Ukrainische Flüchtlinge in Köln„Viele Familien sind hilflos und entwurzelt“
- Rett-Syndrom ist eine neurologische Entwicklungsstörung unter der fast ausschließlich Mädchen leiden.
- Obwohl es weltweit rund 350 000 Betroffene gibt, davon über 5000 in Deutschland, ist diese Krankheit in der Öffentlichkeit kaum bekannt.
- Claudia Petzold vom Verein Rett-Syndrom Deutschland hilft ukrainischen Kindern mit dieser Erkrakung.
Köln – Die Kölnerin Claudia Petzold hat 2010, kurz nachdem bei ihrer damals zweijährigen Tochter das Rett-Syndrom diagnostiziert wurde, den Verein Rett-Syndrom-Deutschland gegründet. Ziel war und ist es, die internationale Forschung zum Rett-Syndrom finanziell zu unterstützen.
Das Rett-Syndrom ist eine neurologische Entwicklungsstörung unter der fast ausschließlich Mädchen leiden. Obwohl es weltweit rund 350 000 Betroffene gibt, davon über 5000 in Deutschland, ist diese Krankheit in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Die Kinder kommen gesund zur Welt und entwickeln sich zunächst normal, erst im Kleinkindalter tauchen die ersten Symptome auf. Nach und nach verlieren die Kinder die erworbenen Fähigkeiten wie sprechen, reagieren, gehen und die Kontrolle über ihre Hände. Die Behinderung ist die Folge einer Genmutation. Bisher ist das Rett-Syndrom nicht heilbar.
Rett-Syndrom-Kinder im Fokus
Mit Beginn des Krieges in der Ukraine rückten die im Kriegsgebiet lebenden Familien mit einem an dem Rett-Syndrom erkrankten Kind in den Fokus der Vereinsarbeit. Schnell war klar, dass Krieg nicht nur Zerstörung, Flucht und Entwurzelung für die gesamte Zivilbevölkerung bedeutet, sondern für die schwerkranken Kinder auch zu Engpässen bei lebensnotwendigen Medikamenten führt. Petzold, die Vereinsvorsitzende, startete am 8. März eine Spendenaktion für Kinder in der Ukraine, die unter dem unheilbaren Rett-Syndrom leiden.
Sie helfen aktuell 98 ukrainischen Familien, deren Kinder an dem Rett-Syndrom leiden. Wie funktioniert diese Hilfe konkret?
Die ersten Hilferufe kamen per WhatsApp oder SMS. Sofort habe ich über Facebook und Instagram einen Spendenaufruf gestartet und inzwischen über 21 000 Euro gesammelt. Mit diesem Geld kaufen wir Medikamente, Hygieneartikel und Rollstühle und bringen diese direkt in die Ukraine zu den Familien.
Welche Medikamente werden benötigt?
Das ist kompliziert, es gibt nicht das Medikament. Im Gegenteil: Jedes Kind hat eine eigene Medikation. Neben den Epilepsie-Medikamenten brauchen die meisten Kinder noch andere Tabletten, aber auch spezielle Hygieneartikel und glutenfreie Nahrung. Das heißt: bei 98 Rett-Kindern gibt es 98 individuell geschnürte Medikamentenpakete. In der Ukraine gibt es in den Apotheken augenblicklich nichts und solche speziellen Medikamente hat auch kein Hilfskonvoi dabei, der Richtung Ukraine fährt.
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Woher wissen Sie, wer was braucht?
Ich habe einen persönlichen Kontakt zu den einzelnen Familien und bin dadurch über die exakte Medikation für das jeweilige Kind informiert. Ich arbeite sehr eng mit dem Vorsitzenden des polnischen Rett-Vereins zusammen. Wir haben eine Excel-Datei angelegt, wo die Medikationen für die einzelnen ukrainischen Rett-Familien genauestens angegeben sind.
„Diese Krankheit ist tückisch”
Was passiert mit den Kindern, wenn sie keine Medikamente bekommen?
Diese Krankheit ist tückisch, man darf die Medikamente nicht von heute auf morgen absetzen, das kann zu Atemstillstand bis hin zum Tod führen.
Wie kommen die Medikamente an die betroffenen Familien in die Ukraine?
Ich schicke das Geld an meinen Kollegen Pawel, den Vorsitzenden des polnischen Rett-Vereins. Er besorgt die Medikamente in Polen und bringt die Pakete an die ukrainisch-polnische Grenze. Hier warten zwei zuverlässige junge ukrainische Männer, die die Medikamente innerhalb der Ukraine an die betroffenen Familien verteilen. Pawel und die beiden Kuriere sind meine persönlichen Helden, ohne sie wäre die Auslieferung der Medikamente nicht möglich.
Wäre es nicht einfacher, diese Familien aus dem Kriegsgebiet herauszuholen als eine solch komplizierte Logistik aufzubauen?
Eine Flucht mit Rett-Kindern ist eine Herausforderung. Es gibt Kinder mit unterschiedlich starken Behinderungen, viele sitzen im Rollstuhl, haben starke Epilepsie-Anfälle, das macht eine Flucht besonders kompliziert. Man kann mit den Kindern nicht 24 Stunden in der Schlange stehen, um über die Grenze zu kommen.
Haben Sie Kontakt zu Familien, denen die Flucht gelungen ist?
Fünf Familien sind inzwischen in Deutschland, für die suche ich Wohnungen, Jobs und helfe bei Behördengängen, denn viele sind hilflos und entwurzelt. Da gibt es etwa die Familie Doroschuk, die in Dortmund gelandet ist. Die jungen Eltern, Anton und Marina, wohnen mit ihrer Tochter Varya in einer Sozialwohnung im dritten Stock ohne Aufzug. Die behinderte Tochter ist sieben Jahre alt und muss immer die Treppen rauf und runter getragen werden, das ist schon sehr beschwerlich. Anton Doroschuk ist Möbeldesigner und hatte in der Nähe von Kiew eine eigene Firma. Ich habe inzwischen Initiativbewerbungen an zehn Kölner Schreinereien verschickt und hoffe, dass sich wenigstens eine Firma meldet.
So können Sie helfen
wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird
Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.
Bislang sind 1.328.993,90 Euro (Stand: 27.09.2022) eingegangen.Die Spendenkonten lauten:„wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25
Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.
Was wünschen Sie sich?
Ganz konkret wünsche ich mir für die Familie Doroschuk eine behindertengerechte Wohnung und für den Familienvater einen Job in einer Schreinerei. Außerdem freue ich mich sehr über jeden Euro, der gespendet wird, um den ukrainischen Familien mit ihren kranken Kindern zu helfen.
rett-syndrom.de/hilfe-fuer-ukrainische-familien-mit-rett-kind