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Virtuelle HauptversammlungBayer-Aktionäre zwischen „Hölle und Hoffnung“

Lesezeit 6 Minuten
Proteste vor der alten Bayer-Konzernzentrale

Bayer-Kritiker versammelten sich anlässlich der Hauptversammlung auf der Kaiser-Wilhelm-Allee zwischen der alten und der neuen Konzernzentrale in Leverkusen. 

Die Aktionäre sind unzufrieden und ungeduldig mit der Führung des Traditionskonzerns. Der Unmut kann sich aber nur virtuell entladen – bislang.

Die Kritik, der sich die Führung des Leverkusener Bayer-Konzerns am Freitag auf der Hauptversammlung stellen mussten, fiel äußerst hart und mehr als deutlich aus. Rund sechseinhalb Stunden standen der Vorstand unter CEO Bill Anderson und Chefaufseher Norbert Winkeljohann im Kreuzverhör ihrer zutiefst unzufriedenen Anteilseigner. Zwischenrufen, Protest und aufgeheizter Stimmung musste sich das Management aber nicht aussetzen, denn erneut fand die Hauptversammlung nur virtuell statt.

Allerdings machte die Technik nicht immer mit. Immer wieder kam es am Anfang zu Aussetzern und kurzen Tonunterbrechungen. Aktionärsvertreter flogen aus der Leitung und bei der Beantwortung der Fragen durch Vorstand und Aufsichtsrat vergingen mehrfach Minuten, bevor das Management antworten konnte. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte der Versammlung.

Die Kritik

Die Aktionärsvertreter fanden harte Formulierungen für den derzeitigen Zustand von Bayer. Das ist bei Hauptversammlungen in der ersten Börsen-Liga eher die Ausnahme. „Die Bilanz Ihrer Amtszeit sieht verheerend aus“, sagte Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka in seiner Rede. „Der Kurs ist eingebrochen, die Dividende praktisch nicht mehr vorhanden, die Unsicherheit durch Klagen enorm hoch und die Belegschaft scheint durch das Restrukturierungsprogramm mit sich selbst beschäftigt.“ Bayer, „einst eine Ikone der deutschen Industrie, ist nur noch ein Schatten seiner selbst“. Aus Sicht des Kapitalmarktes habe Bayer drei große Herausforderungen: die Klagewelle, die Zukunft von Glyphosat und eine schwache Pharmapipeline, sagte Speich. Bayer stecke in einer strategischen Sackgasse. Zwar habe Bayer-Chef Bill Anderson den 2018 abgeschlossenen Kauf des US-Agrarchemiekonzerns Monsanto nicht zu verantworten. „Aber nächstes Jahr um diese Zeit sind Sie fast drei Jahre an der Spitze von Bayer. Bis dahin muss sich der Aktienkurs nach oben bewegt haben.“

Der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson bei der Hauptversammlung 2025 von Bayer.
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Chairman of the Board of Management Bill Anderson at the Annual General Meeting 2025 of Bayer

Der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson bei der Hauptversammlung 2025 von Bayer.

Auch das Urteil von Janne Werning von Union Investment fiel hart aus: „Börsenwert und Kurs kennen seit der Monsanto-Übernahme nur eine Richtung: nach unten.“

Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sieht die Bayer-Aktionäre zwischen „Hölle und Hoffnung“. Man habe gleich mehrfach für Monsanto bezahlt: „Den Kaufpreis, die Kosten für die Klagen gegen Glyphosat und durch die geringe Dividende.“ Diese liegt seit 2024 beim gesetzlichen Minimum von nur noch elf Cent. Und das soll auch in diesem Jahr so bleiben. Bayer braucht das Geld, denn der Konzern ist hoch verschuldet. Deshalb hat Bayer seine Aktionäre auch um eine Kapitalerhöhung gebeten, die schließlich genehmigt wurde, wenn auch nur von 82 Prozent der Anteilseigner. „Es ist absurd, dass wir zustimmen“, sagte Tüngler. Aber die Verzweiflung sei so groß, dass man keinen anderen Weg sehe. Auch alle anderen Beschlüsse wurden im Sinne von Vorstand und Aufsichtsrat gefasst. Allerdings segneten nur gut 67 Prozent das Vergütungssystem für den Bayer-Vorstand ab. Das sei Grund für eine erneute Überprüfung, kündigte Aufsichtsratschef Winkeljohann an.

Die großen Baustellen

Bayer-Chef Anderson und sein Vorstandsteam betonten nachdrücklich, dass man mit Hochdruck an den gravierenden Problemen arbeite, um „die Hindernisse aus dem Weg zu räumen und Bayer wieder auf einen profitablen Wachstumskurs zu bringen“. Dabei mache man sehr gute Fortschritte, „es ist aber auch noch viel zu tun“, sagte Anderson. 2025 werde nochmal ein schweres Jahr – 2026 soll dann der Turnaround geschafft sein.

Inhaltlich gab es allerdings erwartungsgemäß wenig Neues. Die milliardenschweren Klagen in den USA wegen Glyphosat und mittlerweile auch PCB sollen bis 2026 „signifikant eingedämmt werden“. Allerdings schließt Anderson einen Ausstieg aus dem Geschäft mit dem Unkrautvernichter in den USA mittlerweile nicht mehr aus. „Wir kommen (..) langsam an einen Punkt, an dem uns die Klageindustrie zwingen könnte, die Vermarktung dieses systemkritischen Produktes einzustellen“, sagte Anderson in seiner am Donnerstag vorab veröffentlichten Rede für die Bayer-Hauptversammlung. „Das wollen wir nicht, aber wir müssen uns auf alle möglichen Entwicklungen vorbereiten“, so Anderson.

Wieder nur eine virtuelle Versammlung

Die Beleuchtung in Bayers halb unterirdischem Kommunikationsbau hatte diesmal einen deutlich violetten Touch. In einem Halbkreis versammelten sich alle Vorstandsmitglieder. Dazu kam Norbert Winkeljohann, als Vorsitzender des Aufsichtsrats leitete er die Versammlung. Er hob hervor, dass das Übertragungsformat stetig weiterentwickelt werde. Mit dem Ziel, den Austausch zwischen Aktionären und Vorstand direkter zu machen. Als Ersatz für Publikumsreaktionen, die es durchaus gab, schwebten gelegentlich Emojis über den Bildschirm. Für die bessere Übersicht wurden im Eingangsvortrag von Winkeljohann die entsprechenden Stichworte gezeigt, zum Beispiel „Widerspruchsmöglichkeit“.

Es wurde aber deutlich, dass das vielen nicht reicht. Winkeljohann berichtete von „teils leidenschaftlichen Stellungnahmen“ für Präsenz-Hauptversammlungen, dies es im Vorfeld gegeben habe. Das Thema lag auch deshalb auf dem Tisch, weil der Vorstand eine neue Ermächtigung brauchte, um virtuelle Aktionärstreffen überhaupt in Erwägung ziehen zu können. Sie soll für die beiden kommenden Jahre gelten – und es bewegt sich weiter in diese Richtung, sagte der Chef des Aufsichtsrats. Ein Argument dafür: Bayer habe viele Aktionäre im Ausland. Für die ist ein Treffen im Netz natürlich einfacher. Am Ende stimmten 76 Prozent der Aktionäre dafür. 

Der Belebung der Debatte sollte auch dienen, dass die Reden von Winkeljohann und Vorstandschef Anderson schon vor dem Osterwochenende veröffentlicht wurden. Auch das soll „möglichst viel Raum für den Dialog“ schaffen, so der Aufsichtsratschef.

Überzeugen konnte das nicht: Janne Werning bezeichnete das Internet-Format als „virtuelles Wegducken“ des Vorstands. Anderson und Co. hätten die nächste Chance vertan, in den direkten Dialog mit den Anteilseignern zu treten. Dabei gäbe es angesichts der tiefen Krise, in der Bayer seit Jahren steckt, sehr viel zu besprechen.

Trecker stehen vor Bayers Konzernzentrale in Leverkusen

Bauern aus der Arbeitsgemeinschaft biologische Landwirtschaft haben Trecker mitgebracht.

Der Stellenabbau kostet zunächst mal Geld

Die Zahl der Beschäftigten des Bayer-Konzerns liegt nur noch bei rund 90.000. Trotzdem sind die Personalkosten voriges Jahr gestiegen. Sven Hafkesbrink von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) fragte, wie das sein kann. Die Antwort von Personalvorständin Heike Prinz: Das seien zum größten Teil Abfindungen und Rückstellungen. Rund 7000 Stellen habe Bayer im Verlauf von 2024 abgebaut. Das sind Effekte des Organisationsmodells Dynamic Shared Ownership (DSO), das Bill Anderson von seinem früheren Arbeitgeber Roche in Basel mitgebracht hat. Damit werden diverse Hierarchiestufen in der Bayer-Verwaltung abgebaut. Inzwischen gebe es Abteilungsleiter, die bis zu 80 Beschäftigte unter sich haben, berichtete der Vorstandschef. Er sagte aber, dass es im neuen Modell noch nicht überall rund laufe.

Schreckt die neue Organisation Talente ab?

Der Personal-Sparkurs hat sich im Konzern voriges Jahr mit 500 Millionen Euro bemerkbar gemacht. Ab dem nächsten Jahr soll er sogar zwei Milliarden Euro bringen. Ist ein Unternehmen, das dermaßen auf der Bremse steht und seine gesamte Organisation umwirft, überhaupt noch attraktiv? Auch diese Frage hatte Hafkesbrink mitgebracht. Heike Prinz beschwichtigte: Bayer bemühe sich intensiv um vielversprechende Leute. Und es gebe keine Anhaltspunkte, dass das neue Organisationsmodell abschreckende Wirkung hat. 

Proteste vor der Konzernzentrale

Draußen hatten sich Kritiker postiert, viele aus dem Netzwerk der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“, deren Vertreter später das Wort ergriffen. Auf der Straße ging es um Glyphosat und viele andere Themen, die mit Bayer in Verbindung stehen. Ein aufgepumpter Globus machte deutlich, dass der Konzern weltweit arbeitet – und weltweit Verantwortung trägt. Was da am Freitagmorgen zwischen alter und neuer Konzernzentrale auf der Kaiser-Wilhelm-Allee passierte, bekam kaum hundert Meter weiter aber niemand mehr mit.