In keinem anderen Bundesland müssen mehr Brücken ersetzt und erneuert werden. Bei 800 Bauwerken gibt es keinen Aufschub mehr.
IHK-Präsident fordert Tempo„Unsere Straßen sind eines der größten Risiken für die Wirtschaft“

Kölner Sorgenkind: Ein Ende der Sanierung der Mülheimer Brücke ist nicht in Sicht.
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Am liebsten hätte Ralf Stoffels, Präsident der Industrie- und Handelskammer NRW, die Journalisten im Düsseldorfer Landtag eine Stunde warten lassen, um ihnen die Dringlichkeit des Themas zu dokumentieren. Er kommt aus Südwestfalen, dessen Industriebetriebe an der Rahmede-Talbrücke bei Lüdenscheid immer noch Tag für Tag eine Million Euro im Stau verbrennen. Auch sein Mitstreiter Werner Schaurte-Küppers verheddert sich im „sehr Industrie starken, aber leider durch die marode Infrastruktur gebeutelten Duisburg“ nahezu täglich im Spaghetti-Knoten Kaiserberg.
Ihre Botschaft, die sie samt einer Studie der RWTH Aachen im Gepäck haben, ist klar und deutlich: Es geht alles nicht schnell genug. Auch wenn der erste Teil der Rahmede-Talbrücke vermutlich schon im Frühjahr 2026 für den Verkehr freigegeben werden kann – und damit ein halbes Jahr früher als ursprünglich geplant.
Zahlen sind laut IHK alarmierend
Wie dramatisch ist die Verkehrslage in NRW? Was kann getan werden? Was muss sofort getan werden? Die Ergebnisse der RWTH-Analyse enthalten zwar keine brandneuen Zahlen, sind aus Sicht der 16 Industrie- und Handelskammern in NRW aber alarmierend. Rund 2500 Brücken in NRW sind marode, fast 800 davon gelten als mangelhaft. Für 1849 dieser Brücken ist der Bund verantwortlich, 590 befinden sich in der Zuständigkeit des Landes.
Mehr als 30 Prozent der Autobahnbrücken sind sanierungsbedürftig. In Bayern sind es nur 9,8 Prozent, in Rheinland-Pfalz 14,1 Prozent. Die IHK-Untersuchung zeige, sagt Stoffels, dass in NRW der Handlungsdruck am größten ist. „In keinem anderen Bundesland müssen mehr Brücken ersetzt oder erneuert werden. Besonders die Autobahnen sind betroffen.“ Aber auch das Land sei gefordert, schließlich stünden Unternehmen und Verkehrsteilnehmer nirgendwo in Deutschland länger im Stau. „Unsere Straßen waren lange ein Standortvorteil – heute sind sie eines der größten Risiken für die Wirtschaft. NRW ist einmal mehr Stauschlusslicht“, sagt Stoffels. „Für unsere Unternehmen ist die Erneuerung der Verkehrswege eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung. Die Schäden für Wirtschaft und Umwelt gehen in die Milliarden.“
18 Monate für die Genehmigung einer Sprengung
Das geplante Sondervermögen des Bundes für die Infrastruktur von 500 Milliarden Euro sei zwar von entscheidender Bedeutung, müsse aber nicht nur für Straßen und Schienen, sondern auch für den Ausbau der digitalen Infrastruktur und der Energienetze genutzt werden. „Investitionen in die Infrastruktur sind gut angelegt. Denn in der Summe muss NRW deutlich mehr Geld vom Bund bekommen, um die Struktur zu erhalten“, sagt Stoffels. „Daher dürfen keinesfalls die Haushaltsmittel für Investitionen insgesamt zurückgefahren werden. Doch Schulden ersetzen keine solide Wirtschaftspolitik.“ Das geplante Sondervermögen müsse unbedingt durch ein umfassendes Reformpaket flankiert werden, so der IHK-NRW-Präsident. „Wir brauchen den Abbau von Bürokratie, also noch viel mehr Geschwindigkeit bei Planungs- und Genehmigungsverfahren für unsere Infrastrukturen.“
Was damit gemeint ist, macht er erneut am Beispiel der Rahmede-Talbrücke deutlich. „Auch wenn wir jetzt vor dem Zeitplan liegen, waren wir nicht superschnell. Wir haben allein 18 Monate dafür gebraucht, eine Genehmigung für die Sprengung der alten Brücke zu bekommen. Das ist zwar ein Einzelfall, aber wir sollten aus jedem Einzelfall lernen.“
In NRW komme es neben der Beschleunigung der Verfahren vor allem darauf an, die Lebensdauer der alten Bauwerke zu verlängern. Ziel müsse es sein, die Brücken unter Verkehr zu halten, heißt es in der Studie der RWTH Aachen. „Insbesondere die Aufrechterhaltung der Lkw-Verkehre ist für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Denn der Wirtschaftsverkehr bestimmt einen sehr großen Teil des Verkehrsnutzens einer Brücke. Das gilt auch, wenn der Anteil des Lkw-Verkehrs unter zehn Prozent liegt.“ Nach Angaben der Experten gebe es durchaus Möglichkeiten, „plötzliche Sperrungen für den Schwerlastverkehr oder schlimmstenfalls eine Vollsperrung weitestgehend“ zu vermeiden und die Brücken bis zur Sanierung offenzuhalten.
Zustandsdaten aller 25.000 Brücken in NRW digital erfassen
Die IHKs fordern, Planungs- und Bauzeiten zu halbieren. Beim Bau habe sich die funktionale Ausschreibung zuletzt bei der Haarbachtalbrücke in Aachen als sehr effizient herausgestellt. Dabei werden im Gegensatz zum klassischen Weg, bei der jedes Gewerk einzeln vergeben wird, komplette Bauteile zusammen beauftragt. „Wenn wir dann noch Beschleunigungsprämien anbieten, ist schon viel gewonnen“, sagt Stoffels.
Auf Dauer müsse NRW auch das Erhaltungsmanagement verbessern, fordert die IHK. Zu rund 13.000 Brücken, für die Bund und Land zuständig seien, kommen laut Studie weitere 12.000 Brücken, die Städten und Gemeinden gehören. Über deren Zustand sei wenig bekannt, die Informationen über die Landesbrücken auch nicht frei zugänglich. Wenn man den Verkehr landesweit besser managen wolle, müssten alle Daten einheitlich erhoben werden und frei zugänglich sein. „Bei der Rahmede-Talbrücke hat man eine Umleitung eingeführt, die aber für Lkw gesperrt ist“, sagt Stoffels. Ziel müsse es sein, langfristig alle wichtigen Informationen und Zustandsdaten der Brücken in einem System zusammenzuführen und die Abstimmung zwischen den Baulastträgern zu verbessern.