Theater trotz CoronaSommerblut-Festival inszeniert „14,2 x 3,4 x 5,5“ als Audio-Walk
Köln – Die Theaterprobe beginnt wie die meisten Treffen gerade – erst, wenn alle Internetverbindungen stehen. „Hört ihr mich? Seht ihr mich?“, zwei Fragen, die im Corona-Alltag ein „Hallo“ längst ersetzt haben. Was gibt es Neues in den Zimmern in Merheim, Bickendorf und Zollstock? Der 14-jährige Carlo war beim Friseur. Jetzt jucken die abgeschnittenen Haare unter dem T-Shirt, weil es aus Hygiene-Gründen keine Umhänge gab. „Wann ist noch mal die Premiere?“, fragt Dascha. Corona-Alltag: Die Tage verschwimmen, wenn jeder gleich ist. Ein Besuch beim Friseur ist plötzlich ein Erlebnis.
Die acht jungen Performer, Regisseur Oleg Zhukov , Choreografin Stefanie Elbers und Produktionsleiterin Linnea Winkler sitzen am Mittwochnachmittag verteilt in ganz Köln vor ihren Kameras und proben gemeinsam die Aufführung „14,2 x 3,4 x 5,5“ des Kölner Sommerblut-Festivals. Das inklusive „Festival der Multipolarkultur“ findet noch bis zum 24. Mai statt, trotzt als bisher einziges Theaterfestival den Umständen. Die Produktionen wurden, so gut es eben geht, in den virtuellen Raum verlegt, erzählt Festivalleiter Rolf Emmerich.
Wir nutzen wir Raum?
Das Thema „Zukunft“ stand lange fest, nun ist sie da: die andere Zukunft. Auch die Idee zur diesjährigen Jugendperformance, deren Produktion von „wir helfen“ unterstützt wird, passt wie kaum eine andere in diese Zeit: Räume. Wie nutzen wir Raum? Wie eignen wir uns diesen an und gestalten ihn? Jeder lernt die eigenen Quadratmeter gerade neu kennen. „Ich kann nach den Proben nicht mehr in einen Raum gehen, ohne ihn zu vermessen“, sagt der 14-jährige Simon. „Wir haben viel darüber gesprochen, wie es ist, nach langem Drinnensitzen wieder rauszugehen“, erzählt Dascha. „Ich träume anders, seit ich so viel Zeit in meinem Zimmer verbringe“, sagt Carlo.
Diese Gedanken seiner Darsteller hat Zhukov aufgenommen und zu einem Audio-Walk zusammengeschnitten. Die Zuhörer bekommen am Startpunkt an der Alten Feuerwache im Agnesviertel Kopfhörer ausgehändigt und begeben sich dann corona-konform alleine auf einen Spaziergang „in diese seltsame Welt da draußen“. „Die Person flaniert und wir sitzen in unseren Räumen und lenken sie stellvertretend für uns durch die Straßen“, erklärt der Regisseur.
Die Schauspieler sind auch Techniker und Maskenbildner
Bei der heutigen Probe geht es um die Schlussszene, die als Überraschung für den Zuhörer geplant ist und für jeden einzelnen live inszeniert wird. Gespielt wird vor vielen weißen Wänden, Ida ist dafür extra in den Keller gegangen. „Zeig uns mehr Boden, Ehsan!“, lautet die Anweisung an den 23-jährigen Iraner, der erst seit 20 Monaten in Deutschland lebt und im Iran Theaterregie studiert hat. Weil ihre Bühne das eigene Zimmer ist, sind die jungen Schauspieler plötzlich auch Techniker, Requisiteur, Maskenbildner. Von wo kommt das Licht? Welchen Winkel fängt die Webcam ein?
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Auch mit dem Nervenkitzel einer Premiere sind sie im entscheidenden Moment alleine. „Ich bin schon aufgeregt, weil wir auch viel improvisieren“, verrät Carlo. Insgesamt sind sich die Schauspieler einig, dass die Proben ihnen in den letzten Wochen sehr geholfen haben. „Ich habe mich immer gefreut, die anderen zu sehen“, erzählt die 18-jährige Ida aus Merheim. „Die virtuellen Treffen haben mir Struktur gegeben.“
Auch für den Regisseur ist diese Arbeit neu, so hat er noch nie eine Aufführung inszeniert. Am Anfang haben sie sich noch auf Abstand getroffen. Dann sehr lange gar nicht. Nun ist Zhukov optimistisch, dass am Donnerstag zur Premiere alles klappt – und stolz auf seine Darsteller: „Toll, dass ihr das alle so durchgezogen habt.“
Zuhörer werden gebeten, sich vorher online anzumelden. Termine: Donnerstag, 21. Mai, 17.30-19 Uhr, Freitag, 22. Mai und Samstag, 23. Mai, 16-19 Uhr.