Noch nie gab es so viele krankheitsbedingte Fehltage. Was Erschöpfung damit zu tun hat – und wie der Kölner Versicherer Axa gegensteuert.
Historisch hohe KrankenständeWarum so viele Menschen erschöpft sind – und was das für die Wirtschaft bedeutet
Wir müssen essen, trinken und schlafen, um zu überleben. Das lernen wir in unserer ersten Sekunde auf dieser Erde, doch lediglich diese Grundbedürfnisse zu stillen, reicht selten für ein erfülltes Leben aus. Der Psychologe Abraham Maslow hat daher in den 1940er Jahren genauer hingesehen und herausgefunden, wie Menschen ticken, was sie brauchen und wodurch sie sich motivieren lassen. Er skizzierte seine berühmte Bedürfnispyramide: Sie basiert auf der Annahme, dass einige Bedürfnisse wichtiger sind als andere. Essen und trinken zum Beispiel brauchen wir dringender als ein neues Auto. Spannend wird es beim Thema Sicherheit: Sie ist unser zweitwichtigstes Bedürfnis, direkt nach unseren körperlichen Anforderungen. Doch unser Sicherheitsgefühl erodiert gerade - und das wirkt sich immens auf die Arbeitswelt aus.
Die Ära der großen Erschöpfung
Viele Beschäftigte fühlen sich so erschöpft, dass Forscher die Gründe für diese Ära der „Großen Erschöpfung“ untersuchen. Nicht nur Wissenschaftler arbeiten sich an der Erschöpfung ab, auch Unternehmen versuchen zu verstehen, was mit ihren Mitarbeitern los ist und wie sie gegensteuern können. Auf der Personalmesse „Zukunft Personal Europe“, die gerade in den Kölner Messehallen stattfindet, gibt es sogar eine eigene Themenbühne, die sich nur mit Corporate Health beschäftigt, also dem betrieblichen Gesundheitsmanagement.
Dass sich der erste Vortrag auf der Hauptbühne um die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden dreht, zeigt die Brisanz des Themas für Unternehmen und Personalabteilungen. Laut einer 2023 veröffentlichten Studie des „McKinsey Health Institute“ klagen 37 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland über körperliche und geistige Erschöpfung. Die Techniker-Krankenkasse hat ermittelt, dass jede dort versicherte Erwerbsperson im Jahr 2023 im Schnitt 19,4 Tage arbeitsunfähig war – davon 3,59 Tage unter der Diagnose einer psychischen Störung. Neben den Folgen der Coronabeschränkungen werden von den Ärzten allgemein die Auswirkungen auf die aktuellen Krisen genannt, aber auch erhöhter Arbeitsdruck und wirtschaftliche Sorgen.
Fehlerkultur vermittelt Sicherheit
Und hier sind wir wieder beim Thema Sicherheit. Es herrscht Krieg in Europa und im Nahen Osten. Sicher geglaubte Arbeitsplätze fallen weg – wie beim Volkswagen-Konzern, der gerade sein seit drei Jahrzehnten bestehendes Versprechen zur Jobsicherheit aufgekündigt hat. Die Covid-Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell unsere Gesundheitssysteme, unsere Körper und das freie Leben an seine Grenzen gerät.
„Sicherheit ist ein Grundbedürfnis, das nicht stabil ist“, sagt Nina Weigel, Konzernpersonalleiterin beim Kölner Versicherer Axa. Sie beschäftigt sich unter anderem damit, die Unternehmenskultur so zu entwickeln, dass sie die Mitarbeitenden sicher fühlen. „Psychologische Sicherheit kann etwa durch eine Feedbackkultur entstehen, in der Mitarbeiter ihre Probleme thematisieren können, ohne dafür stigmatisiert zu werden.“
Wie ein Eimer, der bald überläuft
Psychische Belastungen gab es immer schon. Doch warum sind gerade jetzt so viele Menschen erschöpft? Die Psychologin Eva Elisa Schneider, die inzwischen Unternehmen in Sachen mentaler Gesundheit berät, bemüht das Bild eines Eimers: „Oben fließt alles rein, was uns im Alltag belastet. Unten im Eimer sind Löcher drin, durch die die Belastungen abfließen“, sagt sie. Durch die zunehmenden Krisen wird immer mehr Sand in den Eimer geschüttet, die Löcher verstopfen, die Menschen können sich nicht mehr so einfach entlasten wie früher und sind dauerhaft angespannt. „Wir fürchten, dass unser Eimer jederzeit überlaufen könnte.“
Damit der Eimer nicht überläuft, bietet die Axa ihren Mitarbeitern unter anderem Lernzeit an. Wie können sie künstliche Intelligenz so einsetzen, dass sie die gesteigerten Anforderungen bewältigen können? Was können sie weglassen? „Ich sage den Mitarbeitern immer: Diese Veränderung, diese Geschwindigkeit, die wird nicht abnehmen oder weggehen. Wir müssen lernen, damit umzugehen und Vehikel finden, wie wir resilienter werden und Mechanismen etablieren, wie wir das gut handeln können“, so Weigel.