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Leverkusener KonzernBayer-Chef kommt nicht aus der Krise – und stellt Glyphosat infrage

Lesezeit 5 Minuten
Leverkusen Bayerkreuz. Foto: Ralf Krieger

Die Aktionäre des einst wertvollsten Dax-Konzerns Bayer werden zunehmend ungeduldig mit der Entwicklung des Leverkusener Traditionsunternehmens. 

Am Freitag muss sich Bayer-Chef Bill Anderson auf der Hauptversammlung der harten Kritik seiner Anteilseigner stellen.

Die wirtschaftliche Lage des Leverkusener Bayer-Konzerns bleibt weiter ernst. Dementsprechend aufgeheizt dürfte die Stimmung auf der Hauptversammlung an diesem Freitag sein. Konzernchef Bill Anderson muss sich der scharfen Kritik seiner Anteilseigner stellen – persönlich trifft er nicht auf sie, erneut findet das Aktionärstreffen nur virtuell statt.

Knapp zwei Jahre nach dem Amtsantritt des gebürtigen Texaners verlieren die Aktionäre zunehmend die Geduld. Denn angesichts der vielen gravierenden Baustellen, die der Konzern hat, ist es Anderson bislang noch nicht nachhaltig gelungen, die erhoffte Wende beim kriselnden Agrar- und Pharmakonzern einzuleiten.

Kostete eine Aktie rund zehn Jahren noch 140 Euro, dümpelt der Kurs mittlerweile so um die 20 Euro. Damals war kein Unternehmen im Dax wertvoller. Heute gilt der Aspirin-Konzern als schwieriger Fall.

Die Probleme sind die bekannten: Schwäche im Agrargeschäft, Medikamente, deren Patente auslaufen und deren Erträge noch nicht durch neue, sogenannte Blockbuster kompensiert werden können. Hinzu kommen vor allem die milliardenschweren Klagen in den USA wegen Glyphosat und mittlerweile auch PCB sowie die bürokratische Schwerfälligkeit, die ein Traditionskonzern in dieser Größe mit sich bringt. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

Ausstieg aus dem Glyphosat-Geschäft?

Um endlich die Glyphosat-Klagewelle in den USA einzudämmen, schließt der Bayer-Chef einen Ausstieg aus dem Geschäft mit dem Unkrautvernichter in den USA mittlerweile nicht mehr aus und stellt den Fortbestand erstmals offen infrage. „Wir kommen (..) langsam an einen Punkt, an dem uns die Klageindustrie zwingen könnte, die Vermarktung dieses systemkritischen Produktes einzustellen“, sagt Anderson in seiner am Donnerstag vorab veröffentlichten Rede für die Bayer-Hauptversammlung. „Das wollen wir nicht, aber wir müssen uns auf alle möglichen Entwicklungen vorbereiten“, so Anderson.

Seit Andersons Vorgänger Werner Baumann 2018 die Übernahme des amerikanischen Agrarchemiekonzerns Monsanto für mehr als 60 Milliarden Dollar vorangetrieben hatte, leiden die Leverkusener unter dem schweren Erbe.

Verklagt wird Bayer in den USA nicht mehr nur wegen angeblicher Krebsrisiken des Monsanto-Unkrautvernichters Glyphosat, sondern auch wegen möglicher Folgen der bis 1978 verkauften Chemikalie PCB. Für Schadenersatzzahlungen und außergerichtliche Vergleiche allein im Fall Glyphosat hat der Konzern bisher weit mehr als zehn Milliarden Euro aufgewendet. Die Zahl der angemeldeten Glyphosat-Klagen stieg hier zuletzt um 4000 auf insgesamt etwa 181.000. 114.000 Klagen hat der Konzern bereits beigelegt, für 67.000 Ansprüche stehen Einigungen derzeit noch aus.

Anderson stellt nun klar, dass es so nicht weitergehen kann. „Der Status quo ist keine Option“, sagte der CEO. Bis Ende 2026 müsse sich die Situation deutlich verbessern. Bisher habe man in Berufungsverfahren bereits Schadenersatzforderungen um bis zu 90 Prozent reduzieren können.

Vor drei Wochen hat Bayer im Fall Glyphosat den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten angerufen. Die höchsten Richter des Supreme Court sollen final klären, ob Bayer wegen fehlender Warnhinweise immer wieder zu Schadenersatz verurteilt werden darf oder nicht – weil eben diese Warnhinweise nach Auffassung der Leverkusener gegen US-Bundesrecht verstoßen. Geben die Richter Bayer recht, wäre das der sehnlich erwartete Befreiungsschlag. Andernfalls bleiben die Aussichten düster.

Wann sich die obersten US-Richter der Sache annehmen und ob sie es überhaupt tun, ist unklar. Im Jahr 2022 war Bayer mit einem anderen Glyphosat-Verfahren am obersten US-Gericht bereits einmal gescheitert. Das Gericht entschied, sich nicht mit dem Fall zu befassen.

Bayer bittet Aktionäre um eine Kapitalerhöhung

Zur weiteren Beilegung US-Prozesse bittet der Konzern seine Aktionäre nun um eine nennenswerte Kapitalerhöhung von rund 35 Prozent des Aktienkapitals. Auf Grundlage des Marktwertes des Unternehmens ist von um die acht Milliarden Euro die Rede. Alle Anteilseigner sollen dabei Bezugsrechte erhalten. Eine Zustimmung der Aktionäre zu den Plänen „würde uns wichtigen Handlungsspielraum geben, die Rechtsstreitigkeiten einzudämmen und das Kreditrating auf einem angemessenen Niveau zu halten“, sagt der Bayer-Chef. Der Konzern würde damit verhindern, seine ohnehin sehr hohe Verschuldung weiter nach oben zu treiben.

Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann betonte jüngst, dass das Kapital — sollte es denn von den Aktionären genehmigt werden — im laufenden Jahr nur ausgenutzt werden soll, wenn dies unbedingt erforderlich sei. Für Zukäufe oder andere Geschäftsaktivitäten ist es explizit nicht gedacht.

Harte Kritik der Aktionärsvertreter

Die Kritik ist hart und umfassend. „Die Bilanz Ihrer Amtszeit sieht verheerend aus“, sagt Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance der Deka Investment, laut der vorab veröffentlichten Rede zur Hauptversammlung. Bayer, „einst eine Ikone der deutschen Industrie, ist nur noch ein Schatten seiner selbst“. Ähnlich äußert sich Janne Werning von Union Investment: „Börsenwert und Kurs kennen seit der Monsanto-Übernahme nur eine Richtung: nach unten.“

Trotzdem wollen sowohl Deka als auch die Fondsgesellschaft Union Investment den Vorstand entlasten. Und auch die Zustimmung zur geplanten Kapitalerhöhung gilt als sicher. Hinter diese Pläne, die Anfang März offiziell bekannt wurden (wir berichteten), hatte sich damals bereits auch der einflussreiche Aktionärsberater ISS gestellt.

Anderson läuft die Zeit davon

Experten und Beobachter sind sich einig: Die Zeit bei Bayer drängt. Vorstandschef Anderson hatte 2023 mit seinem Wechsel von Roche zu Bayer eine der schwierigsten Aufgaben übernommen, die es in der deutschen Wirtschaft zu übernehmen gab. Es dürfte ihm und allen Beteiligten klar gewesen sein, dass der Gesundungsprozess langwierig sein dürfte. Ab 2026 will Anderson nun endlich den Turnaround schaffen und es soll dann wieder bergauf gehen.

Anderson ist 2023 mit einem Dreijahresvertrag bis eben 2026 angetreten. Chefaufseher Norbert Winkeljohann sichert ihm bislang immer wieder „vollste Unterstützung“ zu. Noch wird er nicht lautstark infrage gestellt. Auch eine mögliche Zerschlagung des Konzerns, wie vor einem Jahr von Investoren gefordert, ist derzeit keine öffentlich diskutierte Option. Aber die Zeit läuft.