konsum von gewaltverherrlichenden Computerspielen oder brutalen Filmen.

Hate Speech – Hass und Einflussnahme in sozialen Medien

Die Verbreitung von Diskriminierung, Hass und Hetze im Internet, genannt „Hate Speech“ (=Hassrede) wird zunehmend alltäglich – vor allem in den Sozialen Netzwerken. Dabei werden bestimmte Personen oder Gruppen bewusst und gezielt online abgewertet, beleidigt und bedroht – mit rassistischen, antisemitischen oder sexistischen Kommentaren. Falsche Prediger, also politische Agitatoren, Extremisten und Populisten setzen bei der Verbreitung ihrer Ideologie verstärkt auf soziale Netzwerke und jugendaffine Onlineportale.

Laut einer Forsa-Studie haben 91 Prozent der 14- bis 21-Jährigen bereits Erfahrungen mit „Hate Speech“ im Netz gemacht. 55 Prozent haben sich demnach schon einmal näher mit einem Hasskommentar befasst, 34 Prozent haben solch einen Kommentar gemeldet und 27 Prozent haben schon einmal auf einen Hasskommentar geantwortet. Das Problem: Im Internetchat oder bei einer Whats-App-Nachricht sieht man die Reaktion seines Gegenübers meist nicht, was dazu verführen kann, jemanden schneller zu beleidigen, als wenn man ihm gegenübersteht.

Pornografie – Unfreiwillige Begegnungen

Keine Frage: Pornografie zählt zu den entwicklungsgefährdenden Inhalten und ist damit nicht für Kinder und Jugendliche geeignet. Sie kann verstören und verunsichern, überfordern, unter Druck setzen, fragwürdige Vorstellungen von Sexualität und Rollenklischees vermitteln und sich negativ auf den Umgang auswirken – und die Kommunikation untereinander: Begriffe wie „Bitch“, „Opfer“ sind im Netz alltäglich und zeugen von einer sexualisierten Kommunikation und einer Kultur der Erniedrigung.

Die Angaben, wie viele Jugendliche Erfahrung mit Internet-Pornografie gemacht haben, liegen zwischen 60 und 80 Prozent. Studien belegen aber klar: Der Erstkontakt erfolgt bei mehr als 50 Prozent der Jugendlichen ungewollt – im Durchschnitt waren die Betroffenen dabei erst 12 Jahre alt.

Problematisch ist auch, dass nur vier Prozent der Opfer den Vorfall mit Lehrern oder Eltern besprechen. Besonders gefährdend sind Angebote, die Sexualität und Gewalt miteinander verknüpfen, weil dabei die Macht des Stärkeren – meist ein Mann – und die körperliche Unterwerfung des Schwächeren –meist eine Frau – lustvoll dargestellt wird. Aus diesen Darstellungen übernehmen Kinder und Jugendliche sexuelle Normvorstellungen, die wenig mit der Realität zu tun haben – und unmittelbar (negativen) Einfluss auf das eigene Sexualverhalten nehmen können.

Sexting – Kriminelle Liebesbeweise und sexuelle Erpressungen

Unter „Sexting“ versteht man die zunächst freiwillige, sexuell motivierte Kommunikation in der virtuellen Welt – als Chatnachricht, intimes Foto oder Video, die unter Jugendlichen oft als Liebesbeweis eingefordert wird. „Sextortion“, also sexuelle Erpressung, wird daraus, wenn die Täter androhen, diese Bilder oder Videos zu veröffentlichen, wenn das Opfer nicht bereit ist, Geld zu zahlen oder eine anders geartete Forderung einzuhalten.

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Sexting setzt sich zusammen aus den Begriffen „Sex“ und „Texting“ (eine Nachricht versenden). Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass fast jede(r) zweite Schülerin/Schüler der Jahrgangsstufen neun und zehn schon einmal nicht-körperliche sexualisierte Gewalt im Netz erfahren hat.