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Wie hilft man Opfern?Die spezielle Dynamik von Cybermobbing

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Mobing in der digitalen Welt grenzt auch im realen Leben aus

Köln – Eigentlich, wird der zwölfjährige Mika später sagen, sei das „alles doch nicht so gemeint gewesen“. Nur ein Dummer-Jungen-Streich. Und das obwohl er seinem Mitschüler Sebastian einen Mord oder zumindest eine schwere Körperverletzung angedroht hat.

Kackhaufen auf dem Kopf

Doch der Reihe nach: Mika ist so etwas wie das Alphatier unter den Jungen der 6a. Auch die Mädels finden ihn „cool“ – viele von ihnen auch dann noch, als Mika in den WhatsApp-Chat der Realschulklasse eine Fotomontage stellt, die seinen Mitschüler Sebastian mit einem Kackhaufen auf dem Kopf zeigt. Darunter die Zeile: „Ha, ha, ha – ich lach mich kaputt!“

Am selben Abend postet Mika noch eine Audionachricht: „Basti, du bist so ein Spasti. Wenn du noch einmal behauptest, dass ich dich mobbe, dann nehm’ ich deinen Kopf und schlage ihn gegen den Heizkörper, so dass das Klassenzimmer in deinem Blut schwimmt!“ Unter der Nachricht posten Mitschüler Smileys, die Tränen lachen.

Virtuelles Publikum schaut zu

Bloßstellen, Hass-Kommentare, kompromittierende Fotos, Blockieren für den Klassen-Chat: Mobbing ist auf vielfältige Art und Weise längst in der digitalen Welt angekommen – mit oftmals noch schlimmeren Folgen für die Opfer wie im Fall Sebastian. Denn beim Cybermobbing hören die Erniedrigungen nicht mehr am Schultor auf. Internet und Handys begleiten Kinder und Jugendliche überall hin – rund um die Uhr und meist vor den Augen eines unüberschaubar großen virtuellen Publikums. Die eigenen vier Wände bieten keinen Rückzugsraum mehr vor Mobbing-Attacken.

Niedrige Hürden im Netz

Gleichzeitig sind die Hürden im Netz für die Täter niedriger. „Man sieht die Betroffenheit des Opfers nicht unmittelbar, das macht Mobbing leichter“, sagt Birgit Kimmel, pädagogische Leiterin des EU-Projekts „klicksafe“. Das Ausmaß der verletzenden Worte oder Bilder werden den Tätern dadurch nicht bewusst. Sie fühlten sich auf relativ sicherer Seite – nicht zuletzt auch durch die Anonymität, die das Internet bietet.

Die Zahlen sind alarmierend: Laut JIM-Studie (Jugend, Information, Media, 2016) sind bundesweit rund 500 000 Jugendliche von Cybermobbing betroffen. Jeder Dritte der zwölf- bis 19-Jährigen gab in der Befragung an, dass er oder sie jemanden kennt, der schon einmal im Internet oder über das Handy fertiggemacht wurde. Setzt man die Schwelle der Beeinträchtigung etwas niedriger und unterstellt nicht explizit die Absicht, jemanden gezielt fertig zu machen, sondern fragt nach, ob über die befragte Person schon einmal beleidigende, falsche oder peinliche Dinge im Internet oder per Handy verbreitet wurden, so sieht sich jeder Fünfte als Betroffener.

Straftat statt Kavaliersdelikt

Dabei sind sich alle einig: Kavaliersdelikte sind viele der Cybermobbing-Attacken nicht – auch wenn viele Täter wie Mika das vielleicht so sehen wollen. Das tatsächliche Ausmaß ihres Tuns unterschätzen sie. Denn bei vielen Fällen handelt es sich um eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Opfers – und die kann strafrechtliche Konsequenzen haben. Wer etwa das Foto eines Mitschülers ohne dessen Einwilligung in den Klassen-Chat stellt, verletzt des Recht am eigenen Bild. Auch bei übler Nachrede oder der „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ handelt es sich um ein strafrechtlich relevantes Verhalten.

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Machtmenschen und ihre Opfer

Für Diplom-Pädagogin Birgit Kimmel hat Cybermobbing, genauso wie Mobbing, eine spezielle Dynamik. Grundsätzlich habe jeder Mensch ein soziales Bedürfnis nach Anerkennung und mancher eben auch ein gewisses Bedürfnis nach Macht. Wann immer Gruppen, wie in der Schule, in einem Zwangskontext zusammenkämen werde von den „Machtmenschen“ neu austariert, wer sich für die Rolle des Unterdrückten eigne. „Es geht dabei nie um den einen Täter oder das eine Opfer, sondern um ein System, in dem es immer auch Unterstützer und Beklatscher gibt“, so Kimmel. Gerade das mache es für viele Opfer schwer, sich Hilfe zu holen. Sie schämen sich und warten oft lange, sich jemandem anzuvertrauen. „Manche haben dabei auch Angst vor einer Überreaktion ihrer Eltern“, so Kimmel. Etwa dass die dann sofort die Eltern des Täters ansprechen. Aus Kimmels Erfahrung übrigens keine gute Idee: „Der Schuss geht häufig nach hinten los, weil sich die Eltern vor ihr Kind stellen“.

Gleichaltrige helfen Opfern - Hilfe aus der Peergroup

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Ausgrenzung via Smartphone kann sehr belastend sein

Sinnvoller sei es das Mobbing im sozialen Kontext der Schule, dort wo es ja auch passiert, zum Thema zu machen. Genau an diesem Punkt setzt auch das „Peer Mediatoren-Projekt“ der Kölner Königin-Luise-Schule an. Schüler und Schülerinnen der achten Klasse, die gute soziale und mediale Fähigkeiten mitbringen, sollen dort künftig zu Beratern in Sachen Medien ausgebildet werden. „Die Jugendlichen sind oft viel besser als Erwachsene mit der Medienwelt vertraut, zum anderen ist die Hemmschwelle niedriger, bei Problemen einen Gleichaltrigen anzusprechen“, sagt Sozialpädagogin Clara Jacobs von der Jugendzentren Köln gGmbH, die das Projekt durchführen will.

"Lernen mit und durch Gleichaltrige“ lautet die Idee hinter der Peer-Mediation. Ganz bewusst sollen die Mediatoren für ihre Mitschüler beides sein: Ansprechpartner in Sachen Cybermobbing und Vorbild für einen verantwortungsvollen und reflektierten Medienumgang, sowie einen wertschätzenden Umgang miteinander.

Dafür sollen die zuvor von ihren Lehrern ausgewählten Jugendlichen im zweiten Schulhalbjahr an einem Wochenende gezielt qualifiziert werden, etwa indem sie sich intensiv mit Themen wie Internetsicherheit, den rechtlichen Rahmenbedingungen oder auch jugendgefährdenden Inhalten im Internet beschäftigen.

Von Sozialpädagogen begleitet

Daneben gebe es zum Beispiel Tipps für eine gute Gesprächsführung oder auch eine Information über ihre Schweigepflicht. „Das heißt aber nicht, dass die Jugendlichen später mit den Problemen ihrer Mitschüler alleingelassen werden. Sie werden von Fachpersonal begleitet“, betont Sozialpädagogin Jacobs. Die Schülersprechstunde oder auch E-Mail-Beratung der Peer-Mediatoren sei eine erste Anlaufstelle, die aber, wenn es brenzlig wird, an erwachsene Ansprechpartner oder externe Hilfsangebote vermittelt.

Ähnlich wie die Peer-Mediatoren helfen schon jetzt an einigen Schulen in Deutschland „Beobachter der Menschenrechte“ (Human Rights Watchers) Cybermobbing-Fälle aufzudecken, sagt Birgit Kimmel. Dabei gehe es darum, dass ausgewählte Schüler andere darauf aufmerksam machen, wo in der Schule „Menschenrechte mit Füßen getreten werden“.

Ein Schuss vor den Bug

Wenn sie etwa von einem Mobbingfall erführen, sollen sie den Fall, ohne den Täter zu nennen, an den Lehrer melden. „Das ermöglicht dem Lehrer auf allgemeiner Ebene zu intervenieren“, so Kimmel. Gemeinsam unterschrieben dann die Schüler eine Unterlassungserklärung – mit klarer Ansage, was passiert, wenn sich der Fall wiederholt. Das sei transparent, für den Täter „ein Schuss vor den Bug“ und funktioniere, so Kimmel, wunderbar.

Generell empfiehlt die klicksafe-Expertin Eltern, bei Cybermobbingfällen nicht auf eigene Faust zu handeln. Besser sei es, sich Rat einzuholen und die Schule einzubeziehen. „Man muss sich fragen, was das eigentliche Ziel ist – nämlich, dass zum Beispiel ein kompromittierendes Bild aus dem Klassen-Chat entfernt wird, aber vor allem auch, dass das Kind künftig wieder ohne Angst zur Schule gehen kann.“

Mobbing im Netz – Erschreckende Dimensionen

Definition: Cybermobbing ist das absichtliche Beleidigen, Bedrohen oder Belästigen anderer via Internet oder Mobiltelefon über längere Zeit hinweg mit dem Ziel der sozialen Ausgrenzung.

Betroffene: 13 Prozent der befragten Schüler aller Schularten, also auch Grundschüler, gaben in der Studie des „Bündnis gegen Cybermobbing“ (2017) an, von Mobbing im Netz betroffen zu sein. Waren 2013 Fälle bei Unter-Elfjährigen noch die Ausnahme, sind aktuell sieben Prozent der Zehnjährigen und vier Prozent der Neunjährigen von Cybermobbing betroffen.

Formen: 72 Prozent der Betroffenen wurden online beleidigt, knapp die Hälfte wurde Opfer von Lügen und Gerüchten. Jeder Vierte wurde unter Druck gesetzt, erpresst oder bedroht oder erlebte Ausgrenzungen, wie Ablehnung von Kontaktanfragen oder Ausschluss aus Gruppen-Chats.

Täter: Mehr als 13 Prozent der Jugendlichen waren bereits Täter. Jeder fünfte Täter war selbst schon einmal Opfer.

Folgen: Jedes fünfte Opfer hat Suizidgedanken (280 000 Schüler). Weitere 30 Prozent fühlen sich dauerhaft belastet.

Das sagt das Gesetz: Im Fall von Cybermobbing können einige Gesetze des Strafgesetzbuchs greifen (zum Beispiel Beleidigung, Verleumdung, das Recht am eigenen Bild).

Experten warnen: Cybermobbing ist ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem, das Kinder und Jugendliche nicht alleine bewältigen können. (kro)