Futurist Gerd Leonhard„Die Zukunft ist besser als wir denken“
- Unser Wirtschaftssystem sei künftig nicht mehr haltbar, sagt Futurist Gerd Leonhard. Immer mehr Arbeit werde automatisiert, Jobs fielen weg.
- Im Interview spricht Leonhard über Chancen und Risiken der Technologisierung und seinen ungebrochenen Optimismus.
Herr Leonhard, Sie sind Futurist. Was kann man sich unter diesem Beruf vorstellen?
Früher gab es Zukunftsforscher, die haben Vorhersagen für die nächsten 20 oder 50 Jahre getroffen. Ich schaue, was in den nächsten fünf Jahren passiert. Die Zeitspanne ist so kurz geworden, weil die Geschwindigkeit der Entwicklungen zugenommen hat. Aber es ist keine Magie, ich verbringe meine Zeit mit Beobachten.
Sie können tatsächlich belastbare Aussagen für die kommenden fünf Jahre treffen?
Es gibt Dinge, die jeder sieht, aber nicht erkennt. In meinem ersten Buch habe ich 2005 die Theorie aufgestellt, dass zukünftig Musik wie Wasser ist – sie fließt dauerhaft und ist im Überfluss vorhanden. So ist es auch gekommen. Es gibt aber auch Offensichtlicheres, zum Beispiel das Ende des Öls.
Welche Entwicklungen sehen Sie außerdem?
In ungefähr zehn Jahren sind Computer unendlich leistungsfähig. Alle Beschränkungen, die sie jetzt noch haben, vor allem Energiegrenzen, wird es nicht mehr geben. Oder soziale Medien: Es findet gerade eine Wendung zurück zur Menschlichkeit statt. Die Leute sagen: Der ganze Krach war gut, aber jetzt möchte ich wieder mehr Qualität und Menschlichkeit.
Ihr neues Buch heißt „Technology vs. Humanity“. Sie sehen also einen Aufprall, kein freundliches Zusammentreffen. Warum so pessimistisch?
Ich bin eigentlich optimistisch. Mein ehemaliger Verleger wollte diesen Titel (lacht).
Was wäre der bessere Titel?
„Mensch MIT Technologie“. Die Technologie ist schon hier, und wird immer stärker und das werden wir nicht ändern. Also müssen wir Möglichkeiten finden, das Beste daraus zu machen und das Schlechte zu minimieren. Wenn wir keine Balance finden, verursacht zu viel Technologie große soziale und politische Probleme.
Welche Technologie verändert die Gesellschaft am meisten?
KI (Künstliche Intelligenz) ist an einem Punkt, an dem Maschinen schon jetzt auf gewisse Weise „denken“ können. Sie werden nicht mehr komplett programmiert, sondern finden eigene Muster und Wege, Probleme zu lösen, basierend auf dem so genannten Deep Learning. Die Verkehrsleitsysteme vieler amerikanischer Großstädte werden von Künstlichen Intelligenzen gesteuert. Sie beobachten Ampeln, scannen Videos, regeln den Verkehr. In zehn Jahren wird es vielleicht schon Maschinen mit einem IQ von 100 000 geben.
Wo bleibt der Mensch neben den mächtigen Maschinen?
Das kann ein Problem werden. Wir werden häufig nicht mehr wissen, wie und warum ein Computer bestimmte Entscheidungen trifft. An dieser Schwelle müssen wir dafür sorgen, dass wir Menschen noch im System bleiben oder nicht. Ein Arzt, der von einem Computer eine bestimmte Krebsbehandlung vorgeschlagen bekommt, kann dem Vorschlag blind folgen, ihn überprüfen oder ganz ignorieren.
Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte auch gemacht werden, sagen Sie. Warum nicht?
Wenn ein Roboter unseren Arbeitsplatz wegnimmt, ist das nicht gut, aber meistens nicht direkt existenziell gefährlich. Wenn ein Computer aber superintelligent ist, unseren Verkehr selbstständig leitet und die Geräte um uns herum betreibt, müssen wir globale Abkommen schließen, wie wir sie auch für Nuklearwaffen abgeschlossen haben.
Sie vergleichen Computer mit Atomwaffen. Ein etwas kruder Vergleich, finden Sie nicht?
Nach dem Einsatz zweier Nuklearbomben hat die Welt beschlossen, dass nicht jeder so eine Bombe haben sollte. Wenn wir künftig KIs mit einem IQ von 100 000 haben, sind diese auch als Waffe sehr nützlich. Die Menschheit muss sich dringend einigen, wie wir damit umgehen sollen.
Sie nennen das in ihrem Buch das „Team Mensch“, das es dafür braucht.
Wir würden es wahrscheinlich nicht überleben, wenn es eine Art Hiroshima der Künstlichen Intelligenz gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein so intelligenter Computer alles dafür tut – auch in Konsequenz töten würde –, um sich auf dem Netz zu halten und seinen Aufgaben nachzugehen, ist hoch. Nicht weil das seine Priorität ist. Aber wenn wir durch den Wald gehen, wollen wir auch keine Ameisen töten, tun es aber trotzdem, wenn wir auf den Wegen gehen und auf sie treten.
Zur Person
Gerd Leonhard ist Futurist, Humanist, Autor, Keynote Speaker und CEO der The Futures Agency in Zürich. Nach Stationen als Musiker und Produzent und als Internet-Entrepreneur in den USA, fand der gebürtige Bonner 2001 zu seiner heutigen Leidenschaft: Die Zukunft und die Auseinandersetzung mit exponentiellen Technologien. Sein aktuelles Buch heißt: „Technology vs. Humanity: Unsere Zukunft zwischen Mensch und Maschine“.
Wie verändern diese Technologien die Arbeitswelt?
Das aktuelle Wirtschaftssystem ist künftig nicht mehr haltbar. Immer mehr Arbeit wird automatisiert, dadurch gibt es weniger Jobs. Also müssen wir Arbeit und Geld trennen. Ich bin für eine bedingungslose Grundversorgung. Nahrung, Energie, Wasser, Medizin, Transport – das alles wird in zirka 20 Jahren so preiswert, dass der Staat diese Leistungen für seine Bürger übernehmen kann.
Aber ganz ohne Arbeit geht es ja auch nicht.
So viele Berufe, die in der Zukunft normal sein werden, sind noch gar nicht erfunden. Vor 15 Jahren kannte keiner Soziale Medien, heute haben wir 31 Millionen Social-Media-Manager. Wir können uns immer neu erfinden – was sich ändert ist die Definition und der Sinn der Arbeit!
Das sind aber eher gut bezahlte Jobs? Was ist mit dem Fließbandarbeiter, wird es für den auch noch Jobs geben?
Da geht es vor allem um Jobs im sozialen Bereich, die heute freiwillig gemacht werden. Auf Kinder aufpassen, im Garten mithelfen, die Oma versorgen, Deutsch unterrichten. Soziale Berufe werden explodieren. Wir könnten locker Millionen von Menschen in solchen Berufen unterbringen.
Und wie bezahlen wir das?
Indem wir die Erlöse aus Technologien neu verteilen. Wir kommen etwa um eine Roboter- oder Automatisierungs-Steuer nicht herum.
Ist das politisch durchzusetzen?
Ich denke schon, denn das Problem der traditionellen freien Marktwirtschaft ist: Wenn es um Profit und Wachstum geht, funktioniert sie gut. Aber wenn wir nur das angehen, erschaffen wir eine Welt, die nicht mehr menschlich und auch nicht mehr regierbar ist. Wenn ich alle menschlichen Prozesse durch Künstliche Intelligenz ersetze, erfinde ich damit eine neu vernetzte Welt, die viel Geld verdient, aber immer dehumanisierter wird.
In der politischen Diskussion nimmt die Beschäftigung mit Technologiefolgen allerdings eine geringe Rolle ein.
Wir haben hierzulande ja ein Ingenieurs-Mindset. Wir bauen die perfekten Produkte, die beste Technologie, aber beschäftigen uns zu wenig damit, was sie ermöglicht. Das größte Problem ist aber: Die Visionen für unsere Zukunft kommen nicht von Staaten oder Politikern, sondern von Technologie-Unternehmen. Microsoft, Google, Facebook und andere sagen uns, wie unsere Zukunft aussieht!
Ist der Niedergang der Volksparteien auch damit verknüpft, dass sie keine Antworten auf diese Fragen haben?
Sie stellen ja nicht mal mehr die richtigen Fragen! Das Resultat ist die Rechtsbewegung. Wenn die Leute Angst vor der Zukunft haben, gehen sie zurück zur Vergangenheit. Damals war alles gut, glauben sie. Soziale Media haben leider viel damit zu tun, dass Leute Angst haben. Die meisten denken, die Zukunft ist schlecht. Ich meine: die Zukunft ist besser als wir denken!
Nationalismus und Abschottung sind aber doch genau der falsche Weg. All die beschriebenen Probleme verlangen globale Lösungen.
Die Menschen agieren aber aus Angst. Wer Angst hat, igelt sich ein. Was wir brauchen, ist die erste Partei, die sagt: Wir haben eine Zukunftsvision, die sieht folgendermaßen aus und ist einigermaßen realistisch. Diese Partei wird abräumen.
Trauen Sie das einer Partei zu?
Im Moment nicht. Die jetzige Periode, in der es schlechter wird, wird noch einige Jahre anhalten: Es wird schlechter werden, bevor es besser wird.
Welche Zukunft prophezeien Sie der Medienbranche?
Es braucht die Neuerfindung der Medien, weil soziale Medien zu groß und zu unreguliert sind. Es kommt auch wieder eine neue Periode mit positiven Möglichkeiten. Aber durchhalten muss man schon noch eine Weile.
Was ist das Positive?
Das Positive ist, dass Leute nicht mehr sagen, alles muss gratis sein und ich mache den Spammodus mit, solange alles umsonst ist. Sie wollen mehr Werte, mehr Beziehungen und sind bereit, dafür etwas zu tun.
Wie beurteilen Sie Facebook?
Ich habe Facebook vor vier Monaten verlassen, weil es durch Ignoranz und Unwilligkeit im Bereich des Unethischen gelandet ist. Das Konstrukt ist eine gigantische Geldmaschine, und die verdient deshalb so viel Geld, weil sie perfekt programmiert ist. Die Menschlichkeit bei Facebook ist total reduziert – und das ist nicht gut für uns.
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Wird es bei all diesen Entwicklungen überhaupt noch Platz für so etwas wie Glück geben?
Wir müssen schützen, was uns ausmacht. Das sind eben nicht nur Daten oder Informationen, sondern auch Emotionen, Zufälle, Geheimnisse, Fehler, einfach alles, was menschlich ist. Ich kann auf dem iPad Musik machen, das lerne ich in vielleicht zehn Stunden, wenn ich aber ernsthaft Gitarre lernen will, dann sind das 10 000 Stunden. Wir müssen die Möglichkeit schützen, dass etwas ineffizient sein kann. Wenn es nur um Effizienz geht, sind wir nicht mehr konkurrenzfähig, und werden nutzlos.