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Interview Serap Güler„Wir finanzieren mit unseren Gaszahlungen Putins Krieg mit“

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Serap Güler spricht sich gegen die Wehrpflicht aus.

  1. Serap Güler (CDU) bemängelt die Ausrüstung der Bundeswehr. Von einer allgemeinen Wehrpflicht hält sie nichts.
  2. Die Politikerin aus Köln plädiert dafür, kein russisches Gas mehr zu importieren.
  3. Steigende Energiepreise sollten ihrer Meinung nach durch Mehrwertsteuersenkungen und das Senken der Energiesteuer abgefedert werden.

Die Bundeswehr wurde in den vergangenen Jahrzehnten zu einer weltweiten Krisenfeuerwehr umgebaut. Was könnte Deutschland heute einem russischen Angriff entgegensetzen?Vorsicht mit solchen Fragen. Ein derartiges Szenario ist sehr unrealistisch. Auch wenn Putin vieles zuzutrauen ist, aber ein Angriff auf Deutschland wäre ein NATO-Bündnisfall. Wir würden also nicht alleine dastehen. Ich verstehe aber, was Sie meinen. Der materielle Zustand unserer Bundeswehr ist alles andere als optimal. Die Bundeswehr war in den vergangenen Jahrzehnten vor allem eine Stabilisierungsarmee. Unsere Stärke liegt in der guten Ausbildung der Soldaten. Deswegen halte ich es für einen Fehler, die Bundeswehr klein zu reden. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass die Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten oder auch der Zustand und die Anzahl der Großgeräte in einem nicht guten Zustand sind. Abwehrbereitschaft ist aber auch eine Frage der Moral. Das stellt die von der Ausrüstung her unterlegene ukrainische Armee gerade eindrucksvoll unter Beweis.

Der Afghanistan-Einsatz war in den vergangenen Jahren der Maßstab aller Anstrengungen, was Personalstärke, Bewaffnung und Ausrüstung für die Bundeswehr angeht. Was ist jetzt zu tun?

Mit einer reinen Stabilisierungsarmee wird es uns nicht gelingen, unsere Freiheit zu verteidigen. Jetzt geht es zunächst darum, die persönliche Ausrüstung unserer Soldaten zu verbessern. Natürlich müssen auch die Waffensysteme ergänzt und modernisiert werden. Da müssen jetzt schnelle Entscheidung her, auch was die Nachfolge der Tornado-Kampfjets oder den Kauf schwerer Transporthubschauber betrifft. Die Beschaffung dauert heute viel zu lange, weil das Vergaberecht zu kompliziert und bürokratisch ist - das muss definitiv mit als erstes vereinfacht werden.

Wie konnte es zu der Situation kommen?

Trotz aller Krisenherde haben Politik und Gesellschaft in Deutschland die Möglichkeit verdrängt, dass Europa zu einem Krisenherd werden könnte. Wer angesichts der Bilder aus Grozny und Aleppo eine Aufrüstung der Bundeswehr forderte, wurde als ewig gestriger Kriegstreiber beschimpft. Eine Nähe zum Militär zu haben, war politisch nicht korrekt. Die Ankündigung eines Sondervermögens der Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro, hätte doch bis vor ein paar Wochen noch Massenproteste ausgelöst. Putin hat unsere Naivität eiskalt ausgenutzt. Wir haben übersehen, dass der hybride Krieg, den Putin gegen uns führt, schon lange begonnen hat.

Wie meinen Sie das?

Putin hat das Ziel, Europa zu spalten. Er setzt darauf, dass die Flüchtlingsströme die Staaten auseinanderdividieren, so wie das 2015 beim Syrienkrieg der Fall war. Damals sind die meisten Flüchtlinge in die Türkei oder in den Libanon geflohen, heute sind wir die Nachbarn. Auch die Schaffung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von Gaslieferungen gehörte mit zu seiner Strategie. Zudem greift Putin den Westen seit längerem mit einem Desinformationskrieg oder Cyberattacken an, was allerdings schwer zu beweisen ist. Deswegen müssen die 100 Milliarden Euro auch dazu genutzt werden, die Cybersicherheit und die Digitalisierung in der Bundeswehr voranzutreiben.

Was sagen Sie zu Forderungen von SPD und Grünen, auch die Energie- und Entwicklungspolitik müsse aus dem 100-Milliarden-Topf gefördert werden?

Davon halte ich nichts. Das Thema Energieabhängigkeit und der Umgang mit den Flüchtlingen muss gesondert von dem Investitionspaket betrachtet werden. Unser Fokus muss sich jetzt ganz klar auf die Ausrüstung der Bundeswehr richten. Die Truppe muss so schnell wie möglich neu aufstellt werden, um unsere Landes- und Bundesverteidigung sowie Bündnisfähigkeit sicher zu stellen. Dafür sollten wir uns eine Frist von maximal fünf Jahren setzen. In diesem Zeitraum muss es gelingen, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr signifikant zu verbessern.

Experten berichten, dass in NRW derzeit nur noch 44 einsatzbereite Leopard-2- Kampfpanzer stationiert sind. Beängstigt Sie das?

Natürlich bin ich über den derzeitigen Status Quo erschüttert. Die Bundeswehr verfügt nur in einem sehr überschaubaren Rahmen über einsatzfähige Großgeräte. Aber Angst macht mir das nicht. Wir müssen vorsichtig sein, Angst zu schüren. Das gehört ja zu Putins psychologischer Kriegsführung. Wir sollten jetzt einen klaren Kopf behalten und die nötigen Schlussfolgerungen aus der Bedrohungslage ziehen.

Eine Schlussfolgerung könnte sein, die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen...

Davon rät man in der Truppe aber ab. Die Schaffung der Strukturen für eine allgemeine Wehrpflicht würde jetzt zu viel Kräfte binden. Abgesehen davon ist die nötige Infrastruktur, wie zum Beispiel Übungsplätze und Kasernen, nicht hinreichend vorhanden. Jetzt kommt es darauf an, in Technik zu investieren, um die Bündnisfähigkeit herzustellen, nicht in die Aufstellung von neuen Divisionen.

Die Bundeswehr verfügt derzeit über rund 180000 Soldaten. Reicht diese Stärke denn aus?

Ich halte eine Aufstockung um 20.000 auf 200.000 Soldaten für ausreichend. Sie müssen berücksichtigen, dass wir auch noch über 900.000 Reservisten verfügen. Deswegen geht die Einführung einer Wehrpflicht am Thema vorbei. Ich wäre aber dafür, ein allgemeines Dienstjahr einzuführen, in dem junge Menschen sich auch sozial engagieren könnten.

Wie stehen Sie zu Waffenlieferungen an die Ukraine?

Eins muss klar sein: Wir müssen das Recht auf Selbstverteidigung der Ukraine unterstützen - auch mit Waffenlieferungen, so wie es die Bundesregierung jetzt auch tut. Dennoch müssen wir aufpassen, dass nicht selbst zu Kriegspartei werden. Deswegen bin ich froh, dass die Lieferung von MiG-Kampfjets aus Polen jetzt erstmal vom Tisch zu sein scheint. Sicherheitsrelevante Überlegungen, wozu auch Waffenlieferungen gehören, sollten vielmehr in den zuständigen Gremien, wie dem Sicherheitsrat der Bundesregierung, der geheim tagt, geführt werden - und nicht öffentlich. Man muss die Dinge immer vom Ende her Denken. Niemand kann ein Interesse daran haben, einen 3. Weltkrieg vom Zaun zu brechen.

Es bleibt uns also nur, tatenlos zuzusehen, wie Putin seinen Angriffskrieg auch gegen Zivilisten führt?

Nein. Wir müssen die Ukraine unterstützen. Das tun wir aber auch. Ich setze auch darauf, dass die Sanktionen wirken. Wir müssen auch über weitere Schritte reden. Es wäre unglaubwürdig und der internationalen Reputation von Deutschland abträglich, wenn die Bundesregierung sich nicht einem Gas-Embargo entschließen würde. Ich glaube zwar nicht, dass die Panzer stehen bleiben würden, wenn Deutschland kein Gas mehr aus Russland bezieht. Aber wahr ist auch, dass wir Putins Krieg jeden Tag mit unseren Gas-Zahlungen mitfinanzieren.

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Ein Embargo führt aber dazu, dass die Energiepreise noch weiter ansteigen.

Das stimmt. Deswegen muss Finanzminister Lindner jetzt weitere Schritte ermöglichen, um die Verbraucher zu entlasten. Die Spirale steigender Energiepreise muss durch Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent und das Senken der Energiesteuer gestoppt werden. Wir haben es hier mit einer historischen Krisensituation zu tun, ähnlich wie bei der Pandemiebekämpfung. Der Staat nimmt durch die hohen Spritpreise ja auch mehr Steuern ein. Das muss Finanzminister Lindner den Pendlern durch Steuersenkungen zurückzahlen.

Wie muss der Westen mit Putin umgehen?

Was Putin von der Ukraine verlangt, ist nichts anderes als eine Kapitulation. Daher wäre es naiv, ihm eine Brücke zu bauen. Alle Brücken, die wir ihm in den letzten Jahren gebaut haben, hat er mit seiner Invasion gesprengt. Die einzigen, die Putin jetzt stoppen können, sind wohl China oder sein eigenes Volk.