Arbeitgeberpräsident Kirchhoff zu Corona„Hilfen werden Schäden nicht ausgleichen“
- Arndt Kirchhoff ist geschäftsführender Gesellschafter des Automobilzulieferers Kirchhoff in Iserlohn.
- Er ist Präsident von Unternehmer NRW und Vizepräsident des Verbands der Deutschen Automobilindustrie.
- Im Interview spricht er über die existenzbedrohende Situation tausender Betriebe und digitale Versäumnisse der Politik.
Herr Kirchhoff, alle reden vom Lockdown, wie groß sind die Auswirkungen auf die NRW-Wirtschaft tatsächlich?Kirchhoff: Die wirtschaftlichen Schäden nehmen mit jeder Woche im Lockdown weiter dramatisch zu. Tatsache ist, dass gerade tausende von Betrieben gemeinsam mit ihren Beschäftigten um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen. Viele direkt oder indirekt vom Lockdown betroffene Betriebe wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Das Eigenkapital ist häufig nahezu aufgebraucht. Die Verzweiflung ist groß. Und die Auszahlung der zugesagten Finanzhilfen dauert einfach zu lange. Viele stehen vor dem Aus.
Aber es gibt umfangreichere Entschädigungen, die den zweiten Lockdown abfedern sollen?
Die Hilfen sind wichtig, werden aber bei weitem nicht alle Schäden ausgleichen können. Die Hoffnung, der zweite Lockdown würde wirtschaftlich relativ glimpflich ausgehen, droht sich zunehmend als trügerisch zu erweisen. Die Geschäftserwartungen der Unternehmen und auch die Verbraucherstimmung haben sich zuletzt jedenfalls massiv eingetrübt.
Konkret ist aber die Industrie nicht geschlossen, lediglich der Einzelhandel…
Dennoch müssen wir dringend aufpassen, dass nicht auch noch die Industrie erneut heftiger getroffen wird. Denn was nicht in Geschäften verkauft werden kann, wird in den Fabriken nicht nachproduziert. Auch müssen bereits für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit wichtige Investitionen verschoben oder ganz abgesagt werden. Ich warne dringend davor, jetzt auch noch durch Grenzschließungen Lieferketten zu unterbrechen oder gar durch angeordnete Betriebsschließungen die Industrie komplett lahmzulegen. Die Konsequenzen für Arbeitsplätze, Sozialsysteme und Staatshaushalte wären unabsehbar. Wir dürfen unsere Wirtschaft auf keinen Fall komplett abwürgen.
Es gibt Stimmen, die auch einen Lockdown der Industrie fordern, um die Pandemie einzudämmen…
Unsere Unternehmen setzen seit Monaten mit hohem Aufwand umfassende Hygienekonzepte penibel um. Das hat dazu geführt, dass sich unsere Betriebe gerade nicht als Hotspots für Ansteckungen erwiesen haben. Und gerade beim Thema mobiles Arbeiten hat die Wirtschaft sehr schnell gehandelt und ist hier schon lange viel weiter als große Teile der öffentlichen Verwaltung. Dennoch sind es die Unternehmen, die jetzt mit einem bürokratischen Monstrum aus Abwägungs-, Dokumentations- und Nachweispflichten überzogen werden.
Wie bewerten Sie die Arbeit der Politik?
Ich unterstütze die Politik ausdrücklich in dem Ziel, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Aber monatelange Schließungen von Kitas und Schulen sowie wichtigen Teilen der Wirtschaft wird unsere Gesellschaft weder wirtschaft-lich und sozialpolitisch noch bildungspolitisch verkraften.
Gilt Ihre Aussage auch für die Impfpolitik?
Um es noch einmal klar zu sagen: Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen weiß um die enorme Herausforderung für die Politik, wirksame Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie treffen zu müssen. Wir alle setzen nun große Zuversicht auf die Impfung und die damit verbundene Rückkehr zu einem normalen Leben. Es ist jedoch eine Mammutaufgabe, ein ganzes Volk durchzuimpfen. Wir müssen nun nach vorne schauen. Nach dem holprigen Start müssen Politik und Verwaltung die Impfstoff-Beschaffung und den Impf-Prozess nun umso sorgfältiger und stringenter managen.
Wann können Sie Entwarnung geben?
Es wird in jedem Fall bis weit in den Sommer hinein dauern, bis endlich genügend Menschen geimpft sein werden. Ich kann deshalb absolut nicht nachvollziehen, warum die digitalen Möglichkeiten zur Bekämpfung der Pandemie nicht endlich viel entschlossener genutzt werden. Dass die Gesundheitsämter auch rund ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie immer noch nicht flächendeckend digitalisiert und vernetzt sind, ist bitterer Ausweis des aktuellen Standes der Digitalisierung im Öffentlichen Sektor. Und die Ergänzung der Corona-App im Dezember um ein händisches Tagebuch ohne digitale Schnittstelle zu den Gesundheitsämtern war nahezu grotesk. In dieser außergewöhnlichen Lage den Datenschutz so einseitig vor den Gesundheitsschutz zu stellen, halte ich für einen schweren Fehler.
Was sind konkrete Forderungen aus Ihrem Lager?
Dringend brauchen wir in jedem Fall dringend eine QR-Tracing-App, mit der man den Zugang etwa zu belebten Orten, Geschäften oder Gastronomie begrenzen und gleichzeitig auch Infektionsketten digital nachverfolgen kann. Das ist auch wichtig, damit nach erfolgten Lockerungen nicht unmittelbar die Zahlen wieder in die Höhe schnellen.
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Fordern Sie Lockerungen?
Wir alle brauchen dringend Perspektiven. Es ist gut, dass die Politik nun endlich eine Exit-Strategie erarbeiten will. Sie muss dabei besonders intensiv die Kriterien für Lockerungen überprüfen. Immer wieder wird von weiten Teilen der Politik die 7-Tage-Inzidenz von 50 zur Bedingung gemacht. Wenn aber große Teile der beson-deren Risikogruppen geimpft sind, wird das Gesundheitssystem eindeutig entlastet. Und wenn mit analogen Möglichkeiten beim Wert 50 eine Nachverfolgbarkeit der Infektionsketten sichergestellt werden kann, dann muss dies doch mit digitalen Instrumenten auch bei einem höheren Wert umsetzbar sein.
Ihre Wünsche zum Schluss in nur drei Sätzen, bitte:
Corona wird unser Miteinander noch eine ganze Weile diktieren. Solange muss uns möglichst beides gelingen: Ansteckungen zu vermeiden und wieder so viel wirt-schaftliche Normalität wie möglich zu erreichen.