Nicht nur Deutschland, einst Motor der europäischen Wirtschaft, steckt in der Krise. Ein Ende ist nicht in Sicht – und dennoch gibt es Hoffnungsschimmer.
Ausblick aufs neue JahrEuropas Wirtschaft 2025: Nur Krise oder auch Hoffnungsschimmer?
Wenige Tage vor Beginn des neuen Jahres sah sich die EU-Kommission zu einer Warnung gezwungen: Die Wirtschaftslage in Deutschland und neun weiteren EU-Ländern sei so schlecht, dass dies negative Folgen für die ganze Europäische Union haben könnte. „Wir müssen dringend handeln“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis. „Die EU steht vor schwerwiegenden strukturellen Herausforderungen, die unseren langfristigen Wohlstand bedrohen.“ Was erwartet Europas Wirtschaft 2025 – und wo gibt es Hoffnungsschimmer?
Das Wirtschaftswachstum in Europa wird 2025 voraussichtlich erneut gering ausfallen. Nach Schätzungen der EU-Kommission wächst die europäische Wirtschaft im neuen Jahr um 1,5 Prozent, Deutschlands Wirtschaft gerade einmal um 0,7 Prozent. Während sich Europa langsam von der Corona-Pandemie erholt, bleibt die größte Volkswirtschaft in der EU zurück. Allerdings liege das nicht daran, dass die Nachfrage nach deutschen Produkten plötzlich eingebrochen sei.
Experte benennt Probleme in Deutschland
„Die deutschen Unternehmen haben zu wenig getan, um an der Weltspitze erfolgreich zu sein“, bilanziert Daniel Gros, Direktor des Institute for European Policymaking an der Bocconi-Universität Mailand, das Problem des größten Mitgliedslandes. „Deutschland hat in den letzten 20 Jahren nur in Mitteltechnologie investiert, in Maschinenbau und Automobilindustrie, und damit den Anschluss an die Spitzentechnologie verloren“, so Gros im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Das gelte zwar für ganz Europa, doch Deutschland als einst starke Industrienation bekomme das jetzt besonders zu spüren.
Die Sparquote europäischer Haushalte ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr, ein Zeichen für wirtschaftliche Unsicherheiten. Auch das Verbrauchervertrauen in der EU verschlechtert sich im November 2024 weiter. Das Problem: Wenn mehr Menschen sparen, statt zu investieren, bremst dies das Wirtschaftswachstum nur noch weiter. „Das globale Umfeld bleibt mit zunehmenden und anhaltenden geopolitischen Spannungen voller Risiken für die EU“, räumte auch EU-Kommissar Dombrovskis ein.
Südeuropa boomt 2025
Viele Ökonomen sehen in den nächsten Jahren die große Zeit der PIIGS-Länder gekommen. PIIGS steht für Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien, die alle in der Vergangenheit als anfällig für wirtschaftliche Instabilität und Krisen galten. Doch nun sehen die Wirtschaftsprognosen für diese Länder Wachstumsraten von teils mehr als 2 Prozent vor, deutlich über dem EU-Durchschnitt. Der Tourismusboom, Erholungseffekte, viele Investitionen und reale Lohnzuwächse sind einige der Gründe dafür. Die meisten der Staaten profitieren auch eher von den inzwischen wieder gesunkenen Zinssätzen der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die EU-Kommission hat nun Leitlinien zur Förderung von Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Stabilität für die nächsten Jahre vorgelegt. Auf der langen Liste stehen Vorhaben wie die Schließung der Innovationslücke gegenüber der wirtschaftlichen Konkurrenz, ein gemeinsamer Plan zur Dekarbonisierung der Wirtschaft, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und den Abbau von Abhängigkeiten. Aus Sicht von Ökonom Gros genügt das nicht. „Die EU muss viel mehr Geld in die Innovationsförderung stecken, wenn Europa wirklich aufholen will“, sagte er.
Das Problem: Banken und Konzerne investieren aus seiner Sicht hierzulande nur in Bereiche, in denen sie sich auskennen. Daher gebe es zu wenig Risikokapital in Europa. Eine Einschätzung, die auch Wirtschaftsexperte Peter Chase vom German Marshall Fund in Brüssel teilt. „Wir haben in Europa Hightech-Forschung und gut ausgebildete Menschen, aber es fehlt an Finanzmitteln.“ Deshalb zögen kleine Technologiefirmen nach Großbritannien oder in die USA. Wenn Regierungen hier gegensteuern würden, ist Chase überzeugt, könne Europa viel mehr seines Potenzials ausschöpfen.
Welche Hoffnungsschimmer es 2025 gibt
Schnelles Umsteuern? Kaum möglich. „Deutschland und Europa können die großen Defizite nicht so schnell aufholen – das dauert mindestens zehn Jahre“, so die Einschätzung von Ökonom Gros. „Die deutsche Wirtschaft wird daher auf absehbare Zeit nur sehr langsam wachsen – mit einigen Lichtblicken, die man fördern könnte.“ Eine Chance habe Europa bei Maschinen mit einem kleinen Anteil an Spitzentechnologie und ausgeklügelter Software. „Maßgeschneiderte Produkte, die nicht skalierbar sind, kann Europa auch in Zukunft gut herstellen.“ Das zeige etwa die Software von SAP, die für jedes Unternehmen leicht modifiziert werden müsse.
Auch in vielen anderen Bereichen haben europäische Unternehmen bereits einen Fuß in der Tür. „Es gibt gute Chancen in der Robotik, wenn man Künstliche Intelligenz in der Mechanik einsetzt.“ Aber da seien viele Unternehmen gefragt, die Geld in die Hand nähmen und experimentierten. „Die meisten Unternehmen werden scheitern, aber am Ende kommt es auf die an, die erfolgreich sind“, sagt Gros.
„Für die europäische Wirtschaft gibt es im Jahr 2025 auch einige Hoffnungsschimmer“, meint auch Chase. „Europa hat eine große Wirtschaft und es gibt viele talentierte Menschen, sodass das Potenzial riesig ist.“ Durch neue Technologien in der Industrie sei viel Wachstum trotz Arbeitskräftemangel möglich. Dagegen würde der Personalbedarf im Dienstleistungssektor noch weiter steigen.
„Es gibt viel Wachstumspotenzial, wenn man die Schuldenbremse in Deutschland aufhebt und viele der Beschränkungen für Unternehmen, insbesondere im Dienstleistungssektor, wegfallen würden“, so Wirtschaftsexperte Chase. Er gibt auch zu bedenken, dass Maschinen und Künstliche Intelligenz in vielen Bereichen nicht allein die Arbeit erledigen könnten. Beispielsweise seien in Branchen wie der Cybersicherheit die Unternehmen auch in Zukunft auf viele kluge Köpfe angewiesen – ein weiterer Hoffnungsschimmer.
Und auch der Dachverband der europäischen Industrie- und Handelskammern sieht inzwischen „weniger negative Erwartungen“ für 2025. Die größten Herausforderungen seien die hohen Lohnkosten und der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Immerhin: Das Exportgeschäft und das Geschäftsklima dürften nicht ganz so schlecht verlaufen, wie man noch vor einiger Zeit befürchtet hatte.