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„Milliarden-Projekte mit Post-its gesteuert“Kölner Start-up digitalisiert Baustellen und bekommt von Investoren Millionen-Spritze

Lesezeit 4 Minuten
26.08.2023
Köln:
Die Baustelle des Laurenz-Carré in der Innenstadt. Mit der Gerchgroup hat die übergeordnete Dachgesellschaft des Projektentwicklers Insolvenz angemeldet. Die Bauarbeiten ruhen daher vorerst.
Foto: Martina Goyert

Die ruhende Baustelle des Laurenz-Carré in der Kölner Innenstadt Ende August 2023. Auch an diesem Bauprojekt ist Specter Automation beteiligt.

Specter Automation hat 2,7 Millionen Euro von Investoren erhalten. Die 3D-Modelle des Unternehmens sollen auf Baustellen wie Ikea-Anleitungen funktionieren.

Eigentlich arbeiteten Oliver Eischet und seine Mitgründer im Sommer 2020 an einer Idee, die autonomes Fahren auf deutsche Baustellen bringen sollte: einem Kran, der nicht aus dem Kranhäuschen, sondern aus dem Büro gesteuert werden kann. Bekannte Kranhersteller zeigten sich interessiert, das Gründerteam baute einen Prototyp. Doch als es damit auf einer Baustelle vorstellig wurde, zeigte man sich dort wenig überzeugt. „Sie haben uns gesagt, damit könnten wir in 20 Jahren wiederkommen“, erzählt Eischet. „Sie hätten ganz andere Probleme, wie die Berge an Akten, mit denen sie arbeiten müssten. Und wir kämen ihnen mit autonomem Fahren.“

Tatsächlich sind die Papierstapel in der Branche wohl so hoch wie in kaum einer anderen: Laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey aus dem Jahr 2021 ist das Baugewerbe die am zweitschlechtesten digitalisierte Industrie in Deutschland. Geringer sei der Digitalisierungsgrad nur bei Jagd und Landwirtschaft. Das hat messbare Folgen: Laut McKinsey ist der schleppende digitale Fortschritt eine Ursache dafür, dass sich die Produktivität in der Branche in den vergangenen Jahren kaum erhöht habe. Die Berater sprechen sogar von einer „Produktivitätskrise“.

Baustellen arbeiten mit Post-its

Wie das analoge Arbeiten in der Praxis aussieht, beschreibt Eischet, der nach der Erfahrung auf der Baustelle ein Praktikum als Bauleiter macht, so: „Milliardenschwere Projekte werden mit Post-its gesteuert.“ Zur Veranschaulichung zeigt er Bilder von Wänden voller kleiner bunter Zettel und per Hand beschriftete 2D-Baupläne, von denen er behauptet, dass sie nicht einmal den Worst-Case abbildeten.

Oliver Eischet, Gründer des Kölner Start-up Specter Automation

Oliver Eischet, Gründer des Kölner Start-ups Specter Automation

Eischet kann in überzeugenden Worten darstellen, was das Problem ist, für das er und sein Gründungsteam schließlich eine Lösung erarbeiten: Sie haben in Köln ein Start-up gegründet, das ein digitales Baustellenmanagement ermöglicht.

Specter Automation will immer mehr Planungsprozesse automatisieren

Denn bislang wird zwar in der Planungsphase viel mit digitalen Tools gearbeitet. Architekten nutzen 3D-Modelle, Projekte werden mit Software kalkuliert. „Aber das ist natürlich Expertensoftware. Handwerker können damit nicht arbeiten. Wir wollen die Daten der Experten auf der Baustelle nutzbar machen.“

Dazu erstellt Specter ein 3D-Modell der Baustelle, anhand dessen To-Do-Listen und ein sich stetig aktualisierender Terminplan erstellt werden. Immer mehr planerische Arbeitsschritte auf der Baustellen sollen nach und nach digitalisiert und automatisiert werden. „Sodass irgendwann mit der Erstellung des 3D-Modells auch direkt der gesamte Projektplan abgeleitet wird. Wir wollen, bildlich gesprochen, die Ikea-Anleitung liefern, die dann Schritt für Schritt befolgt werden kann, und jegliche Organisation und Kommunikation ergibt sich automatisch.“

Sitz im Bickendorfer Bau „The Ship“

Seit der Gründung im Mai 2021 hat das Start-up schon einige wichtige Meilensteine genommen. Im Februar sammelte Specter Automation in einer Finanzierungsrunde 2,7 Millionen Euro ein. Zwischen 40 und 50 Projekte sind bereits angelaufen, das Start-up arbeitet dabei mit großen Namen wie Züblin und Strabag, aber auch mit vielen Mittelständlern zusammen. Das Team ist mittlerweile auf 25 Mitarbeitende angewachsen, die in Bickendorf im digitalen Vorzeigebau „The Ship“ arbeiten. In Köln hat Specter zum Beispiel den Rohbau der Pathologie der Uniklinik modelliert. Auch der „Sechtemer Block“ in der Parkstadt Süd wird mit Modellen von Specter gebaut.

3D Modell des Bauprojekts Sechtemer Straße (GAG) von Specter Automation

Screenshot aus der Software von Specter Automation. Zu sehen ist ein 3D-Modell des GAG-Bauprojekts an der Sechtemer Straße in Bayenthal.

Doch die Zeiten für ein Start-up in der Bauindustrie sind alles andere als günstig. Die Branche steckt in einer tiefen Krise. Die Zahl der Baugenehmigungen ist zuletzt drastisch zurückgegangenen, mehrere prominente Projektentwickler meldeten Insolvenz an. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) luden zuletzt eigens zum Gipfel ins Kanzleramt, wirklich optimistisch zeigten sich die Bauunternehmen danach nicht.

Auch am Laurenz-Carré gearbeitet

In dieser Gemengelage versucht Specter nun, neue Kundschaft zu finden. „Die Situation ist sehr ambivalent“, so Eischet. „Auf der einen Seite sind Bauunternehmen offener denn je, über Prozesseffizienz und Kostenersparnis zu sprechen – auf der anderen Seite werden Projekte, die wir begleiten, storniert, verschoben oder es wird ein Baustopp verhängt.“

Das bekam das Start-up an Kölns derzeit wohl bekanntester Problembaustelle zu spüren: dem Laurenz-Carré. Denn das Unternehmen, das von der Gerchgroup mit der Erstellung des Rohbaus beauftragt worden war, arbeitete mit Specter Automation. Nach der Verhängung des Baustopps steht dort nun aber alles still.

Start-up setzt auch auf Infrastruktur-Projekte

Das nächste Jahr werde hart, so Eischet. Denn dann werden die Folgen der eingebrochenen Baugenehmigungen erst so richtig am Markt durchschlagen und neue Projekte ausbleiben. Das Start-up sucht deshalb sein Glück in der Internationalisierung, betreut zum Beispiel Projekte in Japan und den USA. Außerdem will Specter sich mehr mit Infrastrukturprojekten beschäftigen, zum Beispiel dem Bau von Brücken. „Der Wohnungsbau ist zum Teil um bis zu 60 Prozent eingebrochen. Aber auch im Infrastrukturbereich hat Deutschland einen großen Bedarf und politisch werden milliardenschwere Sanierungsmaßnahmen in die Wege geleitet. Auch hier möchten wir einen Beitrag zur Effizienzsteigerung leisten.“