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1156 Euro pro MegawattstundeWie der Strompreis in astronomische Höhen schießen kann

Lesezeit 5 Minuten
Pilotanlage zur Zucker-basierten Anilin-Herstellung Foto: Covestro

Produktion braucht Energie, hier bei Covestro: Der Leverkusener Kunststoffkonzern kauft Energie auf dem Spotmarkt ein.

Wenig Wind und kaum Sonne haben die Strompreise in die Höhe getrieben, auch bei den Industriekonzernen in der Region. Die Bundesnetzagentur prüft indes den Vorwurf der Marktmanipulation.

Es war ein Rekord, aber einer der negativen Art. Ende voriger Woche schoss der Strompreis an der Börse zeitweise über den Wert von 1000 Euro pro Megawattstunde (ein Euro pro Kilowattstunde). Das wirft Fragen auf. Insbesondere: Wurde die Notierung durch Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken gezielt in die Höhe getrieben? Wenn ja, wäre es Marktmissbrauch. Die Bundesnetzagentur (BnetzA) ermittelt.

Am Montag war die Welt wieder in Ordnung. Die Megawattstunde kostete nach Angaben des Fraunhofer ISE-Instituts gerade mal 16,59 Euro. Und zwar im sogenannten Day-Ahead-Geschäft, wo Strommengen für den nächsten Tag gehandelt werden. Erstaunliche 936 Euro waren es hingegen am 12. Dezember um 17 Uhr gewesen. Und der Rekordpreis von 1156 Euro wurde tags zuvor ebenfalls um 17 Uhr verzeichnet – im Kurzfristhandel (Intraday), der besonders anfällig für Schwankungen ist.

„Ernst“ und Nebel lassen Preise in die Höhe schießen

Ein Auf und Ab an der Strombörse ist der Normalzustand. Es hängt stark davon ab, wie viel elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen gerade zur Verfügung steht. Vorige Woche herrschte hierzulande eine sogenannte Dunkelflaute. Ein Hochdruckgebiet namens „Ernst“ sorgte landesweit einerseits für Windstille, und Hochnebel ließ andererseits keine Sonne durch. Insgesamt lag der Anteil der Erneuerbaren deshalb am vorigen Mittwoch und Donnerstag zwischen 21 und 22 Prozent. In so einer Situation müssen die fossilen Kraftwerke in die Bresche springen, um die Versorgung zu sichern.

Neben Anlagen, die Braun-, Steinkohle und Erdgas verfeuerten, wurden zudem die Stromimporte aus den Nachbarländern hochgefahren. Das alles zog die Notierungen nach oben, auch weil Erdgas im deutschen Strommix die teuerste Energiequelle für die Erzeugung ist. Die Folge war, dass energieintensive Unternehmen wie Gießereien oder Elektro-Stahlerzeuger, die den Strom über flexible Tarife beziehen, ihre Fertigung zeitweise drosseln mussten.

Nur zwei Drittel der Kohlekraftwerke waren am Netz

In der vergangenen Woche kam zu einer hohen Nachfrage am frühen Abend ein ungewöhnlich knappes Angebot an elektrischer Energie. Nach Informationen des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ waren nur knapp zwei Drittel der Steinkohlekraftwerke am Netz. Ähnlich sah es bei der Braunkohle aus. Bei den Gaskraftwerken war es sogar nur gut die Hälfte der vorhandenen Kapazitäten. Dass nicht alle Anlagen zur Verfügung stehen, ist ebenfalls normal.

Hanns Koenig vom Beratungsunternehmen Aurora Energy spricht gleichwohl von „höchst erstaunlichen Preisspitzen“. Nach seinen Worten sollte die Leistung der Erzeugungsanlagen eigentlich nicht so knapp sein. Ab einem durchschnittlichen Preis von 650 Euro pro Megawattstunde müsse jedes thermische Kraftwerk in den Markt gehen und Geld verdienen.

Der Kunststoffhersteller Covestro aus Leverkusen kauft Energie überwiegend auf dem Spotmarkt ein und spürt so direkt die Preisentwicklung auf den Strombörsen. Direkt reagieren kann der Konzern allerdings nur begrenzt: „Als ein Unternehmen der Prozessindustrie können wir unsere Anlagen nicht beliebig ab- und wieder anfahren. Zugleich hat unsere Produktion nur ein geringes Flexibilisierungspotenzial“, sagt ein Sprecher.

Auch Lanxess spürt die Preise. „Wir haben zwar in einigen Bereichen vertragliche Regelungen, die einen Preisanstieg abdämpfen, doch treffen auch uns die hohen Strompreise. An den Niederrhein-Standorten betreiben wir unsere Eigenerzeugungsanlagen, und dementsprechend sind wir hier von kurzfristigen Strompreisschwankungen nur indirekt über die Brennstoffkosten betroffen“, sagt ein Sprecher. Gleichwohl habe sich der Strombezug an den Lanxess-Außenstandorten in Deutschland sowie den angrenzenden Nachbarländern, wie den Niederlanden und Belgien, verteuert. „Zu einer Produktionsdrosselung hat dies aktuell nicht geführt: angesichts der nach wie vor schwachen Nachfrage in der Chemie ist die Auslastung der deutschen Werke ohnehin niedriger als im langjährigen Durchschnitt“, heißt es von Lanxess.

In der Durchschnittsbetrachtung sind die Energiepreise in Deutschland insgesamt deutlich zu hoch und international nicht wettbewerbsfähig
Sprecher von Covestro

Es zeigt sich: 1100 Euro sind alles andere als normal. Was war vorige Woche am Strommarkt los? Die BnetzA ist inzwischen dabei, die Preiskurven genau unter die Lupe zu nehmen. Der Verdacht: Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken haben bewusst weniger Energie über die Börse offeriert, als sie eigentlich anbieten könnten. Was gegen das Regelwerk für den Strommarkt verstoßen würde.

Eine Art Warnschuss für die Politik?

Die Behörde teilte auf RND-Anfrage mit: „Die Bundesnetzagentur prüft die aktuellen Vorwürfe auf marktmissbräuchliches Verhalten im Zusammenhang mit den aufgetretenen Preisspitzen in enger Abstimmung mit den Handelsüberwachungsstellen der Strombörsen und wird bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte weitere Ermittlungsmaßnahmen einleiten.“ Aber: Die sichere Stromversorgung sei zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen.

Es kursiert in der Branche derweil die Vermutung, dass ein gezieltes Hochtreiben der Preise womöglich als eine Art Warnschuss gemeint war – mit dem Druck auf die Politik ausgeübt werden soll. Derzeit hängt eine Reihe von Projekten in der Schwebe, die für das künftige Energiesystem von zentraler Bedeutung sind. Und just vorige Woche war Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wegen fehlender parlamentarischer Mehrheiten mit einem „Kraftwerkssicherheitsgesetz“ gescheitert, das den Bau neuer Gaskraftwerke für eine bessere Absicherung der Stromversorgung vorsah.

Während die Strompreise am Markt durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energien stärker schwanken und auch die Einspeisung ins Netz variiert, bleibt die Stromnnachfrage in der Industrie relativ konstant. Das könne man nur „durch enorme Investitionen“ flexibilisieren, heißt es von Covestro. „In der Durchschnittsbetrachtung sind die Energiepreise in Deutschland insgesamt deutlich zu hoch und international nicht wettbewerbsfähig. Für die Zukunft sind neben niedrigeren Preisen auch Mechanismen entscheidend, um eine dauerhaft stabile Versorgung mit Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen unabhängig vom Wetter sicherzustellen. Denn unser Flexibilisierungspotenzial ist begrenzt“, so ein Sprecher.

Weitere Preisausschläge könnten kommen

Kerstin Andreae, Chefin des Energiedachverbandes BDEW, fordert, dass die Politik dieses Thema so schnell wie möglich wieder aufgreifen muss „Es braucht neue flexible, wasserstofffähige Gaskraftwerke, die immer dann schnell einspringen, wenn die erneuerbaren Energien nicht ausreichend Strom erzeugen und so diese Preisspitzen abmildern können. Daher muss dieses Thema auf die 100-Tage-Agenda einer neuen Regierung“, sagte sie dem RND. Die kurzfristigen Spitzen seien Ausdruck einer „marktlichen Knappheit“. Auch die BnetzA hält „gesetzgeberische Maßnahmen für den Zubau steuerbarer Kapazitäten weiterhin für dringend geboten.“ Ein Sprecher der Behörde betont zugleich: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass in den nächsten Wochen ähnlich markante Preisausschläge auftreten.“

An die Verbraucher ist indes folgender Hinweis gerichtet: „Kunden mit festen Stromtarifen betreffen Börsenstrompreise nicht, sie zahlen den mit ihrem Lieferanten vereinbarten Preis.“