Bayer-HauptversammlungAktionäre stimmen gegen Entlastung des Vorstands
- Der kriselnde Chemie-Gigant Bayer hat am Freitagabend seine Hauptversammlung abgehalten.
- In mehr als 60 Redebeiträgen gaben die Aktionäre ein klares Zeichen der Kritik.
- Das ernüchterne Ergebnis für Bayer: 55,5 Prozent der anwesenden Anteilseigner stimmte gegen die Entlastung des Vorstands.
Bonn – Mit Zurückhaltung glänzen die Bayer-Aktionäre in ihren Wortmeldungen gegenüber Vorstandschef Werner Baumann am Freitag auf der Hauptversammlung in Bonn nicht: „Heute stehen wir vor einem Scherbenhaufen“, beginnt Ingo Speich seine Ausführungen. Speich ist für die Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka im World Conference Center am Mikrofon und Vertreter der Stimmrechte von rund 1,1 Prozent der Bayer-Aktien.
Der Scherbenhaufen, von dem Speich spricht, ist der Börsenkurs des Leverkusener Pharma- und Agrochemiekonzerns – der Wert der Aktie ist seit der vergangenen Hauptversammlung um 39 Prozent gesunken. „Das ist eine Wertvernichtung historischen Ausmaßes“, führt Speich weiter aus. Mit einem Börsenwert von nur noch rund 57 Milliarden Euro laufe Bayer-Gefahr, zum Spielball der Märkte zu werden und riskiere, selbst übernommen oder sogar zerschlagen zu werden.
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Die Ursache dafür sieht Speich in der größten Übernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte: „Das Management hat eine kerngesunde Bayer mit dem Monsanto-Virus infiziert, doktert nun herum, hat aber auch kein heilendes Medikament zur Verfügung“, kritisiert der Aktionärsvertreter.
Mehr als 4500 Stellen in Deutschland gefährdet
Die schwächelnde Pharma-Forschung, der Verkauf von Unternehmensanteilen, der Abbau von weltweit 12.000 Stellen, davon 4500 in Deutschland – diese und weitere Bayer-Baustellen spielen am Freitag nur eine Nebenrolle. Protagonisten sind Glyphosat und der Erwerb von Monsanto, auch vor dem World Conference Center.
Neben den regelmäßig bei Aktionärstreffen demonstrierenden Aktivisten der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ protestieren wiederum Imker mit toten Bienen gegen das Pflanzengift – die ankommenden Aktionäre müssen über einen Teppich lebloser Insekten schreiten, ein Sinnbild für das Artensterben. Die meisten der rund 500 Demonstranten sind indes Schüler: Die Klimaprotestler von Fridays For Future aus Bonn und Köln haben sich am Tag der Hauptversammlung zusammengeschlossen und fordern von Bayer eine landwirtschaftliche Zukunft ohne das Pflanzengift Glyphosat.
Monsanto zieht Baumann in die Krise
In der Halle muss sich Werner Baumann vor 3600 Aktionären gegen den Vorwurf wehren, den Erwerb von Monsanto nicht ausreichend geprüft sowie rechtliche und Reputationsrisiken unterschätzt zu haben. Die Vorteile der dem Kauf zugrundeliegenden Kombination von Agrochemie- und Saatgutgeschäft lägen zwar auf der Hand, sagt Janne Werning, der im Auftrag von Union Investment die Interessen von mehr als vier Millionen Anlegern vertritt: „Aber warum musste es ausgerechnet Monsanto sein, das umstrittenste Unternehmen der Branche?“
Es gebe nichts zu beschönigen, sagt Baumann gleich zum Auftakt der Hauptversammlung: „Die Klagen und die ersten Urteile zu Glyphosat lasten schwer auf unserem Unternehmen und verunsichern viele Menschen.“ 13 400 Personen klagen in den USA inzwischen wegen möglicher Krebsrisiken durch die Nutzung von Monsantos Glyphosat-haltigem Unkrautvernichter Roundup gegen den Bayer-Konzern.
Prozesse und hohe Schadenszahlungen
Die ersten zwei Verurteilungen zu jeweils rund 80 Millionen Dollar Schadensersatz sind zwar noch nicht rechtskräftig, haben aber den Aktienkurs zum Einsturz gebracht. Ein dritter Prozess läuft aktuell. Die finanziellen Risiken, die von den weiteren Klagen ausgehen, bewegen sich nach Meinung zahlreicher Analysten mindestens im mittleren einstelligen Milliardenbereich, einzelne Börsenkenner beziffern sie gar mit 35 Milliarden Euro. Werner Baumann gibt unumwunden zu, dass die Glyphosat-Klagen Bayer noch jahrelang begleiten werden.
Dem Vorstand um Baumann die Entlastung für das Geschäftsjahr 2018 zu verweigern, haben dann auch zahlreiche Aktionäre im Vorfeld der Hauptversammlung angekündigt. Der Bayer-Chef aber verteidigt die Übernahme: „Aufgrund der hervorragenden Aufstellung unserer Geschäfte, dem großen Potenzial für unsere Kunden, den Möglichkeiten für eine nachhaltigere Landwirtschaft sowie auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Logik war und ist der Erwerb von Monsanto der richtige Schritt“. Die Risiken seien ausführlich geprüft und als „überschaubar“ bewertet worden, die Kursreaktionen auf die Prozessniederlagen „übertrieben“, der wahre Wert des Unternehmens nicht im aktuellen Börsenwert widergespiegelt.
Zahl der Glyphosat-Klagen gegen Bayer ist explodiert
Als Bayer 2016 die öffentlich die Absicht bekundete, Monsanto übernehmen zu wollen, gab es laut Baumann lediglich 120 Glyphosat-Klagen. Die Behauptung der Klägeranwälte, Monsanto habe seine Kunden wissentlich einem Krebsrisiko ausgesetzt, weist der Vorstandsvorsitzende als „unglaubliche Vorwürfe“ zurück. Bayer werde Glyphosat „weiterhin entschieden verteidigen“, sagt Baumann.
Unterdessen führt er vergangene Geschäftszahlen und Prognosen an, um die unternehmerische Logik des Monsanto-Kaufs zu belegen: Der Umsatz mit Pflanzenschutzmitteln und Saatgut sei 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 49 Prozent gestiegen – der Großteil davon sei auf das akquirierte Geschäft zurückzuführen. „Wir werden aus der Übernahme von Monsanto ab 2022 Synergien in Höhe von jährlich einer Milliarde Euro realisieren“, sagt Baumann.
Keine Entlastung für Vorstand
„Bei einer solch hohen Vernichtung des Börsenwerts können wir nicht mit gutem Gewissen entlasten“, sagt Deka-Vertreter Speich nichtsdestotrotz. Auch Union-Investment-Vertreter Werning spricht sich gegen die Entlastung aus, ebenso der Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. Alle drei Redner erhalten dafür sehr viel Applaus. Marc Tüngler, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), hätte lieber eine Vertagung der Entlastung auf eine folgende Hauptversammlung gesehen und enthält sich daher – ebenso die Fondsgesellschaft DWS.
Weniger als 90 Prozent Zustimmung zur Entlastung würde bereits eine Niederlage für Bayer-Vorstandschef Baumann bedeuten. Üblich sind deutlich höhere Werte – vergangenes Jahr waren es 97,19 Prozent. Die Abstimmung zieht sich bis in die späten Abendstunden hin, haben doch mehr als 60 Aktionäre Wortbeiträge angemeldet. Am Ende stimmen 55,5 Prozent der anwesenden Anteilseigner tatsächlich gegen die Entlastung des Vorstands. Direkte Folgen hat diese Entscheidung nicht, für Werner Baumann ist sie aber desaströs.