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Unfaires Lohnsystem, NasenprämienHarte Kritik an Flaschenpost-Dienst reißt nicht ab

Lesezeit 4 Minuten

Eine Reihe Flaschenpost-Lieferfahrzeuge

  1. Weitere Mitarbeiter des Lieferdienstes Flaschenpost haben sich anonym über die schlechten Arbeitsbedingungen beschwert und die Kritikpunkte in einem jüngst veröffentlichten offenen Brief. damit bestätigt.
  2. Es würden nach wie vor in vielen Fahrzeugen die Klimaanlagen fehlen, sagt ein Flaschenpost-Mitarbeiter aus Köln dieser Zeitung.
  3. Geschäftsführer Stephen Weich widerspricht und ärgert sich über den offenen Brief. In seinem Unternehmen gebe es eine offene Feedbackkultur.

Köln – Transporter ohne Klimaanlagen, verschmutzte Sanitäranlagen und ein Schein-Betriebsrat – unter der Überschrift „Überlastungsanzeige“ beschwerten sich Mitarbeiter des Getränkelieferdienstes Flaschenpost vor etwa zwei Wochen über teilweise „menschenunwürdige“ Arbeitsbedingungen. Nach der Berichterstattung in dieser Zeitung meldeten sich mehrere Mitarbeiter des Standorts Köln anonym zu Wort – und bestätigen die Kritikpunkte weitgehend.

Es würden nach wie vor in vielen Fahrzeugen die Klimaanlagen fehlen, sagt ein Flaschenpost-Mitarbeiter auf Anfrage. „Falls das stimmt, ist das ein Skandal“, findet der Kölner DGB-Chef Jörg Mährle.

Dass Klimaanlagen von Unternehmensseite „still gelegt“ wurden, um Sprit zu sparen – wie die Mitarbeiter im Brief behaupten –, kann der Gewerkschafter für den Kölner Standort nicht bestätigen. Auch Geschäftsführer Stephen Weich widerspricht diesen Behauptungen entschieden. In der Zeit seiner Geschäftsführung hätte es diese Praxis nicht gegeben, für die Zeit vorher könne er es aber nicht ausschließen.

Kein transparentes Lohnsystem für die Fahrer

Weich wundert sich über die anonyme Form der Kritik: „Ich bin ab und zu selbst noch als Fahrer unterwegs. Ich kenne die Bedürfnisse der Kollegen und stehe mit ihnen im Austausch.“ Offenes Feedback und Mitarbeiterzufriedenheit seien ihm wichtig. Besonders die Hygiene am Arbeitsplatz habe er nach der Kritik an den Sanitäranlagen noch einmal genau betrachtet.

Beklagt wird in Schreiben an die Redaktion auch das intransparente Lohnsystem. Es gebe keine Zeiterfassung, die für die Fahrer einsehbar wären, deshalb sei unklar, wie sich der Lohn für einen Fahrer zusammensetze. Eigentlich soll der Grundlohn aufgestockt werden, wenn der Angestellte effizient arbeitet – nur die Kriterien seien in den befristeten Verträgen nicht festgeschrieben. Zum Beispiel sei es die Regel, dass sich der Fahrer nicht bei Arbeitsbeginn einstempele, sondern erst wenn er anfange, die Getränkekisten in seinen Transporter zu laden.

Große Touren sind laut Flaschenpost-Chef Ausnahmen

Die versprochenen 120 Minuten von der Bestellung bis zur Lieferung seien kaum realistisch. Denn in diesem Zeitraum muss ein Fahrer schon mal bis zu zwölf Kunden mit vier bis zehn Getränkekisten versorgen. „Die zwei Stunden Lieferzeiten sind in der Regel nicht einzuhalten. Die Kunden sind dann in der ganzen Stadt sowie Pulheim, Hürth und Frechen verteilt“, so ein Fahrer. Flaschenpost-Chef Weich hält dagegen: „Solche großen Touren sind Ausnahmen.“ Außerdem würden solche Faktoren bei der Vergütung berücksichtigt.

Piet Meyer von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) betreut die Flaschenpost an ihrem Sitz in Münster: „Das Lohnsystem ist unfair. Prämien werden in Aussicht gestellt, aber nicht vertraglich festgelegt. Das nennen wir eine Nasen-Prämie.“ Meint: Wenn die Nase dem Arbeitgeber nicht passt, wird der Stundenlohn von zehn Euro nicht aufgestockt. Der Geschäftsführer verneint ein solches Vorgehen. „Wir haben ein objektives Lohnsystem. Ein normaler, zügiger Arbeitsablauf führt zur Prämie.“

„Arbeitnehmer haben Angst, sich für ihre Rechte einzusetzen“

Meyer kennt die Vorwürfe auch von Lebensmittel-Lieferdiensten wie Deliveroo und Lieferando, der seinen früheren Konkurrenten Foodora übernommen hat. Deren Mitarbeiter beliefern auf Fahrrädern in mittlerweile allen deutschen Großstädten Kunden mit Pizza, Sushi und Burgern aus den umliegenden Restaurants. Mit einem bundesweiten Aktionstag Ende Juli haben die Gewerkschafter der NGG jüngst auf die schlechten Arbeitsbedingungen der Fahrradkuriere aufmerksam gemacht. Auch sie klagen über intransparente Löhne, befristete Verträge und fehlende Mitsprachemöglichkeiten in Form eines Betriebsrats.

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Die sachgrundlosen Befristungen in der Branche bedingen laut NGG teilweise die beklagten Arbeitsbedingungen. „Arbeitnehmer haben Angst, sich für ihre Rechte einzusetzen“, sagt Meyer. „Der eigene Arbeitsplatz ist gefährdet, wenn man sich beschwert.“ Und so erscheinen ihm die oben genannten Vorwürfe als „authentisch und realistisch“. Auch Mährle vom DGB spricht mit Blick auf die Lieferdienste vom „Dienstleistungs-Prekariat“. „Diesen kritischen Entwicklungen muss der Gesetzgeber endlich beikommen.“

Als Nebenjob „absolut okay“

Es steht auch fest: Viele Fahrer nutzen Flaschenpost als Übergangsjob, als Nebenverdienst zum Studium oder einer anderen Arbeitsstelle. Sie haben weder Interesse an einem festen Arbeitsvertrag noch an einem Kampf für bessere Bedingungen. Ein Kölner Mitarbeiter sagt: „Um sich ein paar Münzen zu verdienen, ist dieser Job absolut okay.“ Das Trinkgeld dürfe er behalten.

Die Firma beschäftigt 2000 Mitarbeiter an 13 Standorten, in Köln arbeiten zwischen 600 und 800 Mitarbeiter.