Jedes Kind hat ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Dazu zählen auch seelische Verletzungen, wie ein neues Video des Kölner Kinderschutzbunds deutlich macht.
Seelische GewaltVideospot klärt über Nischenthema auf
Ein Vater stellt sein dreijähriges Kind an der Supermarktkasse vor den Augen und in den Ohren aller bloß — und beschimpft es lautstark. Eine Mutter empfängt ihre Tochter beim Sportfest mit den Worten im Ziel: „Klar, dass Du wieder einmal Letzte warst, wie peinlich“. Solche Situationen oder auch Sätze wie: „Schon wieder eine Vier in Mathe? Aus Dir wird nie was!“; „Du machst jetzt, was ich sage!“ „Stell Dich nicht so blöd an, ich kann dich nicht mehr sehen!“ – und auch das wortlose Gegenteil davon: Sein Kind als Strafe tagelang anschweigen, ignorieren, es von seinen Freunden isolieren ...
... all das ist Gewalt.
Auch wenn das manch einem oder einer nicht bewusst, noch immer ein Nischenthema ist. Zwar hat hierzulande jedes Kind ein gesetzlich verbrieftes Recht auf gewaltfreie Erziehung — so steht es seit dem Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch. Doch darüber, dass auch seelische Verletzungen in der Erziehung nichts zu suchen haben, gibt es kaum Bewusstsein — mit dem Resultat: Psychische Gewalt wird bagatellisiert, gar nicht erst wahrgenommen oder als Privatsache abgetan. Auch weil sie im Unterschied zu körperlicher Gewalt meist keine sichtbaren Spuren hinterlässt — unsichtbar bleibt.
Um das zu ändern, hat der Kinderschutzbund die bundesweite Kampagne „Gewalt ist mehr als du denkst“ gestartet. Denn „seelische Verletzungen gehören leider für viele Kinder zum Alltag. Sie werden beleidigt, beschimpft, bedroht und bloßgestellt — im Elternhaus, in der Kita, in der Schule, im Verein“, sagt der Geschäftsführer des Kölner Kinderschutzbunds Lars Hüttler – „Oftmals wird Kindern Gewalt angetan, ohne dass Erwachsenen klar ist, dass sie gewaltvoll handeln.“
Videospot schärft Bewusstsein für seelische Gewalt
Um bei ihnen und noch mehr anderen Menschen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass auch psychische Gewalt teils lebenslange Schäden anrichtet, präsentiert der Kinderschutzbund Köln in Kooperation mit der Hamburger Produktionsfirma „Element-E“ jetzt flankierend zur Kampagne einen Videospot, der über die mehr als 400 Ortsverbände des Kinderschutzbundes ausgespielt und auch in den Cineplex-Kinos der Republik im Werbeblock zu sehen sein wird.
Hier können Sie den Videospot sehen >>
Ab Anfang Dezember zeigen ihn in Köln das Filmhaus, die Lichtspiele Kalk, die Filmpalette, das Cinenova und die Residenz/Astor Filmlounge. „Dieser Spot ist eine neue Liga für uns, einzigartig in der fast 70-jährigen Geschichte unseres Ortsverbands und eine wertvolle Spende“, sagt Hüttler. „Element-E“ hat den Spot nämlich kostenfrei produziert.
Ohne erhobenen Zeigefinger, Holzhammer und ohne Schuldfrage
Ein Jahr lang haben Regisseur Waldemar Obermann und Kollegin Lara Stoffers dafür mit dem Kölner Kinderschutzbunds zusammengearbeitet — und dabei die Erfahrung gemacht: „Erst wenn man sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, realisiert man, wie häufig seelische Gewalt um einen herum geschieht“, sagt der Regisseur und Vater einer zweijährigen Tochter. Das Ergebnis der einjährigen Zusammenarbeit: Ein Spot, der auf sehr feine Art und Weise, ganz ohne erhobenen Zeigefinger und Holzhammer deutlich macht: „Dass beinahe jede und jeder von uns selbst psychische Gewalt erlebt hat“, sagt Lara Stoffers.
Wichtig war allen Beteiligten, ohne Schuldzuweisungen auszukommen. „Wir wissen, wie sehr viele Eltern heute unter Stress stehen, wir möchten niemanden verurteilen, der einmal einen schlechten Tag hatte und sein Kind ungerecht behandelt hat. Doch wenn immer nur das Kind als Ventil herhalten muss, wenn es wiederkehrende Muster seelischer Verletzungen gibt, sollten sich die Eltern die Frage gefallen lassen, ob ihnen bewusst ist, dass sie ihrem Kind damit nachhaltig schaden“, sagt Stefan Hauschild, therapeutischer Leiter des Kinderschutzbundes Köln.
Depressionen und Angststörungen bis ins hohe Alter
Längst ist wissenschaftlich erwiesen: Seelische Gewalt hinterlässt tiefe Narben in der Psyche, die oft ein Leben lang wirken. Hausschild: „Kinder haben etwa ein geringeres Selbstwertgefühl, trauen sich wenig zu, manche imitieren das gewaltvolle Verhalten, bedrohen andere Kinder. Jugendlichen fällt es schwer, Bindungen und Beziehungen aufzubauen.“ Nicht selten leiden Betroffene noch als Erwachsene unter Depressionen, Ängsten, Süchten, sind weniger belastbar und haben Probleme, ihr Leben zu meistern.
Die Fälle psychischer Gewalt haben sich im Vergleich zu 2012 von 10.000 auf 22.000 gemeldete Fälle bei den Jugendämtern verdoppelt. Die Dunkelziffer dürfte, so Hausschild, „unfassbar viel höher liegen.“ Deshalb setzt sich der Kinderschutzbund Köln nicht nur für mehr Sichtbarkeit seelischer Gewalt ein, er fordert auch, „dass die gleiche Energie, die in die Aufklärung, Information und Prävention von körperlicher und sexualisierter Gewalt fließt, jetzt auch seelischer Gewalt gewidmet wird“, so Hüttler.
„Eltern, Erzieher, Lehrkräfte, Politik und Verwaltungen müssen in der Lage sein, betroffene junge Menschen zu stärken und zu ermutigen, sich Hilfe zu holen.“ Dann hätten auch mehr Kinder keine Angst mehr vor dem Aufwachen — wie das Mädchen aus dem Spot, das nur in seinen Träumen Schönes erfahren und angstfrei leben kann.
Psychische Gewalt im Alltag und Hilfsangebote
- Seelische Gewalt beschreibt Verhaltensweisen und Handlungen, die mit der Ausübung von Macht und Kontrolle verbunden sind und Betroffene verunsichern, verletzen oder isolieren.
- Kindern gegenüber äußert sich psychische Gewalt u.a. als Ablehnung, Liebesentzug, Erzeugen von Schuldgefühlen seitens der Eltern oder auch als Mobbing in der Schule und in anderen Einrichtungen. Sie reicht vom Beschimpfen und Bloßstellen bis hin zu Drohungen.
- Der Kinderschutzbund Köln hat viele kostenlose Angebote für Kinder, Jugendliche, Familien und Fachkräfte im Repertoire, u.a.den Elternkurs „Starke Eltern – Starke Kinder“; anonyme Hilfe gibt es bei Beratungshotlines, wie der Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche (116111), dem Elterntelefon (0800/1110550), bei Familien-, Kinder- und Jugendberatungen (Anmeldungen unter 0221 / 5 77 77 0). Mehr Infos online gibt es hier www.kinderschutzbund-koeln.de