Kamera im KinderzimmerWie Eltern ihre Kinder kontrollieren

Wenn Henri in seinem Zimmer Hausaufgaben macht, können seine Eltern das sehen – über die installierte Kamera.
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Köln – Wenn Isabelle K. wissen will, wo ihr Sohn Henri gerade ist, drückt sie auf ihrem Smartphone auf „Lokalisieren“. Da der Neunjährige eine Armbanduhr mit GPS-Tracker trägt, eine Smartwatch für Kinder, wird ihr der genaue Aufenthaltsort samt Landkarte mit Straße und Hausnummer sofort angezeigt.
Henri selbst merkt in diesem Moment nichts davon. „Uns ist es nicht leicht gefallen, ihn alleine zur Schule gehen zu lassen. So fühlen wir uns einfach sicherer. Das ist vor allem eine Sache für unseren Kopf“, sagen seine Eltern. Dank der Uhr haben sie kein Problem mehr, den Neunjährigen mit einem Freund im nahe gelegenen Park spielen zu lassen.
Smartwatches für die Jüngsten
Immer mehr Eltern halten es für normal, ihren Nachwuchs digital zu überwachen. Smartwatches für die Jüngsten boomen genauso wie Kontroll-Apps auf dem Smartphone. Mit ihren immer ausgefeilteren digitalen Angeboten appellieren die Hersteller an die Ängste der Eltern.

Mit dem mittleren Knopf der Uhr lässt sich ein Notruf an die Smartphones der Eltern schicken.
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Die erfolgreichen Verkaufsargumente: Mehr Schutz für das Kind, weniger Sorgen für die Eltern. Nicht nur technikbegeisterte oder überbesorgte Mütter und Väter gehören zu den Käufern.
Auch die breite Masse setzt inzwischen auf „Wearables“: Von den tragbaren digitalen Datenspeichern wurden nach Informationen des Statistikportals Statista im Jahr 2016 weltweit 102,4 Millionen verkauft. Das sind 25 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Kontrolle schon in der Krippe
Bei vielen Familien ist die digitale Kontrolle längst im Kinderzimmer angekommen. Der Startschuss fällt manchmal schon wenige Tage nach der Geburt. Etwa dann, wenn sich die jungen Eltern beim Anblick ihres schlafenden Babys fragen: „Lebt es überhaupt noch?“ Beruhigung verspricht hier „Snuza Hero“, ein Plastik-Clip aus Südafrika für etwa 170 Euro, der an die Windel gesteckt wird und Daten über Atmung und Schlafposition des Babys auf das elterliche Smartphone sendet.
„Mon Baby“ aus den USA hat die Maße eines großen Knopfes, kostet 100 Dollar und wird am Strampler befestigt. Der Monitor informiert über kleinste Bewegungsveränderungen des Kindes. In Deutschland sind die Sensormatten von „Angel Care“ sehr beliebt. Die Unterlage auf der Matratze überwacht den Baby-Schlaf und soll vor plötzlichem Kindstod schützen.

„Mon Baby“ wird an den Strampler geklippt und sendet die Bewegungsdaten des Babys auf das Smartphone der Eltern.
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Babyphones mit Kamera-Display, die das Livebild des schlummernden Kindes anzeigen, gehören heute schon fast zur Standard-Ausstattung. Viele Eltern finden diese Angebote praktisch und beruhigend. Andere halten sie für teuer und überflüssig.
GPS-Uhren für Schulkinder
Spätestens, wenn die Kinder im Schulalter sind, werden viele Eltern dann doch schwach. Ein Großteil hat wie Familie K. ein mulmiges Gefühl dabei, ihr Kind alleine zur Grundschule oder nachmittags zu Freunden gehen zu lassen. Daher liegt immer öfter eine GPS-Uhr auf dem Geburtstagstisch.
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Viele dieser Armbanduhren haben eine Telefonfunktion und ein eingebautes Mikrofon, mit dem die Eltern die Gespräche ihrer Kinder mithören können. Den exakten Standort ermitteln können sie alle. „Damit Sie immer wissen, wo Ihr Liebling ist“, wirbt der deutsche Anbieter „Wo ist Lilly?“.
Ursprünglich hatte sich das Unternehmen auf die Ortung von Hunden und Katzen spezialisiert, inzwischen ist es erfolgreich in den Markt für digitale Kinderprodukte eingestiegen. Und der wird immer lukrativer. Die Modelle funktionieren alle ähnlich: Meist gibt es einen Notknopf, den der Nachwuchs drücken kann und dessen Signal sofort an das Smartphone der Eltern geht.

Die Armbanduhr des Neunjährigen ist eine Smartwatch.
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Henri ist der Einzige in seiner Klasse mit solch einer Uhr. Bisher hat der Neunjährige den Knopf noch nie gedrückt. Doch mit seinen Eltern telefoniert er regelmäßig über die Uhr. Zusätzlich lässt sich bei manchen Modellen die „Geozaun-Funktion“ einrichten, mit der Nutzer einen bestimmten Bereich auf der örtlichen Landkarte markieren. Verlässt das Kind das Territorium, klingelt Mamas oder Papas Handy.
Einige Geräte verfügen auch über einen Schritt- oder Kalorienzähler. So haben die Großen Einblick in das Bewegungs- und Ernährungsverhalten der Kleinen.
Kontroll-Apps auf dem Handy
„Soweit würden wir nicht gehen“, beteuern viele Eltern. Und laden sich dann irgendwann doch eine der vielen Kontroll-Apps aufs Handy. Weil sie wissen wollen, was der Nachwuchs im Internet so alles macht. Beliebt ist „Mama Bear“, eine App, an der nur der Name harmlos klingt.
Mit dem Programm können Eltern die Aktivitäten des Kindes in den sozialen Netzwerken kontrollieren, etwa auf Facebook und Instagram. Sie können alle ein- und ausgehenden Textnachrichten mitlesen und bekommen eine Mitteilung, sobald das Kind vorher festgelegte, verbotene Wörter benutzt.
Oder sie werden benachrichtigt, wenn der Fahranfänger eine zuvor festgelegte Geschwindigkeit überschreitet. Andere elterlichen Kontroll-Apps wie „My mobile Watchdog“ oder „Qustodio“ funktionieren ähnlich. Oft sogar heimlich und von den Kindern unbemerkt.
Rechtlich bewegen sich die Schnüffler-Apps in einer Grauzone. Zwar haben auch Jugendliche das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also über die Preis- und Weitergabe ihrer personenbezogenen Daten selbst zu bestimmen. Doch welcher Teenager klagt schon gegen seine Eltern?
Pädagogen sehen Überwachung kritisch
Viele Pädagogen sehen die elterliche Überwachung kritisch. Apps dieser Art beschädigten das Vertrauen in den Eltern-Kind-Beziehungen. „Sie erzeugen eine Atmosphäre der Angst. Und verstärken bei Kindern und Eltern das Gefühl, sie lebten in einer so gefährlichen Welt, dass ständige Kontrolle erforderlich ist“, heißt es beim Deutschen Kinderschutzbund.
Überzeugte Eltern halten dagegen, dass ihre Kinder dank der digitalen Kontrolle einen viel weiteren Radius hätten. Familie K. hat vor knapp zwei Jahren sogar Kameras in ihrer Wohnung installiert. „Wir arbeiten beide lange, da tut es gut, sein Kind auf dem Handy zu sehen, wenn es aus der Schule kommt.“

Wenn Henri zu Hause klingelt oder die Tür aufschließt, sehen seine Eltern das auf dem Smartphone. In der Klingel ist eine Kamera installiert.
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Dauerbeobachtung sei das nicht, „ich gucke nur immer mal wieder kurz rein“, sagt Isabelle K. Wenn Henri einen Freund zu Besuch hat, kann die Mutter über die Kameras Anweisungen geben: „Jungs, jetzt trinkt mal was!“ oder „Henri, bring den Ranzen in dein Zimmer!“
Überwachte Kinder werden häufiger depressiv
„Wenn er etwas dagegen hätte, würden wir das nicht machen“, sagt Vater Thomas K. „Henris Privatsphäre respektieren wir. Wenn er will, kann er jeder Zeit den Stecker ziehen.“ Der Neunjährige selbst scheint kein Problem mit der Überwachung zu haben, er findet das normal. „Meine Eltern wissen eben, was ich mache.“ Ob er sich beobachtet fühlt? „Ja, das schon.“
Wenn ein Kind dauerüberwacht wird, geht das nicht spurlos an ihm vorbei. Bei einer Studie der University of Mary Washington in den USA aus dem Jahr 2013 wurden knapp 300 junge Leute untersucht. Das Ergebnis: Studenten, die erzählten, dass ihre Eltern sie übermäßig kontrolliert hätten, wiesen in ihrem späteren Leben häufiger eine Depression auf und waren weniger zufrieden.
Und trotzdem: Der Markt der Kontroll-Apps wird immer ausgefeilter. „Ignore no more“ etwa wurde von einer Mutter in den USA entwickelt, die sich darüber aufgeregt hatte, dass ihre Kontaktversuche und Anrufe von ihren Teenagern ignoriert wurden. Ihre App sperrt das Handy des Kindes so lange, bis sich dieses bei den Eltern zurückmeldet.
Spielzeug, das überwacht
Noch fragwürdiger als so manche App ist Kinderspielzeug, das mit digitalen Datentrackern ausgestattet ist, „Smart Toys“. Anfang des Jahres wurde von der Bundesnetzagentur die Puppe „My Friend Cayla“ in Deutschland verboten.
In dem Plastikmädchen mit den blonden Haaren und den großen Augen steckt ein Mikrofon, das Fragen und Gespräche der Kinder aufnimmt. Diese werden ins Internet gesendet, um eine Antwort der Puppe zu ermöglichen. Eltern, die die Puppe gekauft haben, wurden aufgefordert, diese getarnte, sendefähige Anlage „unschädlich zu machen“ und zu entsorgen.
Denn theoretisch könne sich jeder im Empfangsbereich der Puppe per App mit dieser verbinden, mit einem einfachen Trick, das Mikrofon aktivieren – und Cayla so in eine Wanze verwandeln.