Die Chefin der privaten Kölner Krankenkasse DKV im Interview über Sitzen als das neue Rauchen, die Bedeutung der Privatpatienten und die wachsende Rolle der Pflegeversicherung
DKV-ChefinRückenschmerzen sind Volkskrankheit Nummer eins
Die private Krankenversicherung an sich ist bei einigen Sozialpolitikern umstritten. Manche sagen, es wäre besser, alle wären gesetzlich versichert und man würde die Mehrleistungen einfach durch Zusatzversicherungen abdecken. Was ist die Existenzberechtigung der privaten Krankenversicherungen?
Im vergangenen Jahr verzeichnete die Gesamtzahl der privaten Krankenversicherungen einen Anstieg um 432.700 auf insgesamt 38,3 Millionen Versicherte. Somit ist fast jeder zweite Bundesbürger privatversichert. Die Anzahl an Zusatzversicherten stieg um 1,5 Prozent auf 29,6 Millionen Versicherte. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen auf private Vorsorge zurückgreifen, um das Leistungsniveau der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu erhöhen, bestätigt den Bedarf an privaten Krankenzusatzschutz. Eine erfreuliche Entwicklung zeigt sich auch in der Vollversicherung. Bereits zum sechsten Mal in Folge wechseln mehr Menschen von der GKV in die Private Krankenversicherung als umgekehrt. Jeder zusätzliche Privatversicherte trägt dazu bei, das Problem des demografischen Wandels in den Sozialversicherungssystemen zu reduzieren, da von Anfang an Alterungsrückstellungen in Form von als kapitalgedeckter Vorsorge für das Alter aufgebaut werden. Diese Art der Kalkulation führt dazu, dass die PKV einen wertvollen Beitrag zur Stabilisierung des Gesundheitssystems leistet und zukünftige Generationen nicht belastet.
Wer als gesetzlich Versicherter im Wartezimmer sitzt, könnte sich wie in einer Zweiklassengesellschaft fühlen, wenn er sieht, wie Privatversicherte behandelt werden. Ist das legitim?
In Deutschland werden in der Regel alle von den gleichen Ärzten behandelt, haben alle Zugang zu den gleichen Untersuchungen. Deswegen gibt es aus meiner Sicht keine Zweiklassenmedizin. Das deutsche Gesundheitssystem gehört nach wie vor zu den besten der Welt. Für gesetzlich wie für privat Versicherte.
Frauke Fiegl ist Vorstandsvorsitzende der DKV Deutsche Krankenversicherung AG sowie der Ergo Krankenversicherung AG. Außerdem ist sie Mitglied des Ergo-Deutschlands-Vorstandes und verantwortlich für Gesundheit und Reise. Die Juristin wurde 1977 in Hilden geboren und arbeitete von 2008 bis 2020 bei Kölner Axa-Konzern.
Wem raten Sie, Mitglied einer privaten Krankenversicherung zu werden, angenommen er erfüllt die Einkommens-Voraussetzungen?
Grundsätzlich jedem. Mein Rat ist, sich sehr früh mit der Frage zu befassen. Je eher man für sich vorsorgt, desto besser. Und wenn es nur eine sogenannte Anwartschaftsversicherung ist, mit der man seinen Gesundheitszustand absichern kann. Aus meiner Sicht gibt es keine Einschränkungen der Frage, wer sich für eine private Krankenversicherung interessieren sollte. Die DKV Deutsche Krankenversicherung (DKV) bietet auch spezielle Tarife für gesetzlich Versicherte an, wodurch der Versicherungsschutz individuell aufgestockt und mit dem eines Privatversicherten gleichgestellt werden kann.
Wie funktioniert die Anwartschaftsversicherung?
Wer in die private Krankenversicherung wechseln möchte, muss in der Regel zunächst eine Gesundheitsprüfung machen. Diese kann bereits vor einem möglichen Wechsel in die private Krankenversicherung durchlaufen werden, sodass eventuelle Verschlechterungen des Gesundheitszustands im Vertrag keine Berücksichtigung mehr finden. Das heißt, man friert den aktuellen Gesundheitszustand praktisch ein. Die Anwartschaftsversicherung kann jeder abschließen, sie ist nicht abhängig von der Beitragsbemessungsgrenze (aktuell liegt sie bei einem Bruttoeinkommen von 69.300 Euro).
Wem würden Sie abraten, in die private Krankenversicherung zu gehen?
Private Zusatzversicherung ist für jeden interessant, der im Krankheits- oder Pflegefall gut abgesichert sein möchte. Um in die PKV als Vollversicherter zu wechseln, schreibt der Gesetzgeber vor, dass ein Angestellter über der Beitragsbemessungsgrenze verdient. Auch Beamte, Selbstständige und Freiberufler können ihren Krankenversicherungsschutz bei einer privaten Versicherung abschließen. Grundsätzlich ist der Wechsel für jeden etwas und je früher man wechselt, umso besser, weil man mit den Alterungsrückstellungen als privat Versicherter vorsorgt. Man spart von Versicherungsbeginn einen Teil des Beitrages an, mit dem man später die erhöhten Leistungen im Alter finanziert. Das bedeutet: Ich spare erst an, später wird das Ersparte zur Beitragsreduktion verwendet. Wenn die Zeit fürs Ansparen zu kurz ist, wird es schwierig, die in der Regel höheren Leistungen für das Alter ausreichend zu finanzieren. Das ist die Sorge vieler Menschen, dass die PKV im Alter nicht finanzierbar ist. Umso wichtiger ist, früh einzusteigen und sich gut beraten zu lassen. Es gibt zum Beispiel einen gesetzlichen Zuschlag, der mit dem 60. Lebensjahr entfällt. Das wissen allerdings nur wenige. Dieser Mythos „Die PKV ist im Alter unbezahlbar“ ist deshalb so nicht richtig, weil es viele Mechanismen gibt, die dem Entgegenwirken.
Woher kommt dann der Glaube?
Es gibt immer Einzelfälle, die in den Medien geschildert werden. Wenn man aus meiner Sicht früh einsteigt, gut beraten ist und einen Beitragsentlastungstarif im Alter dazu nimmt, dann ist der Beitrag durchaus mit der GKV vergleichbar: Bei einen durchschnittlichen 65-Jährigen, beträgt der Unterschied im Beitrag nur rund drei Euro. Es handelt sich also häufig um Einzelfälle. Die drei Themen sind: Einstiegszeitpunkt, Umfang und Inhalt des Versicherungsschutzes sowie Qualität der Beratung. Über diese drei Dinge muss man sich im Vorfeld Gedanken machen, wie bei einer Lebensversicherung oder einem Hauskauf auch.
Wann bin ich zu alt, um in die PKV zu wechseln?
Es kommt darauf an, wie der Gesundheitsstatus ist und wie viel man bereit ist, über den Beitragsentlastungstarif hinaus zusätzlich noch abzusichern. Wer bis 40 seinen Weg in die PKV geschafft hat, ist auf jedem Fall auf einem guten Weg. Grundsätzlich möchte ich aber keine Altersgruppe ausschließen.
Was ist das Problem der Pflegeversicherung?
Die Finanzierbarkeit. Es gibt in Deutschland einen großen Finanzierungsbedarf in verschiedenen Bereichen. Auch in der Pflege ist die Finanzierung nicht ausreichend, es gibt immer mehr Pflegeversicherte und der Bedarf steigt und steigt. Die Pflegereform hat zudem den Leistungskatalog erweitert. Mehr Pflegebedürftige plus mehr Leistungen stellen die Finanzierung vor große Herausforderungen.
Was ist die präferierte Lösung?
Das kommt drauf an, wen man fragt. Aus meiner Sicht ist diese Vollkasko-Mentalität bzw. die Erwartungshaltung problematisch: Hier gibt es ein Finanzierungsproblem. Die meisten Bürger denken, das muss der Staat im besten Fall aus Steuergeldern bezahlen. In der privaten Pflegeversicherung ist es durch ein kapitalgedecktes Verfahren möglich, eine stabile Kalkulation zu erreichen, ohne dass das dazu führt, dass anderen Budgettöpfen im Bundeshaushalt die Finanzmittel entzogen werden und auch ohne, dass die nächsten Generationen damit belastet werden.
Ihre Versicherten zahlen erstmal selbst und kriegen das dann erstattet. Ist das nicht das viel bessere System? Das GKV-System hingegen ist intransparent und dem Versicherten ist eigentlich egal, was der Arzt der Kasse in Rechnung stellt.
Gesetzlich Versicherte haben keine ausreichende Transparenz und wissen häufig nicht, was ein Arztbesuch kostet. Auch hier gibt es wieder die Vollkasko-Mentalität. Ich kann Arztbesuche beliebig häufig in Anspruch nehmen. Kostentransparenz ist aus meiner Sicht aber sehr wichtig. Ein PKV-Versicherter weiß genau, was ein Arztbesuch kostet. Ich höre ganz oft von unseren Versicherten: Mir war nicht bewusst, wie teuer so eine Behandlung ist. Diese Transparenz auch in der GKV herzustellen wäre ein wichtiger Schritt, damit der Wert der Gesundheitsversorgung auch jedem bewusst ist.
Also wäre es sinnvoll, bei der GKV ein Vorkassesystem einzuführen?
Das Kostenerstattungsprinzip gibt es bereits bei der GKV. Hierdurch gehen Sie in Vorleistung und reichen die Rechnung dann anschließend bei Ihrer Versicherung ein. Allein das Vorgehen löst das Problem daher vermutlich nicht. Ich finde allein den ersten Schritt wichtig, nämlich Transparenz über die Kosten von medizinischen Leistungen herzustellen.
Wir sprachen eben über Pflegevorsorge: Ist das ein zusätzliches Versicherungsprodukt?
Arbeitgeber können steuerfrei Leistungen für Arbeitnehmer anbieten, das geht vom Mittagessen bis zur betrieblichen Pflegeversicherung. Viele Unternehmen sorgen als Arbeitgeber für ihre Mitarbeiter vor, indem sie eine betriebliche Kranken- oder Pflegeversicherung abschließen. Diese hat den Vorteil, dass es keine Gesundheitsprüfung gibt und damit auch Menschen mit Vorerkrankungen versichert werden können. Das ist aus Arbeitgebersicht ein gutes Mittel, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Eine Investition, die Wertschätzung zeigt und die Gesunderhaltung der Mitarbeiter fördert. Die DKV war einer der ersten Anbieter von betrieblicher Pflegeversicherung im Markt und bietet sehr leistungsstarke Lösungen auch schon für kleine Unternehmen an.
Stichwort Prävention: Was für Krankheiten? Was leisten Sie da?
Es gibt so viele Volkskrankheiten, von Rückenbeschwerden bis Herz-Kreislauf-Erkrankungen – und die Fälle werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter zunehmen, weil wir immer mehr ältere Menschen haben. Die Kosten, die allein dadurch künftig entstehen, sind enorm. Deshalb sollten GKV und PKV gleichermaßen dafür werben, dass die Menschen etwas für sich tun und das Bewusstsein dafür schaffen. Der Verband der PKV ist hier sehr stark unterwegs, doch die GKV hat etwas mehr Möglichkeiten als wir. Da würden wir gerne mehr tun, brauchen jedoch den gesetzlichen Rahmen hierfür.
Welche Volkskrankheit ist für Sie die teuerste?
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen Rückenschmerzen weltweit an erster Stelle. Auch in Deutschland sind Rückenschmerzen die „Volkskrankheit Nr. 1“. Durch regelmäßige Bewegung und weniger Sitzen wären womöglich viele Erkrankungen vermeidbar.
Ist Sitzen das neue Rauchen?
Das ist goldrichtig. Im DKV-Report analysieren wir mit der SpoHo Köln alle zwei Jahre die Faktoren, die eine Rolle spielen. Und die Ergebnisse sind alarmierend. Wir sitzen viel zu viel und immer mehr, über neun Stunden im Schnitt am Tag. Jugendliche sogar noch mehr.
Was würden Sie sich als Unternehmen an Verbesserungen am Standort Köln wünschen?
Der Standort Köln ist für die DKV seit 100 Jahren gesetzt. Köln ist ein Versicherungsstandort. In der Stadt haben wir deshalb gute Rahmenbedingungen. Wir sind fast 2800 Mitarbeiter am Standort und profitieren von der Fachkompetenz und langjährigen Treue unserer Mitarbeiter. Es ist richtig, sich Gedanken zu machen, was die Stadt tun muss, um als Standort attraktiv zu bleiben. Hier ist die Stadt Köln schon gut unterwegs, aber um zukunftsfähig zu bleiben, müssen einige Dinge zügig und schnell angegangen werden. Wir sind nach wie vor mit der DKV sehr gerne in Köln. Die DKV gehört für mich einfach zu Köln.
Was würden Sie sich in Sachen Mobilität wünschen?
Wir haben innerhalb des Ergo-Konzerns und damit auch für die DKV, als Tochtergesellschaft der Ergo Versicherungsgruppe, eine Maximalquote für das mobile Arbeiten von 50 Prozent. Das ist aus meiner Sicht eine gute Regelung, denn sie bietet noch ausreichend Gelegenheit für den persönlichen unmittelbaren Austausch. Durch die zentrale Lage unseres Verwaltungsstandorts in Braunsfeld profitieren wir von der Infrastruktur innerhalb der Stadt. Wir sind für unsere Mitarbeiter mit der KVB, per Rad, zu Fuß oder mit dem Auto gut erreichbar.