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AbgehängtWarum Armut immobil macht - und Reichtum hypermobil

Lesezeit 5 Minuten
Auch ein durch die Arbeit erzwungenen Autobesitz kann Armut verursachen.

Auch ein durch die Arbeit erzwungenen Autobesitz kann Armut verursachen.

Ob Auto, Flugzeug oder Bus und Bahn: Mobilität ist teuer und die Kosten steigen. Das trifft vor allem Menschen mit geringem Einkommen. Was jetzt gefordert wird.

Eine Fahrt in den Urlaub oder ein Citytrip am Wochenende – das können sich viele Menschen nicht leisten. Schon das Ticket für die Bahn passt nicht ins Haushaltsbudget. Ein Auto ist oft nicht erschwinglich. Ganz anders die sogenannten Hypermobilen: Sie verfügen meist über ein hohes Einkommen, besitzen mehrere Fahrzeuge und unternehmen weite Reisen – nicht selten mit dem Flugzeug. Einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) zufolge legen sie im Schnitt doppelt so lange Distanzen zurück wie Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen.

Das Mobilitätsverhalten hänge stark mit dem sozioökonomischen Status zusammen, erklärt Moritz Engbers, Leiter des Projekts Social2Mobility. Menschen, die aus finanziellen Gründen nicht mehr oder nur eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könnten, seien von Mobilitätsarmut betroffen.

Sparen, um sich das Auto leisten zu können

Außerdem gebe es eine durch den erzwungenen Autobesitz verursachte Armut, erklärt Dominik Fette vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Das betreffe etwa Menschen, die ein geringes Einkommen haben, aber auf ein Auto angewiesen seien, um beispielsweise den Arbeitsplatz erreichen zu können. „Der subjektive Eindruck ist häufig, dass Autofahren die beste Mobilitätsform darstelle, um den Alltag bewältigen zu können“, erklärt Engbers. Nicht selten werde deshalb an Lebensmitteln oder Freizeitaktivitäten gespart, um sich ein Auto leisten zu können.

Von Armut betroffene oder bedrohte Menschen sind vergleichsweise oft mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs. Die Preise dafür stiegen laut Umweltbundesamt zwischen 2000 und 2018 um bis zu 80 Prozent – mehr als doppelt so stark wie die Kosten für die Anschaffung und den Unterhalt von Autos.

„Doppelte Gerechtigkeitslücke“

Zwar gebe es in einigen Verkehrsverbünden stark ermäßigte Angebote wie Sozialtarife, sagt Fette. Aber selbst das Deutschlandticket für 49 Euro im Monat sei für viele Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld zu teuer. Der darin für Mobilität vorgesehene Satz beläuft sich aktuell auf rund 45 Euro. Hinzu kommt: „Wer auf dem Land wohnt und keinen Anschluss an Bus oder Bahn hat, dem nutzt auch das Deutschlandticket wenig“, betont Fette.

Menschen mit geringem Einkommen müssen zudem besonders häufig Belastungen durch Lärm und Abgase ertragen. Denn günstige Mietwohnungen liegen oft an Hauptstraßen, die vor allem Durchgangsverkehre ermöglichen. Menschen, die dort mit dem Auto unterwegs sind, können sich hingegen in der Regel Wohnungen und Häuser in besseren Wohnlagen leisten. Engbers spricht deshalb von einer „doppelten Gerechtigkeitslücke“.

Besonders problematisch ist laut Umweltbundesamt die Situation für Kinder: Viele sind durch die Emissionen gesundheitlich beeinträchtigt. Außerdem finden sie in unmittelbarer Umgebung selten zum Spielen geeignete Flächen. Auf täglichen Wegen etwa zur Schule müssen sie viel befahrene Straßen queren, sodass die Unfallgefahr steigt.

Deutschlandticket für 29 Euro?

Um Mobilitätsarmut zu bekämpfen, sollte nach Ansicht von Fette der öffentliche Nahverkehr deutlich stärker ausgebaut und subventioniert werden – vor allem in ländlichen Regionen. „Das Angebot muss so gut sein, dass auf ein Auto verzichtet werden kann“, fordert er. Die Preise sollten für von Armut betroffene Personen gesenkt werden. Er plädiert unter anderem für ein ermäßigtes Deutschlandticket zu einem Preis von 29 Euro.

Engbers würde es begrüßen, wenn für bestimmte Personengruppen das 9-Euro-Ticket wieder eingeführt würde. Nötig sei zudem eine Informationsoffensive, die das ÖPNV-Angebot bekannter mache und dazu beitrage, Apps und Pläne besser zu verstehen. Hinweise etwa zu Sharing-Angeboten seien ebenfalls sinnvoll.

Radfahren und mehr Barrierefreiheit

Auch in der Fahrradmobilität sieht Engbers großes Potenzial: In dem Forschungsprojekt Social2Mobility stellte sich heraus, dass die Zielgruppe eher selten mit dem günstigen Verkehrsmittel unterwegs ist, obwohl die zurückgelegten Entfernungen oft nicht sehr groß sind. Das liegt zum einen daran, dass häufig keine fahrtüchtigen Fahrräder vorhanden sind. Zum anderen haben viele Befragte das Radfahren nie erlernt. Deshalb wurden im Rahmen des Projekts Fahrräder angeschafft und Kurse insbesondere für Erwachsene angeboten.

Um das Radfahren attraktiver zu machen, sei ein Ausbau von Radwegen nötig, sagt Engbers. Fette fordert zudem Verbesserungen für zu Fuß Gehende und mehr Barrierefreiheit. Davon profitierten auch Mobilitätseingeschränkte sowie Kinder und ältere Menschen: „Diese Infrastruktur können schließlich alle nutzen“, so der VCD-Experte.

Wem nützen Förderungen?

„Mobilität gehört zur staatlichen Daseinsvorsorge“, betont Engbers. Förderprogramme, die diese für alle ermöglichen sollen, benötigen allerdings viel Geld. Fette hält bis zu 18 Milliarden Euro im Jahr allein für den ÖPNV für angemessen. Um diese gegenfinanzieren zu können, sollten andere Subventionen gekürzt oder gestrichen werden, heißt es in einer Broschüre des Umweltbundesamtes. So könne die Ermäßigung bei der Besteuerung von Diesel entfallen. Außerdem sollte für internationale Flüge Mehrwertsteuer erhoben werden, das Dienstwagenprivileg abgeschafft und die Entfernungspauschale neu geregelt werden.

Von den direkten und indirekten Förderungen profitieren laut VCD in erster Linie Menschen mit hohem Einkommen, sodass die soziale Ungleichheit verstärkt werde. Die Steuerzahlenden werden zudem doppelt belastet, schreibt das Umweltbundesamt: „Je stärker der Staat durch Subventionen den fossilen MIV begünstigt, umso stärker muss er im Gegenzug Subventionen gewähren, damit der Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel attraktiv wird.“

Dem Bundesverkehrsministerium (BMVD) liegen laut einer Sprecherin zwar keine Erkenntnisse zur Mobilitätsarmut vor. Allerdings solle der ÖPNV ausgebaut und modernisiert werden. Denn ein passendes, flächendeckend verfügbares und bezahlbares Mobilitätsangebot sichere soziale Teilhabe, erklärt sie. Ein wichtiger Schritt sei bereits die Einführung des Deutschlandtickets gewesen. Außerdem werde das Schienennetz saniert und der Deutschland-Takt schrittweise umgesetzt. „Und wir machen Deutschland zum Fahrradland“, so die Sprecherin.