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Bei vollem GehaltSo funktioniert die Vier-Tage-Woche für alle Angestellten

Lesezeit 3 Minuten
Agentur Young and Hyperactice vier Tage Woche

Freitags bleibt das Büro der Kölner Digitalagentur leer, für Notfälle gibt es einen Telefondienst.

  1. Viele Arbeitnehmer träumen davon, die Kölner Agentur Young & Hyperactive erfüllt diesen Wunsch: Freitag haben alle Mitarbeiter frei, bekommen aber das gleiche Gehalt wie vorher.
  2. Wie hat sich der Arbeitsalltag verändert? Wie reagieren die Kunden? Welche ähnlichen Ideen gibt es, die Arbeitswoche zu verkürzen?
  3. Ein Bonner Arbeitsforscher hält dieses Modell der neuen Arbeitswelt für eine Mogelpackung.

Köln – Die Arbeitswoche hat fünf Tage, der Arbeitstag acht Stunden. Am Freitagnachmittag macht sich überall kribbelige Wochenendstimmung breit, am Montagmorgen schlurfen die Kollegen mit hängenden Schultern zurück an den Schreibtisch. „Ich finde das rückständig“, sagt Nadine Mohr in der weiß-gestrichenen offenen Küche ihrer Kölner Agentur Young & Hyperactive. „Alle machen das in Deutschland so. Keiner hinterfragt das System.“ Sie schon.

Deshalb haben in ihrer 2016 gegründeten Agentur am Freitag alle frei. Die Wochenarbeitszeit wurde von 40 auf 36 Stunden reduziert – bei gleicher Bezahlung und gleichen Urlaubstagen. Der zusätzliche freie Tag trägt für Mohr enorm zur Lebensqualität bei. Die eine Stunde mehr Arbeit am Tag spüre sie hingegen kaum, sagt sie. Auch ihre Kunden würden durchweg positiv auf die Regelung reagieren: „Wir kommunizieren unser Vier-Tage-System gleich beim ersten Treffen. Viele Kunden sind ganz offen, finden das cool und sehen uns als Vorbild.“

Routine hat der moderne Angestellte Maschinen überlassen

Außerdem haben ihre Angestellten Gleitzeit und arbeiten bei Bedarf von Zuhause aus. In der flexiblen Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts mittlerweile Normalzustand. Anders geht es in Zeiten der Digitalisierung auch nicht mehr, ist sich Hilmar Schneider vom Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit sicher. Der moderne Angestellte hat die routinierten Tätigkeiten, die an Ort und Stelle erledigt werden müssen, den Maschinen überlassen und übernimmt zunehmend die kreativen, kommunikativen und eigenverantwortlichen Denkaufgaben.

Portrait_Nadine Mohr_Vier-Tage-Woche

Nadine Mohr hat als Geschäftsführerin die Arbeitszeiten in ihrer Agentur reduziert.

Um den Menschen für die herausfordernde Kopfarbeit genug Regenerationszeit einzuräumen, hat der Chef der Bielefelder IT-Agentur Rheingans Digital Enabler, Lasse Rheingans, die tägliche Arbeitszeit von acht auf fünf Stunden reduziert. Ebenfalls für ein Vollzeitgehalt und bei gleichbleibender Arbeitsbelastung.

Smalltalk und Handynutzung während der Arbeitszeit weglassen

„Es ist eine viel konzentriertere und fokussierte Arbeitsweise“, sagt Unternehmenssprecherin Janine Kunz. Die verkürzte Arbeitszeit hätte außerdem das Miteinander der 17 Kollegen gestärkt: „Alle ziehen an einem Strang und jeder hilft sich.“ Außerdem spare man viel Zeit, in dem man den Smalltalk und die private Handynutzung minimiere.

Schneider hält die scheinbar progressiven Vorstöße der beiden Agenturen für eine Mogelpackung. „Moderne Arbeitszeit ist einfach nicht mehr messbar“, sagt der Arbeitsforscher. „Gerade in kreativen Tätigkeiten ist es unmöglich, die Arbeit in ein Zeitkorsett zu zwängen.“ Wer abends beim Joggen noch über ein Geschäftsproblem nachdenkt, arbeitet.

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Deshalb sei sowohl der halbe Arbeitstag als auch die Vier-Tage-Woche eine Illusion. „Ob jemand eine gute Work-Life-Balance hat, hängt nicht davon ab, wie lange er im Büro ist oder ob er abends beim Tatort noch eine E-Mail beantwortet. Sondern von der Freiheit, das zu tun – oder eben nicht.“ Problematisch sei es für diejenigen, die mit der erzwungenen Freiheit nicht umgehen können.

„Moderne Arbeit macht sich am Ergebnis und nicht an der Zeit fest“

Das sieht Mohr von der Kölner Agentur ähnlich. „Flexibles Arbeiten ist nicht für jeden Mitarbeiter geeignet.“ Wer aber gerne eigenverantwortlich arbeitet, braucht ein Wochenende und möglichst Zeit, sich von der Verantwortung zu erholen. Diese möchte Mohr ihrem Team mit der neuen Arbeitszeit ermöglichen.

Schneider plädiert aus wissenschaftlicher Sicht für ein anderes Modell: Präsenzzeit verkürzen und Überstunden pauschal vergüten. Ähnlich wie bei Lehrern, deren Aufgaben außerhalb des Unterrichts in die Arbeitszeit miteinberechnet sind. „Wir haben in Deutschland schon das Modell der Vertrauensarbeitszeit. Moderne Arbeit macht sich am Ergebnis und nicht an der Zeit fest.“