AboAbonnieren

„Sozial schwach“ und „bildungsfern“Wie Sprache Vorurteile verstärkt

Lesezeit 3 Minuten

Viele Familien mit Kindern leiden gerade unter enorm hohem finanziellen Druck.

Köln – Deutschland war auch vor der Corona-Krise kein finanziell gerechtes Land. Etwa zehn Prozent der Erwachsenen besitzen rund 67 Prozent des Vermögens, zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Wenige haben also viel, viele haben wenig Geld. Wer sehr wenig Geld hat, sich weder eine FFP2-Maske noch einen Laptop für sein Kind leisten kann, wird in den aktuellen Diskussionen um die Corona-Beschränkungen oft als „sozial schwach“ oder „bildungsfern“ bezeichnet; die Wohnorte und Schulstandorte der Menschen als „Brennpunkt.“

Warum wir diese Begriffe hinterfragen sollten, erklärt Alexander Mavroudis, der beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) zu Kinderarmut und armutssensibler Sprache arbeitet.

Sozial schwach

„Der Begriff »sozial schwach« führt zu voreiligen Pauschalisierungen“, sagt Mavroudis. „Ob ich ein sozial denkender Mensch bin, hat nichts damit zu tun, wie viel Geld ich zur Verfügung habe.“ Es sei eher so, dass Menschen mit weniger finanziellen Mitteln tendenziell eher auf ein gemeinschaftliches Leben angewiesen sind, weil sie Leistungen wie Kinderbetreuung oder eine Einkaufshilfe nicht kaufen können. Die Hilfe und Unterstützung unter Nachbarn sei in einkommensschwachen Nachbarschaften eher größer, vermutet Mavroudis.

Alexander Mavroudis arbeitet beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) zu Kinderarmut und armutssensibler Sprache.

„Sozial schwach“ suggeriert aber genau das Gegenteil: Dass den Menschen soziale Kompetenzen fehlen und somit die Fähigkeit, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Es schwingt eine Eigenschuld in der Bezeichnung mit. „Strukturelle Probleme werden ausgeblendet“, sagt Mavroudis. Für die Nationale Armutskonferenz ist die Bezeichnung bereits seit 2013 ein „soziales Unwort“.

Bildungsfern

Mit „bildungsfern“ werden Kinder betitelt, deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss haben. „Bildung ist aber mehr als Schulunterricht“, ist sich Mavroudis sicher. Kinder lernen auch im Alltag, im Sportverein oder in Jugendeinrichtungen. Nur weil die Eltern ab einer bestimmten Klasse nicht mehr bei den Hausaufgaben helfen können, sind sie nicht generell hilflos, sagt Mavroudis. „Viele Eltern bemühen sich trotz der prekären Lebensverhältnisse enorm, ihren Kindern viel zu ermöglichen.“ Das sollte man unbedingt wertschätzen.

Brennpunkt-Schule

„Brennpunkt“ ist das Pendant zu „sozial schwach“, übertragen auf ganze Stadtviertel. Dort werden Probleme wie niedrige Einkommen, schlechte Infrastruktur oder ein hoher Anteil Zugewanderter unter einem Begriff summiert, der bedrohlich klingt. „Auch das Wort führt sofort zu voreiligen Schlüssen“, sagt der Armutsexperte.

Was ist besser?

Mavroudis plädiert dafür, Probleme spezifischer zu benennen, wenn man über Menschengruppen oder Stadtteile spricht. „Finanzielle Armut ist ein Tatbestand, den man nicht ignorieren kann“, sagt er. Dabei sollte man aber die Lösungsorientierung in den Vordergrund stellen und nicht den Menschen suggerieren, dass sie durch eigenes Verschulden nicht ins System passen. „Die Frage muss lauten: Wie können wir zum Beispiel das System Schule besser an die Kinder anpassen?“

Das könnte Sie auch interessieren:

Eine Sprachsensibilität, die im Zusammenhang mit Geschlecht und Herkunft mittlerweile öffentlich eingefordert wird, wäre also auch beim Thema Armut wünschenswert.

So können Sie helfen

Mit unserer Aktion „wir helfen: damit unsere Kinder vor Gewalt geschützt werden“ bitten wir um Spenden für Projekte, die sich für ein friedliches und unversehrtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in unserer Region einsetzen.

Die Spendenkonten lauten:

„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“

Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 370 502 990 000 162 155

Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 370 501 980 022 252 225