Während hierzulande Förderungen gekürzt werden, investiert das diktatorische Saudi-Arabien Milliarden. Das könnte die Gaming-Szene langfristig beschädigen.
Gamescom 2023Wie Milliarden aus Saudi-Arabien die Gaming-Branche verändern
Die Pforten der Kölner Messehallen sind gerade einmal wenige Minuten geöffnet, da schieben sich bereits die ersten Menschenmassen die Rolltreppen hinauf. Einige Besucher tragen Hasenohren oder Pikachus auf dem Kopf, biegen ab zum „Cosplay Village“, Jüngere sprinten in Richtung Halle 1, wo der Twitch-Streamer Montana Black mit eigener Show wartet. Den harten Kern der Gaming-Szene zieht es zielstrebig in Richtung Halle 6 – hin zu jeder Menge Spielneuheiten.
Was auf der Gamescom passiert, ist ein riesengroßes Klassentreffen, ein internationales obendrein. Die Messe, die an diesem Sonntag endet, ist ein deutsches Aushängeschild, ein „Place to be“ für die Branche. Hier kommen Hobbyspieler, Fans, Profis sowie Entwickler aus aller Welt zusammen.
Die Szene hat sich längst extrem professionalisiert: Von allen möglichen Spielen gibt es inzwischen ganze Ligen mit Teams, die gegeneinander antreten. Mit Akteuren wie Kuro Takhasomi hat Deutschland sogar große Stars im E-Sport-Bereich, die weltweit ganz oben mitmischen.
Auch im Spieleentwicklungsbereich können hierzulande Erfolge verbucht werden. So hat das deutsche Entwicklerteam von Blue Byte einst „Die Siedler“ erfunden und ging später im französischen Konzern Ubisoft auf. Das umsatzstärkste deutsche Spieleunternehmen ist Innogames, das etwa für das weltweit erfolgreiche Strategiespiel „Forge of Empires“ bekannt ist. Kurzum: Die Bundesrepublik nimmt im Gaming-Bereich eine nicht ganz unwichtige Rolle ein. Die Frage ist nur: Wie lange noch?
Kritik aus der Gaming-Branche
Im Umfeld der Branche sind immer wieder Zweifel zu hören, ob der Gaming-Standort Deutschland langfristig überleben wird. Viele Akteure der Branche fühlen sich nicht richtig ernst genommen – während andere Länder massiv in den Bereich investieren. Die Kritik umfasst zum einen die Finanzierung der Spielentwicklung und der dazugehörigen Technologien.
Felix Falk, Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Gamesbranche übte zum Auftakt der Messe am vergangenen Mittwoch Kritik in einem Interview mit der „Tagesschau“. Zwar hätten viele Politikerinnen und Politiker das Potenzial der Gamingbranche „zum Teil“ erkannt. Aber: „Sie tun noch viel zu wenig dafür.“ Falk wünscht sich, dass langfristig auch Zukunftstechnologien im Gaming-Bereich in Deutschland entwickelt werden.
Auch Ralf Wirsing vom Spieleentwickler Ubisoft ist unzufrieden. Man würde ja gerne in Deutschland produzieren – dafür brauche es aber eine „nachhaltige substanzielle Förderung“.
Fördermittel gekürzt
Bei Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der selbst über die Messe in Köln spazierte, haben diese Bitten offenbar keine Priorität. Ein Förderprogramm des Bundes für die Spieleentwicklung soll im kommenden Jahr von 70 Millionen Euro auf voraussichtlich 48,7 Millionen Euro gekürzt werden. Er hätte zwar gern mehr Geld bereitgestellt, bekräftigte Habeck, könne dies aber nicht – alle müssten sparen.
Genau das tun andere Länder nicht. Rund 4300 Kilometer Luftlinie von Köln entfernt, mitten in der Wüste Saudi-Arabiens, arbeiten Bagger derzeit an einem Bauprojekt, das alles, was in den Kölner Messehallen passiert, in den Schatten stellen dürfte. Nahe der Hauptstadt Riad soll bis zum kommenden Jahr eine sogenannte „E-Sport-Stadt“ entstehen. Rund 500 Millionen US-Dollar will das Land in das Projekt investieren.
Was genau man unter dem Begriff „E-Sports-Stadt“ zu verstehen hat, und wie weit der Bau tatsächlich ist, ist nicht überprüfbar – das Land verspricht hier mitunter die „Entwicklung neuer Talente“. Klar ist aber: Mit den Plänen scheint es Saudi-Arabien ziemlich ernst zu meinen. Kaum ein anderer Staat investiert derzeit so offensiv in die Gaming-Branche.
Rund 40 Milliarden Dollar will das Land in den kommenden Jahren in diesem Bereich einsetzen – eine riesige Summe. Zum Vergleich: Der jährliche Umsatz der Spieleindustrie liegt weltweit derzeit bei schätzungsweise 201 Milliarden Dollar.
Investitionen auf allen Ebenen
Saudi-Arabien hat in allen möglichen Bereichen schon die Finger im Spiel. Der E-Sports-Sektor ist ein Teil davon: Gerade erst wurde das Gamers8-Festival in der saudischen Hauptstadt Riad ausgetragen. Das Land stellte dafür satte 45 Millionen Dollar bereit. Im Zuge des Mega-Events wurden auch die FIFA E-Weltmeisterschaften ausgespielt. Der diesjährige Sieger, „ManuBachoore“, ging mit einem Preisgeld von einer Million Dollar nach Hause.
Geld fließt überall und reichlich. So erwarb die saudische Savvy Gaming Group mit der Electronic Sports League (ESL) beispielsweise einen der größten Player im E-Sport-Business. Auch an der Spieleentwicklung ist das Land längst beteiligt. Bei Nintendo ist der saudi-arabische Staatsfonds inzwischen größter ausländischer Anteilseigner. Im Mai stockte der Staatsfonds seinen Aktienanteil an Electronic Arts um mehr als 50 Prozent auf. Und auch an Activision Blizzard ist der Wüstenstaat mittlerweile beteiligt.
Verändert Saudi-Arabien die Spiele?
Tobias M. Scholz beobachtet diese Entwicklungen mit Interesse - und mit gleichzeitiger Besorgnis. Der Professor für Academic E-Sports an der Universität Agder in Norwegen hat seit vielen Jahren die Spielebranche im Blick und beklagt: „Im Gegensatz zu Deutschland hat das Land einen konkreten Plan“. Das könne langfristige Folgen haben – für Spielerinnen, Spieler und Fans, aber auch für die Industrie.
„Aktuell haben die Entwicklerinnen und Entwickler noch viele Freiheiten“, sagt Scholz. Es gebe zwar schon jetzt kritische Publisher wie etwa das Internetunternehmen Tencent aus China, dem größten Entwickler am Markt – der nehme aber bisher keinen Einfluss auf die Entwicklung der Spiele. Aber gilt das künftig auch für Saudi-Arabien?
„Spiele eignen sich wunderbar dazu, Geschichten zu erzählen“, sagt Scholz. „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Investoren irgendwann damit beginnen, diese Geschichten zu beeinflussen.“ Heute sei es häufig der Fall, dass in Spielen die amerikanische Armee die Welt rettet – in Zukunft tue das vielleicht die saudische. Auch die dargestellte Diversität in Videospielen könne leiden, wenn ein Land wie Saudi-Arabien das Sagen hätte.
Große Aktivitäten im E-Sport
Eine andere Gefahr betreffe den E-Sport: Das Land locke junge Talente mit enormen Summen - und bringe diese damit in eine große moralische Zwickmühle. „Im E-Sport ist es keineswegs so, dass man als Profi ausgesorgt hätte“, sagt Scholz. Das sei ein enormer Unterschied zu Profi-Fußballern wie etwa Neymar, der kürzlich nach Saudi-Arabien wechselte. Da sei es vor allem eine Moralfrage – im E-Sports-Bereich gehe es um die berufliche Existenz. „Entweder ich habe eine Chance, viel Geld zu gewinnen oder ich kann eigentlich meinen E-Sports-Traum an den Nagel hängen.“
Innerhalb der Counter-Strike-Szene, erlebe man, so Scholz, schon die Konsequenzen all dessen. Praktisch alle großen Organisationen seien bei dem saudi-arabischen E-Sports-Turnier dabei gewesen, um dort die hohen Preisgelder zu gewinnen. Bei keinem anderen Turnier dieser Art sind solch hohe Summen üblich.
All das könne auch die E-Sports-Events in Deutschland und Europa langfristig marginalisieren. „Natürlich werden sich auch Organisationen sagen: In Saudi-Arabien habe ich Planungssicherheit, also verstärken wir unsere Aktivitäten dort. Saudi-Arabien spielt Kapitalismus und schlägt uns mit unseren eigenen Waffen“, sagt Scholz.
Deutschland hätte gute Voraussetzungen
Ärgerlich ist das seiner Meinung vor allem deshalb, weil die Voraussetzungen für Deutschland eigentlich „ausgezeichnet“ seien. „Wir haben die großen Unternehmen, die E-Sports veranstalten. Wir haben Teams, die auf einem hohen Niveau spielen. Wir haben die verschiedenen Ligen, die in Deutschland ansässig sind. Das heißt, wir haben eine super Infrastruktur und gleichzeitig das hochgelobte deutsche Vereinswesen, was ja sonst nirgendwo existiert.“ Trotzdem komme Deutschland bei dem Thema nicht in die Gänge.
Das Land scheue sich vor Entwicklungen im digitalen Bereich, betrachte diese häufig als „Neuland“, kritisiert Scholz. Für die Politik gelte E-Sport noch immer als eine Art Nischenindustrie – eine staatliche Förderung der Sportart, wie etwa beim echten Fußball, gebe es aber nicht.
Noch gibt es Hoffnung
Ob Saudi-Arabien aber tatsächlich die Oberhand im Gaming-Bereich erlangen wird, ist noch keine ausgemachte Sache. Die Investitionen sind Teil der sogenannten Saudi-Vision 2030, einem Regierungsprojekt, dass darauf abzieht, das Land vom Öl unabhängig zu machen. Der Gaming-Bereich sei da nur eine Säule von vielen, weiß Scholz: „Es werden jetzt ein paar Jahre verschiedene Dinge ausprobiert und dann wird evaluiert, was erfolgreich war und was nicht.“ Gut möglich, dass das Land die Pläne dann wieder fallen lasse.
Auch die Gaming-Community selbst könnte den Plänen einen Strich durch die Rechnung machen. „E-Sports ist seit jeher eine sehr inklusive Sportart“, sagt Scholz. Jeder könne daran teilnehmen, körperliche Unterschiede seien hier ebenso unwichtig wie das Geschlecht. Länder wie Saudi-Arabien mit all seinen Menschenrechtsverletzungen steht dieser Philosophie entschieden entgegen: Frauen etwa werden in dem Land genauso unterdrückt wie Minderheiten. Viele Fans würden daher ein Zeichen setzen.
Wie beim Counterstrike-Finale in Riad. Normalerweise lockt das Event Hunderttausende Zuschauerinnen und Zuschauer vor die Bildschirme. Viele haben ihre Möglichkeit genutzt, eine Botschaft zu senden – und haben den Livestream gar nicht erst eingeschaltet. Und als das neue saudische Mega-Projekt Neom eine Liga von „League of Legends“ sponsern wollte, liefen Fans und Spieler Sturm. Die Pläne wurden daraufhin zurückgezogen.
Kanada, Frankreich und Großbritannien weit vorne
Doch selbst wenn Saudi-Arabien nicht der große Gaming-Player wird – den Anschluss könnte Deutschland auch ohne die Aktivitäten in der Wüste verlieren. Staaten wie Kanada, Frankreich oder Großbritannien täten schon seit Jahren viel, damit sich ein möglichst großer Teil der Wachstumsbranche bei ihnen ansiedele, beklagt der Branchenverband game.
Zum Vergleich: In Deutschlands Games-Branche arbeiten nach Verbandsangaben rund 12.000 Menschen. In Kanada, dessen Bevölkerungszahl nur etwa halb so groß ist wie die deutsche, sind es schon jetzt etwa dreimal so viele.