Projekt GremboxSpielend integriert
Gremberghoven – „Gäbe es die Rheinflanke nicht, wäre ich auf die schiefe Bahn geraten“, gesteht Sylvie Watteau ohne Umschweife und erzählt von ihrer Kindheit in Gremberghoven, wohin die gebürtige Belgierin im Sommer 2000 mit ihrer Mutter zog. Da war sie vier Jahre alt, vermisste ihre Geschwister und ihren Vater, die in Belgien blieben, und fühlte sich auch sonst alleine, einsam und überfordert.
Ihre alleinerziehende Mutter musste sich als Reinigungsfachkraft über Wasser halten. Zeit und Interesse für ihre Tochter blieben dabei auf der Strecke. „Ich habe als Kind den Haushalt geschmissen, habe gekocht, geputzt, gebügelt“, sagt die 21-Jährige. Was sie zur Einzelgängerin machte und zum Opfer ihrer Mitschüler. „Schon in der Grundschule wurde ich gemobbt, weil ich oft keine Zeit hatte und kein Geld für angesagte Klamotten.“
Alleingelassene Jugend
Auch außerhalb der Schule gab es kaum Kontakte oder andere Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben – dafür allerhand soziale Konflikte. Analphabetismus, Alkoholismus, Drogenkonsum, Schulverweigerung und Spielsucht gehören zum Alltag in Gremberghoven, wo rund 3000 Einwohner aus 20 Nationen leben, viele davon sind hoch verschuldet. 38,3 Prozent der Unter-15-Jährigen leben von Sozialhilfe. Hinzu kommt erschwerend, dass sich die Kirchen vor vielen Jahren aus Gremberghoven verabschiedet haben.
Kirchen haben sich verabschiedet
So gab es neben zwei, drei Vereinen viele Jahre keine Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche. Vor allem für die jungen Bewohner des Flüchtlingswohnheims an der Rather Straße
Die Rheinflanke
Die RheinFlanke gGmbH wurde 2006 in Köln gegründet und ist heute Trägerin für Jugendarbeit und Flüchtlingshilfe an neun Standorten in ganz Deutschland. Der Fokus der gemeinnützigen Organisation liegt auf Kindern und Jugendlichen, die einen erschwerten Zugang zu Bildung, Ausbildung und damit auch zu gesellschaftlicher Teilhabe haben. Um auch diese jungen Menschen zu fördern, bietet die RheinFlanke ganzheitliche, bedarfsgerechte Förderprogramme an. Mit der Hilfe ihrer nationalen und internationalen Netzwerke erreicht die RheinFlanke wöchentlich bis zu 3000 Kinder und Jugendliche.
fehlten Betreuung und Unterstützung – die Angebote des Jugendamts konnten den Bedarf alleine nicht decken. Bis die „Rheinflanke“, der gemeinnützige Jugendhilfeträger, diese Lücke im Jahr 2010 – zunächst mit einem dreistündigen Sportprogramm, dann mit einem Jugendtreff – schloss. Und auch Sylvie aus der Einsamkeit befreite. Bis heute ist das Jugendhilfeangebot der „Rheinflanke“ das Einzige im Quartier. „Ohne das Team wäre unser Veedel mit seinen Problemen total auf sich alleine gestellt. Ich schwöre, unsere Jugendlichen würden in ein tiefes Loch fallen“, sagt Sylvie Watteau.
Poldis großes Engagement
Vor einem halben Jahr ist der Jugendtreff an den Langobardenplatz gezogen – in einen feuerroten Container samt angeschlossenem Kunstrasen-Bolzplatz. Zur Einweihung der „Grembox“ Anfang Juni kam auch Lukas Podolski. Dem großen Engagement des Fußballweltmeisters ist es zu verdanken, dass Gremberghovens Jugend nun eine feste Anlaufstelle im Quartier hat – und täglich bis zu 80 Jugendliche am Langobardenplatz gefördert werden – sportlich wie sozial. Ende 2014 startete die Lukas Podolski Stiftung gemeinsam mit der „Rheinflanke“ eine spektakuläre Spendenaktion. Mit einem zum Podolski-Museum umfunktionierten Doppeldecker-Bus tingelte „Poldi“ von Weihnachtsmarkt zu Weihnachtsmarkt – und sammelte 250 000 Euro. Mit im Spendenbus-Team: Sylvie Watteau, die in den vergangenen Jahren von einer Stammbesucherin zur ehrenamtlichen Helferin herangewachsen ist. Neben der Podolski Stiftung gab es ein großes Netzwerk an Stiftungen, Spendern – darunter auch „wir helfen“ – und der Stadt, „die alle kräftig an einem Strang zogen, damit wir die Grembox realisieren können“, sagt „Rheinflanke“-Geschäftsführer Sebastian Koerber.
Fürs Leben stark gemacht
Dass die „Grembox“ mehr ist als eine Freizeiteinrichtung, davon kann auch Sylvie Watteau ein Lobliedchen singen. „Das Team hat mich in allen Lebenslagen unterstützt. Ob Schulabschluss, Ausbildungs- oder Wohnungssuche, sie sind jeden Schritt mit mir gegangen“, sagt sie, und fügt sichtlich gerührt an: „Das hat mein Selbstvertrauen aufgepäppelt und mich stark fürs Leben gemacht“. Ein Leben, das Sylvie mehrmals herausgefordert hat. Sie ist zu jung auf sich alleine gestellt, wird gemobbt, später schlägt sie der Bruder, immer, wenn sie in Belgien zu Besuch ist. 2013 nimmt er sich das Leben, drei Monate später ertrinkt ihre siebenjährige Nichte im Gartenteich. „An den Realschulabschluss war da erstmal nicht zu denken“, sagt Sylvie Watteau und ihr sonst hellwacher Blick trübt sich für einen langen Moment.
Geläuterter Intensivtäter
„Wir haben den Einzelnen im Blick, und bieten gezielte Hilfe“, sagt Georg Höcketstaller. Der Sozialarbeiter ist Teamleiter der „Grembox“ und kennt die Sorgen und Nöte der Jugendlichen. Zum Beispiel die von Jamie (Name geändert). Der 19-Jährige ist der Polizei als Intensivtäter bekannt, an die 100 Straftaten gehen auf sein Konto. Seitdem er die Angebote der „Rheinflanke“ nutzt, scheint er kuriert. Kein einziges Vergehen mehr seit vielen Monaten.
„Wir möchten ein gemeinsames, friedliches Aufwachsen im Stadtteil ermöglichen“, sagt Team-Mitglied Stephanie Jung. Mit offensichtlichem Erfolg: „Auch die Polizei bestätigt, dass die Jugend-Kriminalität im Quartier durch uns enorm zurückgegangen ist“, sagt Georg Höcketstaller.
Sport als Motor
Auf dem „Grembox“-Programm stehen Fußball-Trainings und Turniere, aber auch andere Sport-, Musik- und Kunstkurse. Es gibt Mädchenangebote, Handwerkskurse in der eigenen Fahrradwerkstatt – und eine individuelle Berufsberatung. In Zusammenarbeit mit örtlichen Vereinen werden Feste und Freizeiten auf die Beine gestellt. „Wir stärken und integrieren junge Menschen über Sport und Spiel und schaffen gemeinsam mit ihnen Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben“, bringt Sebastian Koerber die „Grembox“-Philosophie auf den Punkt.
Die folgenden Worte Sylvie Watteaus sind nur ein Beweis von vielen, dass das meist auch gelingt: „Das Team hat mir geholfen, mein Blickfeld für die Ausbildung zu erweitern, meine Schüchternheit zu überwinden und mit anderen in Kontakt zu treten. Und es hat mich beschäftigt, in einer Zeit, in der ich arbeitslos war.“ Heute ist Sylvie, wie sie selbst sagt, auf der geraden Bahn. Neben ihrem „Grembox“-Ehrenamt arbeitet sie als Honorarkraft in der Porzer Jugendeinrichtung „Glashütte“. Und: Sie hat einen Ausbildungsplatz zur Verkäuferin gefunden, den sie diesen Sommer antreten wird. „Ich blicke optimistisch in die Zukunft.“
Spenden dringend vonnöten
Wenn das „Grembox“-Team in die Zukunft schaut, blitzen Visionen auf. Da ist die Idee eines pädagogischen Platzwarts, der die Ehrenamtler koordiniert, der Traum, das Angebot auf sieben Tage zu erweitern, und in den Ferien mehr bieten zu können. Doch dafür ist der Verein, der sich hälftig von Spenden und der Stadt finanziert, dringend auf Zuwendungen angewiesen. Nicht nur von „Poldi“.
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