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Neue ArbeitsweltenSo schaffen es drei Pioniere, zu arbeiten wie und wo sie wollen

Lesezeit 7 Minuten

Sie hat das Wohnmobil gegen ein festes Zuhause getauscht: Carolin Ballweg berät als digitale Nomadin Unternehmen über flexible Arbeitsmodelle.  

  1. Von neun bis 17 Uhr im Büro? Immer mehr Menschen legen Wert auf individuelle Arbeitsstrukturen, die der Persönlichkeit und der Familie Rechnung tragen.
  2. Wir haben zum Start unserer neuen Serie drei Pioniere besucht, die alles anders machen wollen.

Köln/ Bergisch Gladbach – Wenn Judith und Markus Klups im Kundengespräch sind, dann kann es schon mal sein, dass eine bekannte Stimme sie unterbricht. „Die Windeln sind aus“, sagt die Mutter von Markus. Sie ruft einfach über den Flur. Denn die Klups tagen in ihrem Wohnzimmer in Bergisch Gladbach. Und ihre Kunden sind es gewohnt, dass dort, wo Meetings und Beratungen stattfinden, die Klups gleichzeitig auch mit ihren Kindern Rosa (5) und den Zwillingen Mika und Levi (3) wohnen. Dass das Wohnzimmer irgendwie auch immer Arbeitszimmer ist. Mit inzwischen acht weiteren Mitarbeitern sind die beiden die „Zukunftsagenten“.

Wenn man durch die Wohnsiedlung in Bergisch Gladbach geht, vermutet man zwischen bunt bepflanzten Vorgärten erstmal keine Unternehmensberatung. Hinter der Nummer 85 aber verbirgt sich genau das: Büros, ein Stockwerk höher die privaten vier Wände der fünf Klups. Unten Schreibtische und Tastaturen, oben Hochzeitsfotos und Kinderbilder.

Arbeitswelten

Die Art, wie wir arbeiten, verändert sich. In unserer vernetzten Welt können Arbeitszeiten und -orte neu gedacht werden. In unserer digitalisierten Welt werden Menschen durch Maschinen ersetzt, während andernorts neue Berufsbilder entstehen.

In unserer Serie „Arbeitswelten“ begleiten wir von nun einmal wöchentlich Menschen und Unternehmen in Nordrhein-Westfalen in der veränderten Arbeitswelt. Und wir schauen, wie sie unser Leben beeinflusst. (elb)

Mit der engen räumlichen Verzahnung von Beruf, Leben und Wohnen haben sich die Unternehmer ein Werkzeug geschaffen, das ihnen die Arbeit leichter macht. Das Motto: „New Work“. Neue Arbeitsformen müssen sich dem Leben anpassen, nicht anders herum. „Wenn meine Kinder um 16 Uhr Sankt Martinsumzug haben, möchte ich auch dabei sein. Dafür möchte ich nicht vier Wochen vorher einen Urlaubstag einreichen und meine Mitarbeiter sollen das auch nicht müssen“, sagt Judith Klups.

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Judith und Markus Klups wollten Freizeittermine und Kinderspielzeug nicht gegen ihren Beruf eintauschen – und vereinbaren deshalb alles unter einem Dach.

Partnerschaftliche Arbeitsteilung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden immer öfter zum Thema. Diese Einschätzung teilt auch Claudia Weinkopf, stellvertretende Geschäftsführerin am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ). „Trotzdem halte ich flexible Arbeitsformen nicht für einen generellen Trend. Das hängt ganz vom Tätigkeitsbereich ab. In punkto Effizienz aber sollten sich die Unternehmen das durchaus überlegen. Und wenn Beschäftigte die Wahl haben, werden sie sich immer eher für eine flexible Arbeitsform entscheiden.“

Brainstorming auf Servietten

Die Idee Arbeit und Leben zu verzahnen, hat das Ehepaar lange ehe das erste Kind geplant ist. Als sie sich 2007 kennenlernen, arbeitet Judith als Diplompsychologin, Markus als Kaufmann im Vertrieb. Für beide war schnell klar: „Jeden Tag von 9 bis 18 Uhr komplett fremdbestimmt arbeiten, in Anzug und Krawatte im Büro sitzen, das kann es doch noch nicht gewesen sein“, sagt Markus. Schon beim ersten Date hatten sie kaum ein anderes Thema: „Immer wieder haben wir darüber diskutiert, wie man Arbeit flexibel gestalten kann und dass das jetzige System doch dauerhaft nicht funktionieren kann.“ Zwölf Jahre später leben die beiden ihren Beruf, wie sie ihn sich über Jahre selbst zusammengebastelt haben.

Notizen, die während einer Wanderung zum Drachenfels auf Servietten festgehalten wurden, sind heute die Basis für ihr Geschäft. Sie beraten Firmen rund um das Thema „Arbeitswelt der Zukunft“. Mitarbeiter werden in sogenannte „Future Families“ oder auch Arbeitsfamilien eingeteilt, in der ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Und deren Konstellationen sich – je nach Bedarf, zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes – auch immer wieder neu zusammenfügen können. Seien es Arbeitszeiten, Arbeitsinhalte oder die Flexibilität zwischen Home-Office und Büro. Auch die acht Angestellten der Zukunftsagenten können selbst entscheiden, ob sie ihre Aufgaben von zu Hause oder vor Ort in Bergisch Gladbach erledigen. Über einen virtuellen Raum, auf den ihre Mitarbeiter über das Internet zugreifen können, bleiben alle in Kontakt. „Manchmal weckt mich mein Mann nachts , weil er einen Einfall hat“, sagt Judith, „und dann können wir dort eine digitale Notiz hinterlassen, die später alle sehen können. Trotzdem legen wir aber auch Wert darauf, uns regelmäßig persönlich zu treffen.“

Der individuelle Weg der Klups war nicht immer frei von Hindernissen. „Da ist uns auch manchmal das Lachen vergangen, vor allem, als es bei der zweiten Schwangerschaft hieß: Zwillinge. Das war der Selbsttest schlechthin“, sagt Judith. Vor allem sie habe sich am Anfang nicht so recht getraut, sich etwas Eigenes aufzubauen, wollte erst einmal testen, „ob man damit überhaupt Geld verdienen“ könne.

Und auch Markus lässt einen jener Nachteile ihrer gemeinsamen Selbstständigkeit anklingen. „Wir können eben nicht nach Feierabend irgendeine Tür zumachen und den Rest dem Chef überlassen.“ Doch obwohl die beiden genau das sind, was sie eigentlich nie sein wollten – ein Gründerpaar – schwärmen die beiden mehr von ihrem Arbeitskonzept als dass sie nur davon erzählen.

Mutiger Neuanfang

„Das kann es doch nicht gewesen sein!“ Exakt den gleichen Satz, den auch Judith und Markus Klups zur Motivation für ihren Arbeitsumbruch nahmen, sagt auch Carolin Ballweg und unterstreicht ihn mit einer energischen Handbewegung. Gerade hat sie ihr Zuhause in der Nähe der Zoobrücke abgestellt. Es ist ein blaues Wohnmobil mit großem Bett, Dusche und allem, was man zum Leben braucht.

Das Gegenmodell dazu lebte sie noch vor wenigen Jahren: mit Wohnung am Rathenauplatz und Festanstellung in der IT eines großen deutschen Handelskonzerns. Alles also ganz normal. „Ich hatte tolle Kollegen. Das war Jammern auf hohem Niveau, aber mir hat trotzdem etwas gefehlt“, sagt Ballweg heute. Mit dem Auto ging es erstmal nach Kroatien – nachdenken. Schon zu Studienzeiten ist sie nur mit ihrem Rucksack als Begleiter durch die Welt gezogen. „Andere sagen mir immer, ich bin mutig. Also war ich das auch.“ Nach ihrer Rückkehr kündigte Ballweg kurzerhand Wohnung und Job, bereit für einen neuen Lebensabschnitt.

Zu Hause im Worldoffice

Als Management Consultant und Trainerin hält sie heute Vorträge, schaut mit Unternehmen in die Zukunft der Arbeit und unterstützt Führungskräfte und Mitarbeiter darin, moderne Arbeitsmodelle zu entwickeln oder Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern. Hinzu kommen persönliche Coachings zu ihrem Leben als digitale Nomadin in einem Van, ihrer Selbstständigkeit. Und dabei ist sie ständig unterwegs – Rheinland, Portugal, Malaysia. Die Augen der 36-Jährigen strahlen. Und dass sie sich „nebenher“ mit Immobilien ein automatisiertes Einkommen aufgebaut hat, klingt ungefähr so einfach, wie das erste Holzklötzchen aus einem Jenga-Turm zu ziehen. „Ich habe einfach eine unglaubliche Energie. Als ich mich selbstständig gemacht habe und mich dazu entschied, im Van zu leben, war mir absolut klar: Das ist mein individuelles Lebenskonzept.“ Und wie sie begeistert von Fahrten mit ihrem Wohnmobil zum Supermarkt erzählt, bei denen sie die Einkäufe direkt in den Kühlschrank räumen kann, glaubt man ihr das auch.

Aber: Wohnmobil und Malaysia müssen nicht für alle das Ziel sein. New Work bedeutet für Ballweg, dass jeder seinen individuellen Weg findet und sich von Normen befreit. „Es würde jemand anderem wahrscheinlich nichts bringen, meinen Lebensweg zu kopieren“, sagt Ballweg. Wichtig sei nur, „auch mal Regeln zu brechen, seine Lebenssituation oft genug zu überdenken und innovativ zu sein.“

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Persönlichkeit als Konzept

Ob Judith und Markus Klups, ob Carolin Ballweg auch vor 50 Jahren den gleichen Weg eingeschlagen hätten? Als New Work für viele noch kein Begriff war? „Vielleicht war da die Gesellschaft noch nicht so weit. Aber mein Charakter wäre wahrscheinlich trotzdem der Gleiche gewesen“, sind sich alle drei einig, „das, was wir tun, tun wir aus tiefster Überzeugung, das ist Teil unserer Persönlichkeit.“

Und damit trotzen sie den Kritikern, die sagen, das Hinterfragen von klassischen Arbeitsmodellen sei „en vogue“ und New Work inzwischen ohnehin „mainstream“ geworden. „Wenn dem so ist, würde uns das sehr freuen – denn für uns ist das die Arbeitswelt der Zukunft. Wenn sie mainstream wird, heißt das schließlich nur, das sie auch etabliert wird“, sagen die Klups. Bis dann auch die Großmutter vollkommen normal ist, die ein Kundengespräch ungewollt unterbricht.