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Bayers Plan in der Glyphosat-Krise„Druck auf das Management nimmt massiv zu“

Lesezeit 5 Minuten

Bayer-Chef Werner Baumann bei seiner Rede auf der Hauptversammlung des Konzerns im Jahr 2019

Leverkusen/San Francisco – Nach der erneuten Niederlage vor einem US-Gericht ändert Bayer seine Strategie im seit Jahren ausgetragenen Glyphosat-Streit. Der neue Plan umfasst einen Ausstieg aus dem laufenden Vergleichsverfahren für künftige Klagen krebskranker Menschen und neue Hinweise auf den umstrittenen Unkrautvernichtern von Bayers Tochterfirma Monsanto. Das sind die Gründe und Details des Strategiewechsels:

Warum ist eine neue Strategie notwendig?

Im Ringen um eine Lösung für potenzielle künftige Klagen von Menschen, die ihre Krebserkrankung auf die Nutzung von Bayers glyphosathaltigen Unkrautvernichtern der Marke Roundup zurückführen, hat der Leverkusener Agrarchemiekonzern am Mittwoch in den USA eine empfindliche Niederlage erlitten. Richter Vince Chhabria lehnte einen von Bayer und Klägeranwälten ausgehandelten, zwei Milliarden Dollar schweren Vergleichsvorschlag ab.

Im vergangenen Sommer hatten die Leverkusener bereits einen ersten Vergleichsvorschlag zurückgezogen, weil Richter Chhabria Zweifel am tatsächlichen Nutzen für künftige Kläger signalisiert hatte. Insbesondere hatte er sich an der Einrichtung eines wissenschaftlichen Expertenrats gestört, der für alle Verfahren final entscheiden sollte, ob Glyphosat die Krebsform Non-Hodgkin-Lymphom verursacht oder nicht.

Bayer hatte den Lösungsvorschlag im Februar 2021 in einer überarbeiteten Version erneut eingereicht. Auch darin war ein wissenschaftliches Beratungsgremium vorgesehen. Dessen Erkenntnisse sollten zwar nicht rechtlich bindend sein, aber in künftige Gerichtsverfahren als Beweismittel einfließen. Weiter vorgesehen waren ein Fonds, aus dem in Frage kommende künftige Kläger in den kommenden vier Jahren Kompensationszahlungen erhalten sollten, und ein Informationsprogramm für künftige Kläger.

In seiner Ablehnung dieses Vorschlags kritisierte Richter Chhabria am Mittwoch nun sämtliche dieser Neuerungen, Bayer scheiterte auf ganzer Linie vor Gericht. Wie überhaupt in sämtlichen Glyphosat-Prozessen der vergangenen Jahre: Bayer wurde inzwischen in zwei Berufungsverfahren dazu verurteilt, Einzelpersonen mehrere Millionen Dollar Schadenersatz zu zahlen. Mit seinen Argumenten und Hinweisen auf etliche Zulassungsstudien, die keinerlei krebsverursachende Wirkung von Glyphosat zeigen, sind die Leverkusener ein ums andere Mal nicht vor Gericht durchgedrungen – weder vor Laienjurys noch vor Richtern.

Chhabrias Beschluss lasse „keinen anderen Schluss zu, als dass das Gericht den Lösungsmechanismus nicht ohne weitere erhebliche Änderungen genehmigen wird“, sagte Bayer-Vorstandschef Werner Baumann bei einer Telefonkonferenz mit Journalisten und Investoren. „Diese Änderungen sind nicht im Interesse von Bayer.“

Das angestrebte Ziel, den Glyphosat-Streit auch rechtlich final hinter sich zu lassen, ist damit in die Ferne gerückt. In der Nacht zu Donnerstag verkündete Bayer mit Blick auf den Umgang mit künftigen Klagen nun einen Strategiewechsel und den Ausstieg aus dem aktuellen Vergleichsverfahren.

Was beinhaltet die neue Strategie?

Bayer nennt fünf Punkte:

1. Auf der US-Verpackung von Roundup-Produkten soll künftig ein Etikett auf eine neue Internetseite von Bayer hinweisen. Auf dieser Seite sollen wissenschaftliche Studien präsentiert werden, die Konsumenten und professionellen Nutzern die Möglichkeit geben sollen, selber eine Entscheidung über den Einsatz der Produkte zu treffen.

William Dodero, der bei Bayer die Abteilung für Rechtsstreitigkeiten führt, betonte, auf der geplanten Webseite werde auch die Entscheidung der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation, IARC, zu finden sein, Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ einzustufen. Mit dieser Einschätzung kam die IARC 2015 als erste Behörde weltweit zu dieser Einschätzung. Ihr gegenüber stehen Hunderte Studien und Einschätzungen von Zulassungsbehörden weltweit, die zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen und auf die Bayer sich beruft.

2. Bayer will Roundup-Produkte in den USA zwar weiterhin an Privatkunden verkaufen, erwägt aber, statt Glyphosat andere Wirkstoffe einzusetzen. Über 90 Prozent der Klagen kämen von privaten Nutzern, sagte Liam Condon, Chef von Bayers Agrarsparte.

Um Prozessrisiken zu senken, könnte diese Kundengruppe, die nach Aussage Condons in den USA für einen Roundup-Umsatz von 300 Millionen Euro sorgt, künftig also keine Glyphosat-Unkrautvernichter von Bayer mehr beziehen. Professionelle, landwirtschaftliche Anwender sollen weiterhin Glyphosat-Roundup-Produkte kaufen und nutzen.

3. Bayer prüft neue Lösungen für die Beilegung potenzieller künftiger Klagen. Dafür plant der Konzern weiter die Einrichtung eines unabhängigen wissenschaftlichen Beratergremiums zur Überprüfung der Erkenntnisse zur Sicherheit von Roundup.

Weitere Details möglicher neuer Lösungen sind aktuell nicht bekannt. Bayer-Chef Werner Baumann betonte, das Unternehmen verfolge weiter das Ziel, einen Schlussstrich unter die rechtlichen Auseinandersetzungen zu ziehen. „Wir sind auf alle Szenarien gut vorbereitet“, sagte Baumann.

4. Die Leverkusener wollen darüber hinaus ihr Vorgehen bei Vergleichen von aktuellen Klagen prüfen. Bayer hat bereits 96.000 von rund 125.000 Klagen beigelegt oder sie aus dem Vergleich ausgeschlossen. Zu diesem Ansatz stehe der Konzern weiter, heißt es von Bayer, er behalte sich aber vor, regelmäßig zu prüfen, „ob dieser Ansatz noch im besten Interesse des Unternehmens ist“. Auch bei diesem Punkt lässt das Unternehmen aktuell offen, was genau das bedeuten soll.

5. In den Fällen Pilliod und Hardeman, die Bayer in jeweils zwei Instanzen vor kalifornischen Gerichten verloren hat, sowie im Fall Carson, der bei einem Bundesberufungsgericht in Georgia liegt, hofft Bayer auf Hilfe vom Supreme Court. Die Leverkusener wollen prüfen lassen, ob Ansprüche nach einzelstaatlichem Recht wegen fehlerhafter Warnungen bestehen können, wenn sie mit Bundesrecht kollidieren.

Bayer sieht sich hier in einer guten Position, bei einem Urteil zu seinen Gunsten künftige Haftungsrisiken erheblich reduzieren zu können. Zunächst muss das oberste Gericht der USA jedoch darüber entscheiden, ob es diese Fragestellung überhaupt prüft. Fällt diese Entscheidung positiv aus, rechnet Bayer mit einem Urteil in der Mitte des kommenden Jahres.

Was bedeutet das Vorgehen nun für Bayer?

Fest steht: Bayer kann sich von der schweren Last des Glyphosat-Rechtsstreits auf absehbare Zeit nicht befreien. Die rechtlichen Unsicherheit drücken damit weiterhin schwer auf den Wert der Bayer-Aktie: Seit Wochenbeginn hat das Papier mehr als sieben Prozent verloren. Eine Kehrtwende ist in die Ferne gerückt: Die vom Bayer-Konzern erhoffte Erholung vom jahrelangen Glyphosat-Streit ist aktuell nicht mehr greifbar.

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„Bayer steckt durch die Akqusition von Monsanto in einer Sackgasse und kommt nicht mehr raus“, sagte Ingo Speich, Fondsmanager bei Deka Investment, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Sparkassen-Fondstochter Deka hält rund ein Prozent aller Bayer-Aktien. „Weil wieder einmal Hoffnungen zerstört wurden“, so Speich, nehme der Druck auf das Management rund um Werner Baumann jetzt massiv zu. Dieses sei getrieben und können nur noch reagieren. „Der Fünf-Punkte-Plan ist ein weiterer Versuch von Werner Baumann, Vertrauen zu schaffen.“ Die Verantwortung für die aktuelle Misere liege aber klar bei ihm.

Speich sieht nun auch die anderen Bayer-Geschäfte durch die rechtlichen und finanziellen Unsicherheiten belastet: „Bayers Pharmapipeline ist schwach aufgestellt und bräuchte weitere Investitionen“, sagte der Experte. „Die hohe Verschuldung durch den Glyphosat-Streit erschwert sie aber.“